Steile Rebterrassen soweit das Auge reicht, dazwischen ein schimmerndes Band: Das Douro-Tal im Norden Portugals ist nicht nur ein Himmelreich für Weinliebhaber. Wer das umwerfend schöne Hügelland mit dem Fahrrad erkundet, braucht Muskelkraft und Ausdauer – wird aber mit überwältigenden Ausblicken entschädigt.
„Schau dir an, wie träge der Douro dahinfließt. Das war nicht immer so. Ehe man die Staudämme baute, hatte der Fluss das Temperament von uns Portugiesen – wenn er zornig wurde, zerstörte er alles", sagt mein Freund Luís zu Beginn unserer Rad-Tour und lenkt meinen Blick auf die grün-braunen Fluten. An diesem leicht bedeckten Herbsttag leckt das Wasser aber ganz friedlich an der Uferbefestigung des Städtchens Peso da Régua. Wir befinden uns etwa 100 Kilometer östlich von Porto, inmitten des Weinbaugebiets Alto Douro. Peso da Régua ist das Zentrum der Portwein-Produktion, die nur innerhalb strenger Grenzen stattfinden darf. Schon 1756 ließ der Marquês de Pombal Marksteine setzen, und so rühmt sich der Alto Douro, die älteste Weinbauregion mit geschützter Herkunftsbezeichnung zu sein. Kein Wunder also, dass die Lagerhäuser der portugiesischen Eisenbahn, an denen wir gleich zu Beginn vorbeiradeln, heute zahllose schicke Weinlokale beherbergen. Auf der linken Flussseite fädeln wir uns auf die schmale N222 ein – das Sträßchen, das dem schlängelnden Lauf des Douro folgt, gilt als schönste Route des Tals. Fürwahr! Am Horizont wachsen die Berge schier in den Himmel, rechts und links fallen steile Rebhänge bis zum Fluss hinunter. Mich durchzuckt der Gedanke, dass es hier wie an der Mosel ausschaut. Genau wie in dem berühmten deutschen Weinbaugebiet wachsen die Reben auf Schieferböden. Auf der Suche nach Wasser müssen sie ganze Platten bröckeligen Gesteins durchbohren. Für diese Schwerstarbeit werden sie aber des Nachts belohnt, wenn der Schiefer die am Tag absorbierte Wärme wieder abgibt.
Das Einmaleins des Portwein-Machens
Nach ein paar Kilometern liegt das Bio-Weingut „Quinta do Tedo" auf der Strecke. Umrahmt von großen Oleander-Büschen, bergen die dortigen Kelterhallen Hunderte von alten Eichenfässern voller Portwein. „Bei uns werden die Trauben noch im Gärbottich mit den Füßen getreten", verrät Vera Natias mit einem Augenzwinkern. Seit vier Jahren führt die gelernte Lehrerin Besucher durch das Weingut und erklärt ihnen das Einmaleins des Portwein-Machens: Erst lesen, dann quetschen, dann gären, dann vinieren, dann reifen. Moment mal, vinieren? „Ja, wir setzen dem Most nach zwei bis drei Tagen 77-prozentigen Branntwein zu", erläutert Vera Natias. „So wird die Gärung abrupt gestoppt, und es bleibt ordentlich Restsüße im Wein." Hm, sehr aromatisch und mit gut 20 Prozent Alkohol ganz schön intensiv! Ob uns der Probeschluck Kraft für die nächsten Rad-Kilometer verleiht? Die haben es nämlich in sich. Bis ins kleine Dörfchen Pinhão mit seinem malerischen Bahnhof voller Azulejos – die typischen Motiv-Kacheln – ist noch alles in Ordnung. Erneut überqueren wir den Douro, um nun hoch zum Aussichtspunkt Casal de Loivos zu fahren. „Jetzt wartet ein hübscher Anstieg auf uns!", ruft mir Luís zu, der die Gegend wie seine Westentasche kennt. Wir machen knapp 500 Höhenmeter auf gerade mal 4,5 Kilometern Strecke. Es ist so steil! Fast mitleidig scheinen die in Reih und Glied stramm stehenden Reben links und rechts der Strecke mein angestrengtes Strampeln zu beobachten. Oben angekommen dann die Belohnung: ein Panoramablick auf tannengrüne Berge, grasgrüne Weinterrassen, silbrige Olivenbäume, rote Gutsdächer und das goldene Band des Douro, das hier eine schöne S-Schleife beschreibt. Spektakulär! Viel zu schnell fragt Luís: „Bist du bereit für den Rest?" Der letzte Teil der heutigen Strecke führt ins rechte Douro-Tal, eine Gegend, die der portugiesische Schriftsteller Miguel Torga einst „wundervolles Königreich" nannte. Tatsächlich bedeutet der Name der Provinz Trás-os-Montes so viel wie „hinter den Bergen". Folgerichtig geht es immer wieder … na, was? Bergauf! Als wir ins hübsche Alijó kommen, dessen historischer Ortskern unter Schutz steht, bin ich platt. Knapp 1.100 Höhenmeter am ersten Tag – Feierabend!
