Mit einer neuen Industriestrategie will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Chinas Kaufrausch in Deutschland eindämmen. Dabei kommt der chinesische Investor auch gerne mal durch die Hintertür auf den deutschen Markt, wie ein grenzüberschreitender Fall in Luxemburg zeigt.
Google, Baidu, Apple, Geely, Tesla oder Alibaba: Die wirtschaftlich stärksten und innovativsten Unternehmen der Welt kommen längst nicht mehr aus Deutschland, sondern aus den USA und China. Aus dem „Reich der Mitte", das jahrzehntelang zu Recht im Ruf stand, gern mal zu kopieren, ist mittlerweile ein Global Player in Sachen Internettechnologie, Digitalisierung, Klimatechnologie, Robotik oder Mobilität geworden – nicht zuletzt durch strategische Zukäufe auch in Deutschland.
Damit der chinesische Drache nicht zu übermütig wird, soll die deutsche „Industriestrategie 2030" als Gegenpol zu „Made in China 2025" (MIC2025) deutsche Interessen schützen, notfalls auch durch staatliches Eingreifen. Denn „je größer die volkswirtschaftliche Bedeutung eines Vorgangs, desto größer muss der Spielraum des Staates für aktive und aktivierende Gestaltung sein. Dies kann bei Herausforderungen, die für eine Volkswirtschaft existenziell sind, bis zur zeitlich befristeten Übernahme von Anteilen oder Gewährung von Beihilfen gehen", heißt es in dem Papier. Doch durch die Verflechtungen von deutschen und ausländischen Unternehmen kommt der Drache mittlerweile durch die Hintertür. Der Fall des Luxemburger Energiekonzerns Encevo macht deutlich, dass eine nationale Strategie alleine keinerlei Einfluss haben kann.
Spätestens seit die chinesische HNA Airport Group beim Flughafen Frankfurt-Hahn eingestiegen ist und der Chef des chinesischen Autoherstellers Geely binnen Wochen zehn Prozent von Daimler aufkaufte, schrillen die Alarmglocken. Kuka, der Augsburger Robotikspezialist, ein Weltmarktführer, war das öffentlichkeitswirksame Fanal: Chinesische Unternehmen besitzen mittlerweile genügend Mittel, um sich Konkurrenten oder neue Sparten einfach zu kaufen. Seit 2016 gehört Kuka nun dem chinesischen Haushaltsgerätehersteller Midea.
China investiert strategisch in Zukunftstechnologien
Ganz klar im Visier: Schlüssel- und Zukunftstechnologien wie Robotik, Künstliche Intelligenz oder eben Infrastruktur wie Telekommunikations-, Strom- und Gasnetze. Das muss dem Laien nicht einmal chinesisch vorkommen, denn die staatlich ausgegebene Strategie ist in der Agenda MIC2025 der chinesischen Kommunistischen Partei (KP) unmissverständlich formuliert: Das Reich der Mitte will in zehn zukunftsträchtigen Themenbereichen klar den Ton angeben. Und dazu scheint den Staatslenkern aus Fernost fast jedes Mittel recht zu sein. Skrupel und Bedenken, das lehrt die Geschichte, werden in der westlichen Welt auch gerne mal beiseitegeschoben, wenn der Käufer mit dem entsprechenden Kleingeld winkt. Das hat die chinesische Staatsmacht im Umgang mit dem Westen schnell und einfach gelernt.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Hürden für die Übernahme deutscher Unternehmen durch chinesische Investoren nun künftig mit seiner neuen Strategie ein Stück höher gelegt. Zumindest wird der beabsichtigte Einkauf härter geprüft, vor allem wenn es um kritische Infrastruktur geht. Somit konnte im vergangenen Jahr auf Betreiben von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) der Einstieg des staatlichen Energiekonzerns State Grid Corporation of China beim ostdeutschen Stromnetzbetreiber 50 Hertz verhindert und der Fujian Grand Chip Investment die Übernahme des Halbleiter-Anlagenbauers Aixtron untersagt werden. Experten aus der deutschen Wirtschaft sehen das staatliche Vorgehen allerdings durchaus kritisch und warnen vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen des chinesischen Staatsapparates. Schließlich gilt China für die exportorientierte Wirtschaft Deutschlands als lukrativer Zukunftsmarkt.
