Sie gehören mit zu den Wahrzeichen der Stadt: Papierkörbe in Knallorange oder das Müllauto „Tonnosaurus Rex". Die Berliner Stadtreinigung sorgt dafür, dass uns 1,4 Millionen Tonnen Haushaltsabfall ebenso wenig erdrücken wie Berge von Coffee-to-go-Bechern. Zum Großstadt-Müll gehören aber auch: Verpackungen, die übers Duale System recycelt werden; Bemühungen um weniger Müll; die Frage, was mit Speiseresten oder Papier geschieht – und wer unsere Tonnen leert. Überhaupt: Wer bestimmt eigentlich, was weg muss? Andreas Thürmer von der BSR macht mit uns den Parforceritt durch die Abfallbelange. Und wir stellen auf den nächsten Seiten weitere spannende Fragen.
Herr Thürmer, warum ist die BSR orange?
Das ist eine klassische Warnfarbe, die wir – wie viele andere kommunale Entsorgungsunternehmen – schon seit Jahrzehnten nutzen. Durch die hervorragende Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in Orange und unsere erfolgreichen Kommunikationskampagnen ist die Farbe Orange in Berlin mittlerweile fest mit der BSR verbunden.
Sie haben mit Sprüchen wie „We kehr for you" ein Image in der Öffentlichkeit geschaffen, mit dem Sie richtig populär geworden sind. Wie haben Sie das gemacht?
Das geht zurück in das Jahr 1997. Damals sagten wir uns, wir können noch so viel putzen, die Stadt wird nicht sauberer, wenn die Leute sich nicht anders verhalten. Von unserer Agentur wussten wir, dass die Bürger die BSR eigentlich nur als verlängerten Arm der Berliner Verwaltung wahrnehmen. Also mussten wir erst mal zeigen, das sind Menschen wie du und ich, die einen wichtigen Job für uns alle machen. So entstand der Spruch „we kehr for you". 1998, nach der Loveparade trugen alle Mitarbeiter, die da sauber machten, ein solches T-Shirt – und es war ein Riesenerfolg. Im Frühjahr 1999 gab es dann in der Stadt viele Plakate mit den neuen Sprüchen.
Seitdem gab es weitere Plakatkampagnen, Sprüche auf Fahrzeugen, auf Papierkörben … Haben die „Helden in Orange" Nachwuchssorgen?
Im vergangenen Jahr haben sich auf eine Ausschreibung von 50 Stellen bei der Müllabfuhr mehr als 1.000 Menschen beworben. Da haben wir immer noch deutlichen Zulauf. Akut fehlen uns aber wie überall Fachkräfte: Kraftfahrer, IT-Spezialisten, Ingenieure, Elektrotechniker.
Berlin wächst und der Müllberg mit. Wie werden Sie damit fertig?
In der Tat, die Stadt wächst pro Jahr um rund 40.000 Menschen. Auch die Zahl der Gäste unserer Stadt nimmt ständig zu – wir sind jetzt bei 33 Millionen Übernachtungen pro Jahr. Das hat natürlich Einfluss auf die Abfallmengen. Dennoch: Die Gesamtmenge ist in etwa konstant bei 1,4 Millionen Tonnen geblieben. Das liegt daran, dass die Pro-Kopf-Menge in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen hat, von über 400 Kilogramm im Jahre 2009 jetzt auf 380. Aber die 1,4 Millionen Tonnen sind nur der Abfall aus privaten Haushalten – wie Biomüll, Restmüll und Teile der Wertstofftonne –, für den wir zuständig sind. Wenn Sie die Gewerbeabfälle und Bauschutt dazu rechnen, sind Sie bei etwa acht Millionen Tonnen.
Wer ist für die zuständig?
Gewerbebetriebe können sich ihre Entsorger selbst aussuchen, da gibt es eine Vielzahl von Unternehmen.
Die Entsorgung von Hausmüll ist hingegen Ihre Aufgabe. Aber dennoch: Die Alba-Tonnen stehen doch direkt neben Ihren…
Alba arbeitet im Auftrag der Dualen Systeme (unter anderem DSD). Da geht es um die Sammlung und Entsorgung von gebrauchten Verkaufsverpackungen. Wer Verkaufsverpackungen in den Verkehr bringt, muss für die Entsorgung zahlen – und daraus finanzieren sich die Dualen Systeme, die dann wiederum die Entsorgungsaufträge an Firmen vergeben. In Berlin ist das bei Leichtverpackungen – also ursprünglich gelbe Tonne – derzeit die Firma Alba. Die Tonne selbst kostet dann nichts, da wir das alle schon an der Ladenkasse bezahlt haben.
