Die Himmelsgötter meinen es gut mit den Menschen in Finnland, sie schicken ihnen leuchtende Grüße in der dunklen Jahreszeit. Ein besonderes Highlight für Touristen ist die Übernachtung im Glas-Iglu.
Wir stapfen durch die finnische Nacht, unter unseren Füßen knirscht der kalte Schnee. Unser Weg führt hinauf auf einen kleinen Anhang – für den besseren Blick und weg vom Licht der Ferienhaussiedlung.
Jetzt heißt es warten. Uns wird kalt, wir treten den Schnee unter unseren Füßen fest. Das Stativ ist aufgestellt, die Kamera montiert. Wir sind auf der Jagd nach dem Nord- oder Polarlicht. Oder, wie die Wissenschaftler sagen, der Aurora Borealis. Aber wie es scheint, will sich das Zauberlicht heute nicht einfangen lassen. Der lappländische Himmel hat sich in ein dichtes Wolkenkleid gehüllt. Den heißen Tee aus der Thermoskanne haben wir schon fast ausgetrunken, als sich die Wolken plötzlich auflösen und den Blick nach oben freigeben. So als hätte ein unbekannter Regisseur nur darauf gewartet, dass jemand den riesigen Vorhang vor der Himmelsbühne wegzieht, tauchen alsbald auch schon die Hauptdarsteller auf. Kaum ist es aufgeklart, beginnt ein Schauspiel, das seinesgleichen sucht. Lapplands Himmel hat sein buntes Abendkleid angezogen. Das Firmament leuchtet, grüne Lichter wabern über den Himmel. Wie ein aufgescheuchtes Reh rasen sie mal hierhin mal dorthin. Das Warten und Frieren hat sich also doch gelohnt.
Nie gleicht ein Nordlicht dem anderen. Wie bei uns Menschen gibt es schüchterne und wilde, vorlaute und zurückhaltende. Das eine begnügt sich bescheiden mit einer Ecke des Himmels, das andere nimmt fordernd das ganze Firmament ein. Und das dritte vereint beide Charaktere. In der einen Minute verharrt es ruhig und unbeweglich, nur um sich wenig später wie eine wild flackernde Feuersbrunst über den Himmel auszubreiten.
Rot, grün, violett oder blau – und alle nur denkbaren Zwischentöne: Auch bei der Farbauswahl des Ausgehkleides legt sich ein Nordlicht nicht fest.
Zwischen Oktober und April flirren fast täglich Polarlichter über den Himmel. Aber auch schon im September und bis in den Mai hinein kann man sie bewundern. Fleißige Statistiker haben errechnet, dass man sie in Lappland an 200 Tagen im Jahr sehen kann. Theoretisch zumindest – denn eine dichte Wolkendecke durchdringt auch das kräftigste Nordlicht nicht. Manches Hotel ist sich seiner Sache trotzdem so sicher, dass es den Gästen einen Teil der Kosten zurückerstattet, wenn die während eines einwöchigen Urlaubs kein Polarlicht zu sehen bekommen. Das ist recht mutig, denn man kann zwar die Sonnenaktivität und damit die Wahrscheinlichkeit für Polarlichter voraussagen, das finnische Winterwetter folgt aber doch gern seinen eigenen Regeln.
Für Physiker sind Nordlichter nur ein wissenschaftliches Phänomen, ein Leuchten das entsteht, wenn elektrisch geladene Teilchen des Sonnenwindes auf Sauerstoff- und Stickstoffatome in den oberen Schichten der Erdatmosphäre treffen. Für die Finnen sind sie aber ein Feuer am Firmament. Und zwar eines, das von einem Fuchs entfacht wird, der mit seinem Schweif über die Schneewehen peitscht, so dass die Funken – die Nordlichter – sprühen. „Revontulet", Fuchsfeuer, nennen die Finnen das Lichterspektakel deswegen.
