Berlins Innensenator hat laut über Olympia nachgedacht und damit viel Wirbel ausgelöst. Vor allem der mögliche Zeitpunkt der Spiele stieß auf Kritik.
Eigentlich sollte Andreas Geisel über Verwaltungsmodernisierung sprechen. Angesichts des sperrigen Themas schien Berlins Senator für Inneres und Sport beim Frühstückstreffen in der Industrie- und Handelskammer fast froh, als die Sprache irgendwie auf Olympia kam. Geisel war plötzlich in Plauderlaune – und sorgte so ungewollt für einen Aufreger, der weit über die Stadt- und Sportgrenzen hinausging.
Geisel sprach sich bei dem Termin für eine „nationale Bewerbung" für die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2036 aus. Ausgerechnet 100 Jahre nach den Nazi-Spielen 1936 in der deutschen Hauptstadt. Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten, vor allem aus der Politik gab es reichlich Schelte für Geisel.
„Olympische Spiele ’36, als nationale Sache, in Berlin – da war doch irgendwas, oder?", twitterte Politikerin Anja Schillhaneck von den Grünen. Udo Wolf, Vorsitzender der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, sagte: „Ein schlechter Scherz, oder? Als ob der letzte Versuch nicht schon peinlich genug gescheitert wäre." 2015 hatte Berlin in der internen Abstimmung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gegenüber Hamburg den Kürzeren gezogen. Hamburg hatte letztlich aufgrund eines negativen Bürgervotums (51,6 Prozent Nein-Stimmen) von einer offiziellen Bewerbung für Olympia 2024 Abstand genommen.
Grünen-Politikerin Schillhaneck führte in ihrer jetzigen Kritik gegen den Geisel-Vorschlag fast alle Argumente der damaligen „NOlympia"-Bewegung zusammen: „Lasst uns das Geld dafür sinnvoller einsetzen, in Berlin und anderswo: für bezahlbares Wohnen, soziale Gerechtigkeit, den ökologischen Umbau und den Kampf gegen den Klimawandel. Nicht für Olympiaträume."
„Lasst uns das Geld sinnvoller einsetzen"
Die Empörung über seinen Vorstoß konnte Geisel nicht nachvollziehen. Berlins Innensenator fühlte sich missverstanden, nachdem die Nachricht längst in Zeitungen und im Internet verbreitet und kommentiert worden war. „Es ist ein allgemeiner Irrtum", sagte der SPD-Politiker dem „Tagesspiegel". „Ich habe ganz explizit gesagt, dass Berlin sich nicht bewerben wird. Ich möchte, dass die Bundesrepublik sich bewirbt. Und wenn die Bundesrepublik uns auffordert, das auszurichten, dann machen wir das."
Sein Hauptargument für einen erneuten Bewerbungsversuch ist jedoch nicht die Begeisterung für den Sport, sondern die schlechte Finanzsituation. „Olympia wäre ein perspektivisches Event, auf das wir hinarbeiten", sagte Geisel. Der für den Sport zuständige Innensenator erhofft sich durch eine Bewerbung Bundesmittel, mit denen die Infrastruktur der finanziell angeschlagenen Stadt verbessert werden könne. „Wir werden die Herausforderungen als wachsende Stadt nicht nur mit dem Berliner Landeshaushalt bewältigen", sagte er.
Dass Berlin 2036 an ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte erinnern würde, ist im Lager des Senators kein Problem – im Gegenteil. Man könne, beobachtet von der gesamten (Sport-)Welt, „ein Zeichen setzen, wohin sich Deutschland entwickelt hat – zu einem demokratischen, friedvollen und weltoffenen Land", sagte Thomas Härtel, Präsident des Landssportbundes Berlin und Parteikollege von Geisel.
Auf einen erneuten internen „Zweikampf" wie damals mit Hamburg wolle sich Berlin aber nicht mehr einlassen, betonte Geisel. Wenn sich Deutschland auf die Hauptstadt als Austragungsort einigen sollte, könne er sich aber eine offizielle Bewerbung mit einer Partnerstadt vorstellen. Geisel brachte die polnische Metropole Warschau ins Gespräch. Zwar trennen beide Städte 570 Kilometer, doch Doppel-Bewerbungen sind beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nicht unbedingt ein Nachteil. Das beste Argument wäre die Kostenreduzierung, die sich das IOC mit Präsident Thomas Bach formal ja auch auf seine Agenda 2020 geschrieben hat.
Die Kaufleute, denen Geisel seine Idee beim Frühstücksbankett in der Industrie- und Handelskammer präsentierte, sollen durchaus begeistert gewesen sein. IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder signalisierte die Zustimmung der Berliner Wirtschaft. Medial aber bekam Geisel vor allem wegen seines Zickzackkurses viel Gegenwind zu spüren. Die „Taz" ist sich sicher, dass die Olympia-Gegner aufatmen können, denn Geisel habe sich bei dem Thema so sehr die Finger verbrannt, dass er sie nicht noch einmal heben werde: „Solange Andreas Geisel Innensenator ist, wird es zu diesem Thema keinen neuerlichen Vorstoß von ihm mehr geben."
Rhein-Ruhr-Region will sich für 2032 bewerben
Die wenig ruhmreiche Vergangenheit der Olympia-Bemühungen von Berlin spricht in der Tat dafür, einen neuerlichen Vorstoß mit mehr Substanz und mit breiter Unterstützung vorzubringen. Die Bewerbung für die Millennium-Sommerspiele 2000 war begleitet von Korruptionsvorwürfen und Kommunikationspannen. Damals stand die Bevölkerung zwar hinter der Idee, doch fast alles andere lief halbherzig und fehlerhaft ab. Beim Bemühen um Olympia 2024 waren die Kritiker dagegen so stark und laut, dass der DOSB ein Bürgervotum in der Hauptstadt fürchtete und lieber Hamburg wählte. Doch auch die Hansestadt fiel am Ende durch.
Davon will sich das Projekt „Rhein Ruhr City 2032" nicht beirren lassen und forciert weiter eine Bewerbung für die Sommerspiele in 13 Jahren in der Rhein-Ruhr-Region. Im April will Eventmanager Michal Mronz sein Planungspapier für das Sportstättenkonzept vorstellen. Das größte Problem: Die Strahlkraft, die Berlin hat, geht der Region komplett ab. Trotzdem will der DOSB seinen Traum von Olympia nicht aufgeben. „Wir werden versuchen, Schritt für Schritt bis zum Jahr 2025 die Dinge vorzubereiten, weil dann die Entscheidung für 2032 ansteht", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann. Er sei „relativ zuversichtlich", dass „zwischen 2030 und 2040 der Zeitpunkt" komme, um „nochmals einen Anlauf" auf Olympia zu nehmen.
An der Politik soll es nicht scheitern. Sie stehe „der Idee, Olympische Spiele in Deutschland auszurichten, grundsätzlich positiv gegenüber, weil ich den Sport liebe", sagte Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im deutschen Bundestag. „Es gibt so viele Athleten, die sagen, Olympische Spiele im eigenen Land sind das Allergrößte. Allein die Tatsache ist Grund genug, dass wir uns in dieser Sache nicht grundsätzlich verschließen."
Doch Freitag betonte auch, dass dies angesichts der allgemeinen Skepsis gegenüber Sportverbänden und -funktionären „ganz, ganz harte Arbeit" sei – und zwar für alle. Für den DOSB, für die jeweilige Bewerberstadt, für die gesamte Region und die Menschen vor Ort. Alle müssten eine Bewerbung „tragen und akzeptieren", sagte Freitag, „und an dem Punkt sind wir gerade noch nicht."