Am nächsten Morgen brennt die Sonne vom strahlend blauen Himmel. Der Tag wird heiß – ein Glück, dass wir es erst mal laufen lassen können, weil wir wieder runter zum Fluss fahren. Portugal scheint das Land der pittoresken Bahnhöfe zu sein. Im kleinen Tua hat man in der Bahnhofshalle ein winziges Museum eingerichtet und zeigt Relikte aus der „guten alten Zeit": Antik anmutende Barometer, eine Standuhr wie aus Großvaters Tagen, klobige Telefonapparate. 1887 wurde die Bahnlinie, die einst von Porto bis an die spanische Grenze führte, fertiggestellt. Als der Bummelzug einfährt, steigen wir zu. Die Fahrt bis zum Halt Pocinho erweist sich als atemberaubend. Das Tal des Douro ist hier so tief eingeschnitten und eng, dass es gar keine Straßen gibt. Gelegentlich taucht ein Weingut in den steilen Terrassen oder ein Ausflugsboot auf dem stark mäandernden Fluss auf, das war’s. An der Station Pocinho steigen wir wieder auf die Räder. Es dauert nicht lang, bis der nächste „hübsche Anstieg" beginnt. Wann immer die Tour auf Flusslevel startet und dann in die Höhe geht, heißt es leiden – und in meinem Fall auch mal schieben.
30.000 Jahre alte Felszeichnungen
Zum Mittag schaffen wir es so rauf nach Foz Côa, einem Städtchen, das für seine bis zu 30.000 Jahre alten Felszeichnungen berühmt ist. Die fristen nicht etwa in dunklen Höhlen ein Schattendasein, nein, die Menschen des Paläolithikums ritzten ihre Bilder und Symbole in den frei liegenden Schiefer. Dank des mediterranen Klimas sind sie bis heute gut erhalten und seit 1998 Unesco-Weltkulturerbe. Hier muss Luís mir erst mal schonend beibringen, dass wir jetzt wieder zurück nach Pocinho fahren und dann auf der anderen Flussseite wieder rauf. Nach Torre de Moncorvo. Bergspezialisten kommen im Douro-Tal definitiv auf ihre Kosten. Ich breite den Mantel des Schweigens über Teil zwei der heutigen Etappe – nur so viel: Es ist anstrengend und erhebend zugleich! Immerhin besitze ich im putzigen Moncorvo noch genug Kraft, durch die historischen Gassen zu spazieren. An der zentralen Plaza sitzen ein paar alte Männer beim Plausch, vor der Kirche spielen Kinder fangen, an einer Straßenecke verkauft eine Frau Mandeln, und in der kleinen Tourist-Information erzählt Mitarbeiter Manoel, dass man in Moncorvo schon immer ein wenig weiter gewesen sei als im Rest Portugals. Aha. Ein 3.000-Seelen-Nest als Trendsetter? „Bis 1974 herrschte bei uns ja eine Diktatur", erklärt er. „Bands wie Pink Floyd waren verboten, doch wer schmuggelte die erste Platte von denen nach Portugal? Ein Einwohner aus Moncorvo!", ruft er triumphierend und gibt mir gleich darauf den Tipp, in welcher Bar man später am Abend noch gute Rockmusik hören könne. Das schaffen Luís und ich aber nicht mehr. Nach einem exzellenten Abendessen fallen wir todmüde ins Bett.
