Anfang 2015 öffnete Frank Richter Pegida-Demonstranten die Tür zur sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Manche unterstellten ihm eine Nähe zur AfD. Doch nichts lag ihm ferner. Jetzt spielt er für die SPD in Sachsen eine wichtige Rolle.
Die sächsische SPD hat auf ihre Liste für die Landtagswahl am 1. September eine schillernde Person gesetzt. Damit der parteilose DDR-Bürgerrechtler Frank Richter für sie kandidieren kann, haben die Sozialdemokraten sogar eigens ihre Satzung geändert. Der über die Grenzen des Freistaats hinaus bekannte Querdenker könnte ihnen Zugang zu den Unzufriedenen verschaffen, so die Hoffnung. Zu Ostdeutschen, die von den traditionellen Parteien schon lange keine Lösungen mehr für ihre Fragen und Probleme erwarten.
Ende 2014 bietet Richter, damals noch Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Anhängern der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung in Dresden einen Dialog an. Im Januar 2015 erlaubt er ihnen, in der Landeszentrale eine Pressekonferenz abzuhalten, weil sie keine anderen Räumlichkeiten dafür gefunden haben. Nicht alle finden das gut.
Dass man ihn, nur weil er einen Gesprächsfaden zu den wütenden Bürgern gesucht hat, damals in die Nähe der AfD gerückt hat, kann der streitbare Theologe nicht verstehen. Schließlich ist er auch deshalb in die Politik gegangen, weil er rechtspopulistische Parolen ablehnt. Den rechtsnationalen „Flügel" des Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke findet Richter besonders gefährlich. Der 58-Jährige mahnt: „Wer die Reden von Björn Höcke studiert und ein bisschen etwas von deutscher Geschichte versteht, der muss sagten: „Wehret den Anfängen!"
Auf Menschen zuzugehen, die einem nicht in freundlicher Absicht entgegentreten, damit hat Richter Erfahrung: Während der friedlichen Revolution 1989 in der damaligen DDR suchte er während der Demonstrationen in Dresden das Gespräch mit der Volkspolizei.
Sieht Schwerpunkt beim sozialen Zusammenhalt
Richter überrascht und provoziert gern. Auch mit dem Titel eines neuen Buches, das der heimatverbundene Sachse jetzt pünktlich zur Leipziger Buchmesse abliefert. Er fragt: „Gehört Sachsen noch zu Deutschland?" Seine Antwort: Ja. „Der Osten braucht keine Belehrung. Er braucht Unterstützung", ruft er den Westdeutschen zu. SPD-Landeschef Martin Dulig sieht in Richters Kandidatur auch „ein Angebot an Milieus, in denen wir es bisher schwer hatten".
Der Autor Richter legt Wert darauf, dass die Sachsen nicht missverstanden werden als Teil eines imaginären „Dunkeldeutschlands", bevölkert vor allem von schlecht gelaunten, latent rechtsradikalen Wutbürgern. Doch schönreden will er auch nichts. Er schreibt: „Obgleich ich über 20 Jahre als Seelsorger in verschiedenen Orten mit sozialen Spannungen gearbeitet habe, sind mir niemals so viele verschlossene, verbitterte und teilweise hasserfüllte Menschen begegnet wie bei den Demonstranten von Pegida in Dresden."
An anderer Stelle berichtet er von einer alten Frau, die in Meißen lebt und das Gefühl hat, sie sei im Leben zu kurz gekommen und werde vom Staat nicht genügend beachtet. „Sie steht im Schatten", stellt Richter fest und fragt: „Woher soll diese Frau die Kraft nehmen, offen und solidarisch mit Flüchtlingen umzugehen?"
Frank Richter hat einen wechselvollen Lebenslauf. Er war katholischer Priester, Domvikar an der Dresdner Hofkirche. Er heiratete, arbeitete als Lehrer. Heute ist er evangelisch. 2017 verließ er die CDU. Heute fühlt sich Richter der SPD nahe, auch wenn er bisher noch nicht Mitglied werden will. Bei der Wahl des Oberbürgermeisters in seiner Geburtsstadt Meißen unterlag der Parteilose knapp. „Das war bitter", sagt er. Seither ist er arbeits- aber nicht beschäftigungslos. Dieser Tage stellt er sein neues Buch vor. Dann steht der Wahlkampf an. Richter ist in Meißen parteiloser Direktkandidat, abgesichert durch Platz sieben der SPD-Liste.
Die sächsische AfD kommentierte Richters Kandidatur im vergangenen November mit den Worten: „Man kann die CDU nur beglückwünschen, dass sie Frank Richter los ist. Karrieristen wie er haben meist keinen langfristigen Erfolg."
Richter erklärt, die Sachsen seien „diskussionsfreudig" und „sehr selbstbewusst." Dass die AfD bei der Bundestagswahl 2017 mit 27 Prozent der Zweitstimmen in Sachsen knapp stärkste Kraft wurde – vor der CDU mit 26,9 Prozent – war für ihn Antrieb, selbst aktiv in die Politik zu gehen. Er sagt, die AfD verstehe es, „geschickt alle möglichen Kränkungen und empfundenen Ungerechtigkeiten einzusammeln, um ein Opfer-Narrativ zu stricken und daraus ein Widerstandsrecht abzuleiten".
Der Unmut und die Gekränktheit vieler Menschen im Osten erklärt sich für Richter durch ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Jeder einzelne davon reicht seiner Ansicht nach nicht aus, um „die besondere Stimmungslage" in manchen Regionen zu verstehen. Er zählt die Gründe auf: Entindustrialisierung, die Preisgabe der Eigenstaatlichkeit, Entvölkerung.
Sollte er im Herbst für die SPD in den Landtag einziehen, steht sein Arbeitsschwerpunkt schon fest: Er will sich um den „sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft" kümmern.