USB-Sticks, DVDs, Festplatten: In fast jedem Haushalt lagern private Erinnerungen auf einem Datenträger. Die wenigsten wissen, dass viele Speichermedien schon nach wenigen Jahren kaputtgehen. Doch es gibt Abhilfe.
Das Geräusch, das Johannes Gfeller bei seiner Arbeit am häufigsten hört, ist ein Quietschen. Und das ist kein gutes Zeichen. „Wenn ein Videoband quietscht, hat es schon angefangen, sich zu zersetzen", sagt Gfeller, während er vorsichtig eine Rolle in einen Videorekorder aus dem Jahr 1970 einlegt. Zunächst sieht alles gut aus. Das Band wird eingezogen, läuft langsam an – und hakt.
Wer zu Hause eine alte Video- oder Musikkassette abspielen möchte, kennt das Problem: Das jahrelange Lagern hat den Medien zugesetzt, oft werden die Aufnahmen nur noch verzerrt wiedergegeben. Im schlimmsten Fall droht Bandsalat – und damit das Ende vieler Erinnerungen.
Johannes Gfeller hat dieses Problem jeden Tag. Der 63-Jährige arbeitet als Professor für Konservierung neuer Medien und digitaler Information an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. In seiner Werkstatt liegen Scheren, Zangen, Taschenlampen und Schraubenzieher auf dem Tisch, daneben ein dicker Wälzer: das „Kompendium der Bildstörungen".
Gfeller weiß genau, wie man alte Aufnahmen wieder flottkriegt: „Zunächst setzten wir ein Vlies zum Reinigen ein, an dem wir die Bänder vorbeilaufen lassen. Wenn das nichts hilft, geht es in den Ofen." Bei 55 Grad werden die Bänder dann einer thermischen Behandlung unterzogen. „Nach einer erneuten Reinigung", sagt Gfeller, „ist die Bildqualität wie am ersten Tag."
Daten regelmäßig überspielen
Für die Gegenwart mag der praktische Nutzen etwas abwegig erscheinen – wer hat heute schon noch eine VHS-Kassette im Schrank? In Wahrheit aber arbeitet Gfeller an nichts Geringerem als dem Gedächtnis einer ganzen Generation. Dabei geht es nicht nur um alte Videokassetten, die in Stadtarchiven, Kunstmuseen oder heimischen Kellern lagern. Es geht auch um Millionen von CDs, DVDs, Blurays, USB-Sticks, SD-Karten und Festplatten, die die Menschheit derzeit als Speichermedien nutzt.
Dass Papier über Jahrhunderte halten kann, ist bekannt. Bei neuen Datenträgern sieht das anders aus: Manche haben eine Lebenserwartung von nur wenigen Jahren. Danach sind die geliebten Heim-Videos, Kindheitsfotos oder eingescannten Steuerbescheide womöglich für immer verloren. „Im privaten Rahmen mag man einen solchen Verlust noch verkraften", sagt Gfeller. „Für eine Institution wie Stadtarchive oder Museen geht das natürlich nicht. Deren kulturelle Aufgabe ist es, ihre Sammlungen zu erhalten."
Doch wie lange hält eine Festplatte, wenn sie im Schrank liegt? Wie lange eine DVD? Oder ein USB-Stick? Genau weiß das bislang niemand, da Langzeit-Beobachtungen fehlen. „Viele Medien können aber schon nach wenigen Jahren die auf ihnen gespeicherten Informationen verlieren", warnt Gfeller. „Sie sind dann nicht mehr oder nur noch teilweise lesbar." Der Konservierungsexperte rät deshalb, Daten regelmäßig zu überspielen und Festplatten auszutauschen – aufwendig, aber effektiv.
Obwohl nahezu jeder betroffen ist, beschäftigen sich erstaunlich wenige mit der Materie. „Das Thema ist noch nicht im Bewusstsein angekommen", sagt Gfeller. Nur sechs Studierende seien für den aktuellen Masterstudiengang eingeschrieben. Auch die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt sei gering. „Einzelne Museen suchen Medien-Restauratoren. Aber eine flächendeckende Konservierung fehlt." Noch, möchte man hinzufügen.
Welche Standards sind zukunftssicher?
Denn es gibt ein zweites Problem: Heute kann jeder PC eine Bild-Datei anzeigen, Musik wiedergeben oder ein Word-Dokument öffnen. Doch werden Geräte in 20 Jahren auch noch imstande sein, die Formate „jpg", „mp3" oder „docx" zu lesen? „Aus heutiger Sicht klingt das selbstverständlich", sagt Gfeller, „aber das ist es nicht. Versuchen Sie heute mal ein Computerspiel abzuspielen, das vor 15 oder 25 Jahren auf den Markt kam."
Erschwerend hinzu kommt, dass bestimmte Dateiformate nicht frei verfügbar sind, sondern einem bestimmten Unternehmen gehören. „Das pdf-Format wurde von Adobe auf den Markt gebracht", sagt Gfeller. „Theoretisch könnte es die Firma auch wieder zurückziehen." Manche Firmen entwickeln ihre Software nicht weiter oder gehen schlichtweg pleite – alles Szenarien, die man bei der langfristigen Archivierung im Kopf haben sollte.
Institutionen wie das Bundesarchiv setzten deshalb auf eine Methode, die sich „Migration" nennt. Dokumente, Tabellen, Statistiken und Videos, die digital vorliegen, werden regelmäßig in aktuelle Formate „umgespeichert". Dass auch das nicht immer reibungslos funktioniert, weiß jeder Heimnutzer, der schon einmal eine alte Text-Datei geöffnet hat. Nicht immer stimmen die Absätze; manchmal fehlen Seitenzeilen und Fußnoten oder das Layout sieht komplett anders aus. Behörden, die riesige Datenmengen verwalten, stellt dieses Phänomen vor eine Daueraufgabe. Nicht alle kommen mit dem Umspeichern hinterher.
Und was können Privatnutzer tun? Die geliebte Fotosammlung wieder auf Dias speichern? Oder hoffen, dass die zehn Jahre alte Festplatte vielleicht doch noch etwas länger durchhält? Johannes Gfeller rät zur Gelassenheit. „Es gibt auf dem Markt viele Geräte, die Top-Leistung zum Mini-Preis versprechen", sagt der Experte. So etwa einen Walkman mit USB-Anschluss, der Audio-Kassetten digitalisiert. „Das ist alles Quatsch", meint der Professor, denn nur selten sei die Qualität am Ende akzeptabel. Videos und Musik professionell zu restaurieren ist aufwendig und teuer. Spezialfirmen haben sich dieser Aufgabe verschrieben. Ob sich der Aufwand auch für beschädigte Privataufnahmen lohnt, muss jeder selbst entscheiden.
Damit es erst gar nicht so weit kommt, sollte man alle Dateien regelmäßig auf einer zweiten Festplatte sichern und diese möglichst außerhalb der eigenen Wohnung verstauen. So können die Daten nicht so schnell einem Feuer oder einem Einbruch zum Opfer fallen. Auch klassische Fotoalben oder Fotobücher hält Gfeller für eine gute Idee, zumindest für besonders wertvolle Erinnerungen: „Die Qualität dieser Bücher ist erstaunlich. Die halten vermutlich länger als unser eigenes Leben."