Die international erfolgreiche Designerin Lena Hoschek (37) lässt die Herzen aller Anhängerinnen femininer Mode mit an frühere Jahrzehnte erinnernden Kleidern und Trachten höherschlagen. Im Interview spricht die Österreicherin über ihre Anfänge, Lieblingsstücke, ihre Faszination für die Ikonen der 50er-Jahre, persönliche No-Gos bei Vintage-Kleidern und ihre neue Kollektion.
Frau Hoschek, vor der Gründung Ihres eigenen Ateliers in Graz haben Sie acht Monate bei Vivienne Westwood in London assistiert. Wie kam es dazu?
Ich bin relativ unorthodox an die Bewerbung herangegangen. Ich habe einfach im Atelier angerufen und gesagt: „Ich bin aus Österreich, habe meine Diplomkollektion mit, und ich würde gerne vorbeikommen, um mich vorzustellen." Ich wusste aber, wie die Chefin vom Atelier heißt, habe mich kurz vorgestellt und gefragt, ob ich vorbeikommen darf. Sie meinte gleich: „Ja gerne, komm vorbei." Also war auch ein bisschen Glück dabei.
Worin bestand Ihre Arbeit und was konnten Sie bei ihr lernen?
Innerhalb der acht Monate habe ich dort alles gemacht. Wenn man als Praktikantin anfängt, näht man Knöpfe an, macht den Zuschnitt von Schrägstreifen – also sehr viele kleine Arbeitsschritte, die natürlich – um ein großes Ganzes entstehen zu lassen – auch sehr wichtig sind. Das ist etwas, das ich dort gelernt habe und auch versuche, unseren Praktikanten mitzugeben. Auch wenn man das Gefühl hat, man macht nur Kleinigkeiten, ist es dennoch wichtig für das Big Picture.
Dadurch, dass sie mich besser kennengelernt und mir immer mehr handwerklich zugetraut haben, übergaben sie mir nach und nach immer mehr Aufgaben. Es gab das Projekt, dass Barbies mit Designer-Kleidung für Charity-Zwecke versteigert wurden und ich habe ja bis ich 18 war Kleider für Barbies zu Hause genäht. Nicht für mich, sondern für Barbies. Ich habe mich aus dem Grund gleich freiwillig gemeldet und die Atelierchefin war ganz erleichtert, dass sie sich nicht damit herumschlagen musste, und somit habe ich das Projekt dann auch übernommen. Als sie das Ergebnis sahen, waren sie total begeistert und dachten sich: „Na, wenn sie das so klein so schön näht, dann kann sie es größer auch schön nähen". Ab diesem Zeitpunkt habe ich Couture-Restaurationen bekommen, das Parrot Shirt original aus den 70er-Jahren – Schnitt abnehmen und nachmachen, also wirklich coole, sehr heikle Sachen. In Mailand und in Paris war ich backstage bei den Shows dabei. Das Ganze war auf eigene Kosten, und ich habe das als unschätzbar wertvoll betrachtet, es überhaupt als Teil meiner Ausbildung zählen zu dürfen. Die Art und Weise, wie ein Praktikum heute bei uns in Österreich betrachtet wird, sehe ich nicht als richtig an, weil man in den Creative Industries es sich nicht leisten kann, jemanden, der noch nichts kann, zum vollen Gehalt anzustellen.
Warum wollten Sie Designerin werden?
Ehrlich gesagt wären mir schon andere Berufe eingefallen, aber der Weg zur Kleidermacherin war so geradlinig. Schon als Kleinkind habe ich angefangen, Kleider zu malen. Nicht Prinzessinnen mit Kleidern, sondern nur die Kleider. Das Kleid, die Haarmasche, die Schuhe – das waren die frühesten Zeichnungen von mir als Kind. Später habe ich mich auch irrsinnig gerne mit Textilien beschäftigt, mit Häkeln, Stricken, Sticken. Meine erste „Kollektion" gab es, als ich drei Jahre alt war, da habe ich in alte Socken Löcher geschnitten – und aus diesen Socken eine Kollektion für Bärenwaldfiguren entworfen. Als Teenager habe ich dann aus weißem Seidenchiffon mit Goldperlen bestickte Kleider für Barbies angefertigt. Ich habe einfach immer schon gerne Mode gemacht, damals eben im Miniaturformat. Es war immer Mode, aber gar nicht das Designertum als Künstler, sondern vielmehr das Beschäftigen mit dem Material bis ins kleinste Detail. Und das wurde dann zu einem erfolgreichen Businessmodell. Ich finde, dass man alles zu einem Erfolg werden lassen kann, wenn man dafür wirklich lebt. Wenn man eine große Leidenschaft für etwas hegt und viel Fleiß, Schweiß, Blut und Liebe zum Detail reinsteckt – eine Passion für eine Sache hat, von der man selbst überzeugt ist.
