Ob Merkel, AKK oder Scholz: Die deutsche Außenpolitik ist kleinkariert
Man fühlt sich in diesen Tagen an Stephen Biegun erinnert, den Nordkorea-Gesandten von US-Präsident Donald Trump. Der hatte kürzlich als politisches Rezept empfohlen: „Wenn du ein Problem nicht lösen kannst, mach’ es einfach größer." Wer also bei einer Gleichung mit zwei Unbekannten nicht mehr weiter weiß, packe einfach zwei zusätzliche Unbekannten dazu. Neue Definition der Aufgabe, neue Herausforderung, neues Glück, lautet die vermeintliche Erfolgsformel.
Eine ähnliche Problemvergrößerungs-Strategie steckt hinter der Vorgehensweise von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Zuerst hat sie den ambitionierten Vorschlag von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron für eine Reform Europas in spektakulärer Manier vom Tisch gefegt. Macron hatte eine EU-weite Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial-, Umwelt- und Sicherheitspolitik gefordert. Das ist angesichts der Uneinigkeit der Gemeinschaft zugegebenermaßen nicht sehr realistisch. Doch AKK schleuderte dem Weckruf aus Paris ein derart vernichtendes Urteil entgegen, dass sich jegliche Diskussionsgrundlage erledigt hat. Ihre Abfuhr in einem Satz: „Europäischer Zentralismus, europäischer Etatismus, die Vergemeinschaftung von Schulden, eine Europäisierung der Sozialsysteme und des Mindestlohns wären der falsche Weg." Adieu, Monsieur Macron.
Gleichzeitig macht sich die Christdemokratin für ein deutsch-französisches Mega-Verteidigungsprojekt stark, nämlich den Bau eines europäischen Flugzeugträgers. Kramp-Karrenbauer benutzt Worte, die an Pathetik kaum zu überbieten sind. Das Riesenkriegsschiff soll für die „globale Rolle" der EU als „Sicherheits- und Friedensmacht" stehen. Erst Macron abwatschen und dann die deutsch-französische Rüstungskooperation zelebrieren. Frei nach Stephen Biegun: Wenn du in der Europapolitik mit Paris keinen Kompromiss erzielen kannst, überfrachte das Ganze mit einem zusätzlichen Verteidigungsvorhaben. Das ist reichlich wirklichkeitsfremd.
Kein Wunder, dass die Resonanz im Nachbarland sehr verhalten ausfällt. „So weit sind wir noch nicht. Es gibt eine Vielzahl von Fragen", antwortet die französische Verteidigungsministerin Florence Parly kühl. „Wären die Missionen in der Hand der Europäer? Wie sähe der Prozess aus?" Für Frankreich ist die Souveränität eine Schlüsselfrage. Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, rückt den Vorstoß der CDU-Vorsitzenden ins Reich der politischen Fabel. Voraussetzung für die Flugzeugträger-Idee sei eine gemeinsame Strategie und „ein zielgerichteter Entscheidungsmechanismus". Davon sei Deutschland Lichtjahre entfernt.
Hinter der bundesrepublikanischen Außenpolitik steckt ein merkwürdiger Provinzialismus. Den europapolitischen Schwung Macrons hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erst monatelang ignoriert, bevor ihn AKK mit der Verbalkeule abwürgte. Diese hat wohl die drei Landtagswahlen im Osten vor Augen, wo die AfD besonders stark und die Skepsis mit Blick auf Brüssel weit verbreitet ist.
Auch in der Verteidigungspolitik hat die Bundesregierung den Ernst der Stunde nicht begriffen. Nach der Kabinettsvorlage für den Beschluss der Haushaltseckwerte und des Finanzplans bis 2023 bleiben die Rüstungsausgaben hinter den international gemachten Zusagen zurück. Der Wehretat soll nach dem Willen von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) 2020 gut 45 Milliarden Euro betragen. Das sind zwei Milliarden weniger als von Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) gewünscht. Nach der Scholz-Rechnung will Deutschland bis 2023 1,25 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung reservieren. Merkel hatte jedoch bis 2024 1,5 Prozent versprochen.
Auch das liegt noch deutlich unter dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato, auf dem Trump immer penetranter beharrt. Sollte der US-Präsident eines Tages aus dem westlichen Militärbündnis aussteigen, wäre die Große Koalition daran nicht ganz unschuldig.
Die Bundesregierung verheddert sich in ihrem Berliner Tunnelblick. Milliardenschwere Wünsch-dir-was-Programme werden aufgelegt von der Grundrente über das Gute-Kita-Gesetz bis hin zum Baukindergeld. Dabei bleiben die außenpolitische Berechenbarkeit und Verlässlichkeit auf der Strecke. Viele in Europa schauen auf Deutschland. Doch die deutsche Politik schaut auf den eigenen Bauchnabel.