Sie erledigen auch die Straßenreinigung, aber Berlin ist und bleibt in vielen Augen eine dreckige Stadt. Wie kommt die Metropole von
diesem Vorurteil weg?
Berlin ist in Deutschland mit Abstand die Stadt mit den meisten unterschiedlichen Kulturen, den meisten Touristen, den meisten hochanonymen Wohnsituationen. Das hat zur Folge, dass die Stadtsauberkeit von viel mehr Faktoren abhängt und deutlich schwerer zu erreichen ist als woanders. Aber dennoch: Berlin ist in den letzten Jahren deutlich sauberer geworden. Das sagen nicht nur verschiedene Studien. Das kann man auch am Beispiel Hundekot sehen. Damit hatten wir noch vor zehn, 15 Jahren enorme Probleme – das ist deutlich zurückgegangen, weil sich die Leute heute anders verhalten. Das Thema ist stärker ins Bewusstsein gerückt. Noch in den 1990er-Jahren hieß es: Ach der arme Hund, der muss ja schließlich irgendwo hinmachen. Heute wird ein Hundebesitzer schräg angeguckt, wenn er das Häufchen nicht wegmacht.
Seit kurzem reinigt die BSR auch Parks und Grünanlagen – unter anderem den Görlitzer Park. Ist das ein Prestigeprojekt?
Die Sauberhaltung der Grünflächen ist ein Pilotprojekt, das zunächst bis Ende 2019 läuft, aber wahrscheinlich weitergeht. Derzeit reinigen wir 46 Parks und drei Forstgebiete. Wir können uns vorstellen, das zu einer dauerhaften Aufgabe zu machen, weil diese Flächen immer wichtiger werden für die Stadtbevölkerung. Insofern könnte man das natürlich auch noch auf weitere Flächen ausweiten. Für alle Berliner Parks, Grünflächen und Spielplätze – immerhin 2.700 einzelne Flächen inklusive der Spielplätze mit einer Fläche von rund 6.000 Hektar – bräuchten wir 1.000 Beschäftigte mehr, das ist natürlich nicht von heute auf morgen möglich. Aber es kommen auch sonst mehr Aufgaben auf uns zu. Denken Sie an die Radwege. Durch das Mobilitätsgesetz werden das immer mehr, abgetrennt von den Straßen, die müssen auch sauber und im Winter schnee- und eisfrei gehalten werden.
Aber was tun Sie, wenn mal wieder jemand seine ganze Wohnzimmergarnitur auf die Straße gestellt hat? Brauchen wir eine Müllpolizei?
Es gibt eine klare Aufgabenzuteilung, egal ob man das Müllpolizei, Waste Watcher oder wie auch immer nennt. In Berlin sind dafür die bezirklichen Ordnungsämter zuständig, die jetzt auch mehr Personal bekommen.
Nimmt das zu mit den illegalen Ablagerungen?
Jedenfalls werden immer mehr gemeldet, die Bürger lassen sich das nicht mehr gefallen. Die Mentalität: Ich stelle alles auf die Straße – es wird schon abgeholt, ist leider verbreitet. Wir holen auch ab, wenn das Ordnungsamt uns beauftragt, aber nicht so rasch, dass jeder denkt: Ach, das klappt ja wunderbar, jetzt stelle ich meine Sachen auch raus. Es ist immer schwer, die Verursacher dingfest zu machen. Häufig handelt es sich auch um Entrümpler, die eine Wohnung auflösen und dann feststellen, dass sie die Hälfte davon nicht verkaufen können. Auch die Sammler vor den Recyclinghöfen, die behaupten, sie könnten aus dem Fernseher noch etwas machen. Die holen die wertvollen Teile raus und schmeißen den Rest in die Landschaft.
Was meinen Sie, kann man den Umgang der Menschen mit ihrem Müll ändern?
Da hat sich in den letzten Jahren schon vieles getan. Im Grunde brauchen Sie neben den professionellen Dienstleistungen zur Reinigung und Entsorgung drei Dinge: die richtigen Angebote zur ordnungsgemäßen Entsorgung, wie zum Beispiel die 23.000 Papierkörbe in Berlin, um den Abfall loszuwerden. Dann müssen wir das Bewusstsein schaffen für den eigenen Beitrag zur Stadtsauberkeit, zum Beispiel durch Abfallberatung in Schulen und Kitas und unsere gesamten Kommunikationsmittel. Und das dritte: Man braucht auch ein Stück weit Vollzug, also Sanktionen.