Wie viele Leute arbeiten mit Ihnen in Ihrem Atelier, und wie sieht die Aufgabenverteilung aus?
Wir haben im Moment 45 Mitarbeiter. Einige davon sind natürlich in den Stores beschäftigt, drei Online-Shop-Mitarbeiter, fünf sitzen in Marketing und PR und der Rest in der Produktentwicklung, sprich Schneiderei, Produktionsbetreuung und so weiter.
Können Sie sich noch an das erste Stück erinnern, das Sie geschneidert haben?
Das erste Stück, das wirklich Schneiderhandwerk involvierte, habe ich mit meiner Oma im Alter von 13 Jahren genäht. Ich wollte in dem Alter mein eigenes Dirndl haben, und das war damals was ganz Außergewöhnliches, weil in den 90er-Jahren kein Teenager ein Dirndl getragen hätte. Genaue Vorstellungen hatte ich damals und wollte einen langen Rock und eine lange Schürze und meine Oma hat mir gezeigt, wie man alles von Hand verarbeitet. Ich habe alles von Hand gezogen, und meine Oma hat es mir zusammengenäht. Hier habe ich zum ersten Mal das Schneiderhandwerk kennengelernt – von der Oma.
Welches Stück aus Ihren Kollektionen ist bis heute Ihr Favorit?
Eindeutig der Bänderrock, weil es sich dabei um ein Stück handelt, das nur von mir ist. Viele Kleider in meinen Kollektionen sind von den 50er-Jahren inspiriert – in der Mode hat man eigentlich alles schon mal gesehen. Aber der Bänderrock ist wirklich mein eigenes Gedankengut. Und dass der noch dazu über 13 Jahre hinweg immer noch unser Bestseller ist, macht mich wirklich stolz.
Welche Materialien verwenden Sie am liebsten?
Für den Zuschnitt als Grundmaterial verwende ich am liebsten Naturmaterialien wie Baumwolle, Seide, Kaschmir, Wolle und Gott sei Dank wieder am Markt: Viskose. Dabei handelt es sich nicht um eine direkte Naturfaser, sondern um eine recycelte – die liebe ich für fließende Kleider. Materialien, die ich in zweiter Linie gern verarbeite, sind Bänder. Vor allem Jacquard-Bänder mit in sich gewebten Mustern haben es mir total angetan. Da habe ich wirklich auch mit der Zeit eine Sammelleidenschaft entwickelt. Das Schöne ist: Ich kann diese Sammelleidenschaft und Kaufsucht was Bänder betrifft beruflich ausleben.
Ihre Vintage-Kleider, häufig mit ausgestelltem und schwingendem Rock, sind angelehnt an den Pin-up-Stil der 50er-Jahre. Was fasziniert Sie an diesem Zeitalter und an den damaligen Frauen?
Wenn ich mich in meiner frühen Zeit von gewissen Strömungen oder Persönlichkeiten inspirieren lassen habe, dann betrifft das vor allem die Hollywood-, Silver-Screen-Ära der 40er-und 50er-Jahre. Man kann daher nicht allgemein sagen die 50er-Jahre, weil es viele nicht toll hatten in den 50ern. Die 50er-Jahre waren für Frauen auch nicht die rosigste Zeit. Wenn man also sagt, ich nehme meine Inspiration aus den 50er-Jahren, muss man differenzieren – ich nehme meine Inspiration von den Ikonen der 50er-Jahre, weil ich finde, dass Sophia Loren und Marilyn Monroe sehr stark als körperliche Sexsymbole dargestellt wurden, aber einen sehr starken Charakter hatten und nie unterwürfig waren, sondern alle Männer in den Filmen immer in der Hand hatten, es hat sich immer alles um sie gedreht. Ich hatte immer das Gefühl, dass es keine instrumentalisierten Objekt-Frauen sind, sondern Macherinnen. Sie nehmen sich alles heraus, jede Freiheit und setzen auch ihre körperlichen Waffen ein, um das zu kriegen und das finde ich, ist echter Feminismus.
