Auf den ersten Blick scheint bei den deutsch-französischen Beziehungen eitler Sonnenschein zu herrschen. Küsschen hier, Küsschen dort, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den französischen Staatspräsident Emmanuel Macron trifft. Aber der Schein trügt: Beim zweiten Hinsehen lasse die deutsche Bundesregierung allen voran Angela Merkel die Franzosen „sprichwörtlich im Regen stehen", vor allem wenn es um das Thema Europa gehe. Das sagt zumindest Politologe Prof. Dr. Henri Ménudier von der Pariser Sorbonne, ein Experte für deutsch-französische Beziehungen. Ménudier war mit FDP-Spitzenkandidatin Nicola Beer zu Gast in Saarbrücken. Bereits vor rund eineinhalb Jahren blieb die vielbeachtete Rede Macrons in der Pariser Sorbonne zur Lage Europas von den Deutschen unkommentiert, sehr zum Verdruss des europafreundlichen Präsidenten. Mehr oder weniger Funkstille seitens der Kanzlerin auch beim zweiten Anlauf des Franzosen, auch wenn heikle Themen, beispielsweise wie eine europäische Sicherheitspolitik konkret aussehen könnte, ausgespart wurden.
Die Notwendigkeit, Europa dringend zu reformieren, gilt zwar bei beiden Partnern als absolut notwendig. Doch am Wie scheiden sich die Geister. Und so bleibt es kaum verwunderlich, dass der von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnete „Wanderzirkus" des Europaparlaments zwischen Brüssel, Luxemburg und Straßburg bei den Franzosen für Irritationen sorgte. Nicola Beer, Spitzenkandidatin der FDP bei der Europawahl, will dagegen bei der Strukturreform Europas alles auf den Tisch legen und „auch beim Wanderzirkus gibt es dann kein Tabu." Laut Ménudier wäre Macron sogar bei diesem Thema kompromissbereit, was ihm bei den europafeindlichen Parteien Rassemblement National von Marine Le Pen und La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon im eigenen Land Verratsvorwürfe eingebracht habe. Als Kompensationsmaßnahme für den Verlust des Europaparlaments winkt eventuell der Sitz samt Verwaltung der Europäischen Universität. Aber Straßburg ist der Sitz des Europaparlaments vertraglich zugesichert – „zumindest den Elsässern", wie Ménudier ketzerisch anmerkt. Außerdem müssen Beschlüsse in der EU immer einstimmig getroffen werden und da zeigt die Erfahrung, wo das hinführt. Also keine guten Aussichten, den für den Steuerzahler teuren Wanderzirkus zu beenden.