Besonders viele Besucher aus Asien
Weniger poetisch sehen es die Japaner. Sie glauben, ein Nordlicht zu sehen stärke die Manneskraft, und dass ein unter dem Nordlicht gezeugtes Kind besonders schön und klug wird. Der Tourismusbranche in Finnland kann’s recht sein: im Winter sind im Norden auffällig viele Asiaten unterwegs. Und von Jahr zu Jahr werden es mehr. 2016 beispielsweise kamen 50 Prozent mehr asiatische Gäste als im Jahr zuvor.
Beliebt sind Nordlichtsafaris, die zu Aussichtspunkten führen, von denen man das magische Himmelslicht besonders gut beobachten kann. Nach der Tour verschwinden die Asiaten dann auffällig schnell auf ihre Hotelzimmer.
Noch bequemer ist es, wenn man sich in ein Hotel einbucht, das Schlafzimmer mit Glasdach bietet. Oder man reserviert gleich eine Übernachtung im Glas-Iglu – das ist unter anderem in Kakslauttanen bei Inari und in Levi möglich. Dann braucht man gar nicht aufzustehen und kann unter der kuscheligen Decke liegend das Himmelsfeuerwerk beobachten.
Eine Spur bescheidener geht es natürlich auch – viele Hotels im Norden Finnlands bieten einen nächtlichen Wake-up-Service an. Dann wird man aufgeweckt, wenn draußen die Lichter tanzen. „Nordlichtspotter" ist inzwischen sogar ein Beruf. Das „Arctic Snow Hotel" in Rovaniemi schrieb vor einiger Zeit eine Stelle aus, die vom geeigneten Bewerber lediglich verlangte, Nacht für Nacht nach Polarlichtern Ausschau zu halten und – im Fall der Fälle – die Gäste zu wecken. Darauf bekam man dort 1.500 Bewerbungen. Kein Wunder, spektakulärere Nachtarbeit wird nur selten angeboten.
Heute freut sich jeder, wenn er ein Nordlicht sieht. Manche Menschen werden sogar regelrecht süchtig nach dem Feuer am Himmel und kehren deswegen immer und immer wieder in den Norden zurück. „Ich kenne viele Menschen, die Tränen in den Augen hatten, als sie das erste Mal ein Nordlicht sahen", sagt der deutsche Maler Christian-Ivar Hammerbeck. Auch er ist von der Polarlichtsucht befallen. Er ist vor mehr als 30 Jahren in den Norden gezogen, um die Lichter des Nachthimmels auf die Leinwand zu bannen. Inzwischen hat er weit mehr als hundert Bilder mit der Aurora Borealis als Motiv gemalt, doch seine Faszination für nordische Winternächte ist bis heute geblieben und das Polarlicht ist immer noch sein Lieblingsmotiv.
Nordlichter als Zeichen für eine große Schlacht
In früheren Jahrhunderten teilte man diese Begeisterung aber nicht. Damals galten die flackernden Lichter am Nachthimmel als Vorboten von Krieg, Pest oder Hungersnot. In einigen Gegenden glaubten die Sami, das Nordlicht zeige an, wenn verstorbene Vorfahren durchs Land ziehen. Dann verboten sie ihren Kindern, nach draußen zu gehen. Die Inuit Grönlands stellten ebenfalls eine Beziehung zwischen dem Polarlicht und den Verstorbenen her. Sie deuteten das Leuchten am Himmel als ein Spiel ihrer Vorfahren, glaubten, diese würden in himmlischen Sphären Walrossschädel hin und her werfen. Und für die Wikinger waren die Polarlichter das Zeichen, dass irgendwo auf der Welt eine große Schlacht geschlagen worden war, nach der die Walküren über den Himmel ritten und die gefallenen Helden zu Odin führten.
Der Franzose Thomas Pesquet ist tatsächlich schon über den Himmel geflogen. Er war Astronaut auf der internationalen Raumstation ISS und hat von dort aus die Aurora Borealis fotografiert. Der „New York Times" verriet er: „Polarlichter sind die schönsten Dinge, die man in seinem Leben sehen kann."