Was denken Sie: Stehen Ihre Kleider jeder Frau und jedem Figurtyp?
Ich denke ja, denn auch bei Frauen mit weniger Kurven zaubern die figurbetonten Schnitte eine weibliche Silhouette.
Welche Accessoires und Schuhe passen gut zu Vintage-Kleidern?
Wenn man wirklich ein echtes Vintage-Kleid oder ein Kleid im Stil der 50er-Jahre trägt, muss man wirklich aufpassen, dass man nicht Hütchen, Handtäschchen und Schühchen im vermeintlichen Stil der 50er-Jahre kombiniert, weil es sonst schnell nach einem Faschingskostüm aussehen kann. Es gelingt nur den allerwenigsten, den Stil von damals ins Heute zu transportieren und original Vintage auszusehen, ohne dabei lächerlich zu wirken. Ich finde es toll, wenn man zum Fifties-Kleid Stilbrüche macht und nicht diesen zierlichen Fifties-Schmuck verwendet, sondern eher plakativen moderneren Schmuck. Anna Wintour zum Beispiel trägt in Wirklichkeit immer nur Fifties-Kleider und ihre Accessoires sind aber sehr modern – Riesenbrille, kurze Haare, großer Schmuck, Kitten-Heels meistens. Kitten-Heels sind überhaupt sehr fifties, aber es kommt dabei auch immer auf die Farbkombi an. Ich finde im Fifties-Stil darf es ruhig auch mal ein bisschen lauter werden, was die Farben betrifft. Denn beige Schuhe und hautfarbene Strumpfhose, Erdbeertäschchen und kleine Perlohrringe sieht dann gestrig aus. Ich persönlich schätze ja den weiten Rock für die Bewegungsfreiheit, dass ich nach dem Essen auch mal meinen Bauch ein bisschen entspannen kann, ohne dass man es auf den ersten Blick sieht. Man kann also unter einem so weiten Rock auch viel kaschieren. Ich trage diese Kleider im Sommer am allerliebsten mit allen möglichen Sandalen oder im Winter mit spitzen Ballerinas oder auch mit derben Stiefeln. Ich finde, man kann zu einem solchen Kleid sehr viel tragen.
Sie entwerfen auch regelmäßig Dirndl-Kollektionen. Welche Farben, Muster und Stoffe sind 2019 bei Tracht angesagt?
Was angesagt ist, davon habe ich leider nicht die geringste Ahnung, weil mich Trends in Bezug auf Tracht noch viel weniger kümmern als bei meiner Prêt-à-porter-Kollektion. Ich finde Trends sind für die Masse da, und ich mache gerne Dinge, die sich von der Masse abheben. Wenn alle rosarote Dirndl machen, dann gibt’s bei mir dunkelgrüne.
Einige Designer-Dirndl, die man inzwischen sieht, schauen gar nicht mehr wie klassische Dirndl aus, sondern eher wie kurze Abendkleider – mal fehlt die Schürze, mal die Bluse, mal beides. Kann man hier noch von einem Dirndl sprechen? Was muss ein Dirndl für Sie unbedingt haben?
Ich finde es einerseits schön, dass es eine große Freiheit nicht nur in der Mode sondern auch in der Tracht gibt – Tracht war ja früher ein Erkennungsmerkmal von verschiedenen Ständen. Dass das abgeschafft wurde, dafür bin ich sehr dankbar. Nichtsdestotrotz folge ich als große Botschafterin von traditionellem Handwerk dem, was für mich ein Dirndl ausmacht: dem Leib, der Bluse, dem Kittel und der Schürze. Das sind die Bestandteile für ein klassisches Dirndl. Ein modernes Dirndl kommt jedoch in meinen Kollektionen nicht vor. Wenn ich ein Kleid mache, das als Dirndlersatz getragen werden kann, ist es ein trachtiges Kleid und kein Dirndl.
Welche Kleidungsstücke entwerfen Sie am liebsten? Warum?
Sommerkleider sind meine größte Stärke, weil ich es liebe, Prints selbst zu entwickeln. Am liebsten Blumenprints oder wie in diesem Sommer welche mit Früchten. Ich liebe es auch, einfach in den Archiven zu wühlen, bis ich den Stoff oder das Muster gefunden habe, das zu mir und zu der Welt, die ich in meinen Kollektionen kreiere, passt, um es dann für mich neu aufzulegen. Für mich kommt immer der Stoff zuerst, dann der Entwurf.