Dass das Ungleichgewicht zwischen den Beschränkungen für europäische Firmen in China einerseits und der chinesischen Einkaufstour jedoch nicht mit einem nationalen Strategiepapier, sondern nur auf europäischer Ebene aufgelöst werden kann, zeigt Encevo S.A. deutlich. Während der größte Stromkonzern Chinas, SGCC, bei 50 Hertz nicht zum Zuge kam, hat sich der zweitgrößte fast zeitgleich im Sommer 2018 beim Luxemburger Energiekonzern Encevo eingekauft. Für umgerechnet rund 400 Millionen Euro hat der Netzbetreiber China Southern Grid Company (CSG) die Anteile des Investors Ardian, früher Axa, übernommen. Mit 25,3 Prozent ist CSG nunmehr an Encevo beteiligt. Der Luxemburger Staat hält durch eigene Anteile sowie über die Stadt und staatliche Unternehmen wie Post und Sparkasse nach wie vor die Mehrheit an Encevo, zog allerdings auch nicht das Vorkaufsrecht beim Ausstieg von Ardian. Angeblich war die Übernahme der Ardian-Anteile nach Angaben des „Handelsblatts" zu teuer. Gleichzeitig wären nach Angaben von Ardian alle Stakeholder im In- und Ausland vorzeitig über den Verkauf informiert worden und niemand sei dagegen gewesen. Der Einstieg der Chinesen in Luxemburg wäre im Prinzip eine rein Luxemburger Angelegenheit.
Für Luxemburg angeblich zu teuer
Doch hinter der Holding Encevo verbergen sich unter anderem die Netzgesellschaft Creos Luxembourg und die Vertriebsgesellschaft Enovos Luxembourg, und die sind wiederum mehrheitlich an der Creos Deutschland Holding und an Enovos Deutschland beteiligt. Creos Deutschland ist Strom- und Gasnetzbetreiber im Saarland und in Rheinland-Pfalz und Enovos Deutschland Gaslieferant zahlreicher Stadt- und Gemeindewerke sowie großer Industriekunden.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sieht diese Entwicklung durchaus kritisch: „Wir brauchen keine Angst vor Wettbewerbern zu haben, aber die staatlich gelenkten Unternehmen aus China befinden sich auf Einkaufstour in Europa. Umgekehrt ist es europäischen Unternehmen nämlich nicht möglich, sich an chinesischen Infrastrukturunternehmen zu beteiligen. Wettbewerb ja, aber dann zu gleichen Bedingungen." Mit einem Anteil von mehr als 25 Prozent an einem Unternehmen könnten die neuen chinesischen Investoren also nicht nur lernen, wie oftmals vorgegeben, sondern es bestehe auch die Möglichkeit, einen Geschäftsführer zu bestellen, warnte Altmaier. Unlängst geschehen ist dies bei Kuka. Dort musste Geschäftsführer Till Reuter gehen – jener Till Reuter, der sich 2016 noch für den Verkauf von Kuka an Midea starkgemacht hatte.
„Wir müssen im Zusammenhang mit China viel europäischer denken", so Minister Peter Altmaier – und will sagen, man solle auf den eigenen Vorteil bedacht sein. Besonders von den Aufkäufen gefährdet ist der deutsche Markt, weil er stark mittelstandsgeprägt ist und damit potenziell interessanter als der US-amerikanische, stark konzerndominierte Markt. Immerhin gebe es in Deutschland zahlreiche „Hidden Champions", also eher unbekannte Weltmarktführer in ihrer hochspezialisierten Sparte, so eine Bertelsmann-Studie. Diese stellt fest: „Der Großteil der 112 MIC 2025-relevanten chinesischen Beteiligungen (knapp 60 Prozent) verteilt sich auf nur drei Bundesländer: Baden-Württemberg (26), Nordrhein-Westfalen (22) und Bayern (18 Unternehmen) – und damit auf genau die Regionen, in denen der Großteil der deutschen ‚Hidden Champions‘ angesiedelt ist." Zwei Drittel der Investitionen erfolgen in Branchen, die relevant für die Vorgaben des MIC 2025 sind. Ein Schelm, wer eine Strategie dahinter vermutet.
Nur auf EU-Ebene effektiv
Nun kann man sich fragen, was die CSG mit einem rund 25-prozentigen Anteil an Encevo in Luxemburg anfangen möchte. Bleibt es bei einer reinen Finanzbeteiligung oder ist es vielmehr der gelungene Auftakt einer geplanten, groß angelegten Einkaufstour? Schaut man, wo sich Encevo mit ihren Beteiligungen neben Deutschland noch so tummelt, liest man Belgien und Frankreich. Doch von der vor Jahren so vollmundig angekündigten großen Eroberungsstrategie der Encevo in Westeuropa ist nicht mehr viel zu hören. Aufgrund der beteiligungsrechtlichen Verflechtungen scheint nur Deutschland weiterhin ein lukratives Ziel zu sein. Aus der Luxemburger Unternehmenszentrale klingt aber nur das Schweigen. Dass die Chinesen dem Treiben der Encevo tatenlos zuschauen, ist wohl kaum anzunehmen. Das zeigt das Beispiel Cargolux. An der Luxemburger Frachtfluggesellschaft ist seit 2014 die chinesische HNCA mit 35 Prozent beteiligt. Der Austausch zwischen Luxemburg, im Herzen Europas, und dem Flughafen Zhengzhou in der Provinz Henan, einem gewaltigen Verkehrs-Hub für das chinesische Projekt der „neuen Seidenstraße" in Südchina, hat sich seither enorm entwickelt. Die Chinesen machen Druck: Das Unternehmen ist wieder in die Gewinnzone geflogen.