Also mehr zahlen für den Müll? Wie finanziert sich die BSR?
Wer Sperrmüll illegal entsorgt, muss dafür zahlen, wenn er erwischt wird. Die Entsorgung der illegalen Ablagerungen durch die BSR zahlt das Land Berlin. Im Wesentlichen finanzieren sich die Leistungen der BSR aus den Gebühren für Abfallentsorgung und die Straßenreinigung. Die Straßenreinigungsgebühren zahlt dabei jeder, der in Berlin ein Grundstück besitzt. Die Stadt ist in Reinigungsklassen eingeteilt, die festlegen, wie oft eine Straße gereinigt wird. Von den Kosten für die Straßenreinigung trägt das Land Berlin 25 Prozent, 75 Prozent der Kosten fließen in die Straßenreinigungsgebühren, die die Anlieger zahlen. Zum anderen die Müllgebühren: Wir haben „Produkte", die etwas kosten und andere, die nichts oder weniger kosten, im Programm. Die Nutzung der Recyclinghöfe ist kostenlos, ebenso die Wertstofftonne und die Entsorgung von Weihnachtsbäumen. Die Biotonne wird deutlich billiger angeboten als ihre realen Kosten, damit ein hoher Anreiz besteht, Biomüll zu sammeln. Übrigens ist ab April die Biotonne in Berlin Pflicht. Die Kosten für alles, was gratis oder vergünstigt ist, wird über den sogenannten Ökotarif, eine Grundgebühr, die jeder Haushalt zahlt, finanziert. Bei allem was wir tun, gilt das Kostendeckungsprinzip, es werden nur die tatsächlichen Kosten berechnet, Gewinne gibt es bei unseren hoheitlichen Aufgaben nicht.
Aber Sie betreiben doch auch ein Müllheizkraftwerk?
Richtig. Beim Verbrennen der Abfälle entsteht Dampf, also Wärmeenergie. Die verkaufen wir an Vattenfall, die damit Strom erzeugen und Fernwärme für bis zu 100.000 Haushalte. Auch das Methangas, das bei der Vergärung von Bioabfällen entsteht, bereiten wir bis auf Erdgasqualität auf und bringen es ins Gasnetz. Ein Teil unserer Müllfahrzeugflotte hat erdgasbetriebene Motoren und fährt damit. Das ist ein toller Kreislauf, der schon mehrfach prämiiert wurde. Aber mit alledem machen wir kein Plus, denn bevor wir Gas oder Wärme erzeugen, müssen wir ja erst mal die Stoffe alle einsammeln und aufwendig verarbeiten. Wir haben es mal nachgerechnet: Rentieren würde sich die Biogaserzeugung aus Bioabfall erst, wenn der Diesel einmal 20 Euro pro Liter kosten würde.
Die Umweltsenatorin spricht von „Zero Waste", also gar kein Müll mehr. Ist das nicht Traumtänzerei?
Kommt darauf an, was man darunter versteht. In New York heißt Zero Waste: Kein Abfall mehr auf die Deponien. Berlin versteht darunter: Abfallvermeidung, mehr Wiederverwendung, möglichst viele Stoffströme getrennt sammeln und verwerten. Diese Ziele unterstützen wir uneingeschränkt. Kein Gramm Abfall mehr – das wäre Traumtänzerei. Wie weit man kommt, hängt auch vom Verhalten der Einzelnen ab. Manchmal widersprechen sich auch die Ziele.
Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie mal ein Auto. Einen VW-Käfer von 1962 können Sie in die Schrottpresse geben und nahezu vollständig recyceln. Das geht heute überhaupt nicht mehr, weil bei der heutigen Leichtbauweise im Auto so viele unterschiedliche Verbundstoffe verwendet werden, für die es noch keine Recyclingverfahren gibt. Und warum Leichtbau? Um Gewicht zu reduzieren, damit Sprit zu sparen, und so die Umwelt zu entlasten. Und auch das ist natürlich richtig.
Kann der Einzelne da etwas tun?
Ja, zum Beispiel bewusster einkaufen. In den Supermärkten ist ja heute so gut wie alles verpackt. Das muss nicht immer sein und da können die Verbraucher sich auch dagegen entscheiden. Oder der Kauf von Produkten mit längerer Lebensdauer, die auch reparierbar sind.