Fertigen Sie noch Skizzen für neue Stücke an, oder entsteht heute alles am PC? Und welche Schritte folgen bis zum fertigen Kleid – wie muss man sich diesen Prozess vorstellen?
Ich mache Skizzen von jedem einzelnen Teil. Ich arbeite aber lieber direkt mit dem Stoff und dem Zubehör als mit Stiften. Am Computer wird bei uns gar nichts gemacht. Das klingt vielleicht etwas rückschrittlich, aber die Qualität von echtem Schneiderhandwerk in seriell produzierte Ware zu bringen, gelingt nur, wenn das Stück im Atelier entsteht. Wenn die Produzenten einfach nur eine Computerskizze von mir umsetzen würden, dann wäre jeder Schnitt abgesimpelt. Das ist vermutlich auch das Problem von Premium-Marken, die Zara schon längst überholt hat. Zara traut sich mehr. Sie machen Masse und hängen trotzdem spektakulärere Schnitte in ihre Geschäfte zum kleinen Preis und in gewagten Farbkombinationen. Was die Designs betrifft, sind sie wirklich Fashion Forward und nicht „Wir trauen uns nicht". Ich glaube, dass deshalb viele mittelständische Unternehmen diese Zeit nicht überleben.
Funktioniert bei Ihnen immer alles reibungslos oder ist auch schon mal etwas schiefgelaufen?
Dauernd! Überall sitzen nur Menschen – es gibt den Weber, den Färber, den Spinner, den Shipper, den Zuschneider, den Näher, die Endfertigung und so weiter.Natürlich kann an jeder dieser Stellen etwas schiefgehen. Perfektes Beispiel: Knöpfe annähen … Man hat das perfekte Teil und die Knöpfe fallen schon bei der Anprobe ab. Das kann bei jeder Preisklasse passieren. Bei uns wird jedes einzelne Teil im Atelier in Wien von Hand kontrolliert, weil wir natürlich in unserer Preisklasse gewährleisten wollen, dass der Kunde nur das Beste bekommt.
Was tragen Sie persönlich am liebsten?
Kleid, Strickweste, selbsthaftende Strümpfe und Ballerinas und meistens auch noch ein Unterkleid aus Seidenjersey.
Schneidern Sie sich und Ihrem kleinen Sohn die Kleidungsstücke selbst?
Ich wünschte ich könnte, ich habe leider keine Zeit dafür. Ich habe für Johann schon so viele nette Ideen und auch schon Stoffe zur Seite gelegt, aber ich habe einfach keine Zeit. Hatte es gerade geschafft, vor seiner Geburt eine Bettwäsche für ihn zu nähen, weil ich einfach nirgendwo eine schöne Bettwäsche für Babys gefunden habe. Ich habe sie dann für meinen Baby Concept Store Bunny Bogart in Serienproduktion genommen, und jetzt gibt’s auch schöne nostalgische Bettwäsche für Babys. Johanns Taufkleid habe ich auch selbst genäht und eine Weste gehäkelt.
Was wird uns bei Ihrer Frühjahrs-/Sommerkollektion erwarten?
In der Spring/Summer-2019-Kollektion Tutti Frutti ist der Name Programm. Lebendige Farben, tropische Motive und fruchtige Prints zieren die Entwürfe. Carmen Miranda mit ihrem weltbekannten „Tutti Frutti Hat" vor den bunt gestreiften Häusern an den Uferstraßen der portugiesischen Costa Nova versinnbildlicht im Großen und Ganzen die Designs. Ich finde die Kollektion versprüht unglaublich viel Lust und Lebensfreude.
Wie kombiniert man die Stücke am besten?
Ich liebe den Mustermix. Das ist aber nicht jedermanns Sache. Deshalb designe ich gerne auch Sommer-Prints, die man zu schwarz kombinieren kann. Weil es erstens ein safe bet ist, auch gut verkäuflich, und ich liebe es in der Übergangszeit – wo es eigentlich noch zu kalt ist dafür, es kombinieren zu können mit einer schwarzen Strumpfhose. Das ist das Schönste, denn dann kann man sich den Sommer schon in der kalten Jahreszeit in den Schrank holen.