Sanfte Steigung? Die Hoffnung auf eine moderatere Etappenführung hatte ich schon aufgegeben, doch am dritten Tag scheint Luís ein Einsehen zu haben. Die ersten 24,5 Kilometer folgen wir der Trasse der still gelegten Schmalspurbahn Linha do Sabor. Zum ersten Mal spürt man die Höhenmeter kaum. So bleibt genug Muße, die einsame Landschaft mit weiten Blicken über die Berge und hinab ins Tal des Rio Sabor, einem Nebenfluss des Douro, zu genießen. Immer wieder passieren wir halb verfallene Bahnstationen, Relikte einer vergangenen Zeit, die heute nur noch morbid-schöne Fotomotive abgeben. Luís stimmt das melancholisch. „Ich erinnere mich noch gut an meine Kindheit. Damals waren die Bahnsteige voller Menschen, die auf den Zug warteten", murmelt er. Mein Freund glaubt ohnehin, dass die hoch gelegenen Dörfer des Douro-Tals bald ausgestorben sein werden. „Die Jungen ziehen alle weg. Die Schulen schließen. Bald ist keiner mehr da." Als wir am Ende der Trasse im kleinen Carviçais ankommen, scheinen sich seine Worte zu bestätigen. Kein Mensch ist in den schmalen Gassen zu sehen, der Dorfplatz verwaist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass alle in der Kirche sind. Es ist Sonntag. Die Messe wird hier doch glatt per Lautsprecher nach draußen übertragen – ein etwas seltsamer Soundtrack, zu dem wir einen Espresso in einem der zwei kleinen Cafés am Platz trinken.
Kalte Winter und heiße Sommer prägen das „Terra Quente"
In Freixo de Espada de Cinta ein paar Kilometer weiter gelangen wir ins Gebiet des Naturparks Douro Internacional. Hier wird es richtig einsam. Wir radeln über eine Hochfläche, die von kalten Wintern und extrem warmen, trockenen Sommern geprägt ist – „Terra Quente", heißes Land, nennen die Einheimischen die Region. Brauntöne bestimmen das Bild, dazu schroffer Fels – diesmal Granit. Seit Jahrtausenden gräbt sich der Douro hier durch die Landschaft. Dabei hat er großartige, bis zu 200 Meter tiefe Schluchten geschaffen, richtige Canyons. An dem herrlichen Aussichtspunkt Carrascalinho, dort wo sich der Douro durch eine besonders enge Stelle durchs Gebirge windet, hält Luís eine Überraschung bereit: Seinen Freund Johnny hat er gebeten, ein Picknick für uns vorzubereiten. Auf einem kleinen Campingtisch türmen sich portugiesische Köstlichkeiten. So thronen wir hoch über dem hier beinahe schwarz anmutenden Band des Douro, atmen tief die frische, klare Luft ein, saugen die beinahe unwirkliche Stille auf, lassen es uns richtig gut gehen. Danach fliegen die restlichen Kilometer nur so dahin. Auch wenn zu guter Letzt wieder ein „hübscher Anstieg" auf uns wartet. Als wir unser Ziel, die Casa das Quebradas, ein schönes Landgut in der Nähe der Kleinstadt Mogadouro, erreichen, liegen wieder über 1.000 Höhenmeter hinter uns. Geschafft! Zwei Stunden später sitzen wir im gemütlichen „Restaurant da Casa". Zur Stärkung serviert uns die Hausherrin Bacalhau, den berühmten Stockfisch, nach dem die Portugiesen so verrückt sind. Das Essen schmeckt vorzüglich, genauso wie der Rotwein, der natürlich an den Hängen des Douro gekeltert wurde. Noch wissen wir nicht, dass wir am nächsten Tag – wir wollten noch bis Miranda do Douro an der portugiesisch-spanischen Grenze weiterradeln – nicht mehr auf die Räder steigen werden. Es wird nämlich in Strömen regnen. Egal – perfekter könnte der letzte Abend im herrlichen Douro-Tal nicht ausfallen.
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