Sie sind 14, 15 und 16 Jahre alt. Sie haben keinen Namen im Tennis-Zirkus und sind vor allem Schülerinnen. Bis sich ein paar dieser hochtalentierten Juniorinnen dem Niveau von Angie Kerber und „Jule" Görges annähern, klafft eine Lücke. Der „goldenen Generation" im Deutschen Tennisbund (DTB) folgt bei den Mittzwanzigern eine verlorene. Brisant ist dies längerfristig im Fed Cup, wo Lettinnen die Deutschen am 19. und 20. April aus der Spitzengruppe werfen könnten.
Spielen die dreifache Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber, 31 Jahre, und die deutsche Nummer zwei, Julia Görges, 30 Jahre, am Osterwochenende in Lettland gegen gefährlich starke Weltklassespielerinnen wie die frühere French-Open-Siegerin Jelena Ostapenko und die Elfte der WTA-Wertung Anastasija Sevatova, oder spielen sie nicht? Als klar war, dass Deutschland nicht im Halbfinale gegen die USA oder Australien antreten darf, sondern mit allen Mitteln gegen den Abstieg aus der Gruppe der acht besten Tennisnationen kämpfen muss, ging Teamchef Jens Gerlach davon aus, dass seine beiden Top-Spielerinnen der Damen-Nationalmannschaft, aufgrund ihres Hauptförderers auch „Porsche Team Deutschland" genannt, bei den Fed-Cup-Play-offs gegen Lettland mitkämpfen würden: „Die Message war, dass sie nur für die erste Partie abgesagt haben."
Im Viertelfinale des 56 Jahre alten Nationenwettbewerbs der Internationalen Tennisföderation ITF, als es Anfang Februar zu Hause in Braunschweig gegen Weißrussland ging, hatten Kerber und Görges einem Turnier in Doha den Vorrang gegeben. Die deutschen Damen gingen derweil mit Andrea Petkovic (Rang 68) und Tatjana Maria (Rang 67) als den beiden am höchsten positionierten Spielerinnen gegen übermächtige Weißrussinnen erbarmungslos 0:4 unter. Auch die Metzingerin Laura Siegemund, Ex-Nummer-27 der Welt, die am Jahresanfang bei den Australian Open die ehemalige Weltranglistenerste Victoria Azarenka besiegt hatte, konnte am Niedergang nichts ändern. Denn die Weißrussinnen ließen nicht Azarenka, sondern die urgewaltige Aryna Sabalenka antreten, gegen deren mächtige Aufschläge und pfeilstarke Returns die agilen Finessen der zierlichen Siegemund wenig ausrichten konnten. Ähnlich erging es am Vortag Petkovic bei ihrer 2:6-, 1:6-Niederlage gegen Sabalenka. Ex-Top-Ten-Spielerin und Stehaufmännchen „Petko" ist mit 31 Jahren eine eigentlich mitreißende Fed-Cup-Fechterin aus der „Golden-Girl-Generation".
Siegemund, gerade ebenfalls 31 Jahre geworden, zeigte sich von der erst 20-jährigen Aufsteigerin schwer beeindruckt: „Sabalenka war eine Klasse für sich. Als wenn man gegen Serena Williams spielen würde." Nicht einmal Top-20-Doppelspielerin Anna-Lena Grönefeld, 33 Jahre, konnte zusammen mit einer gut aufschlagenden Mona Barthel, 28 Jahre, gegen die Kraftpakete aus Weißrussland ankommen.
„Sabalenka war eine Klasse für sich"
Eine Wiederholung des Vorjahres-Triumphes, wo ein deutsches „B-Team" die Weißrussinnen hochmotiviert auswärts besiegt hatte, war in Braunschweig nirgendwo zu sehen. Ex-Teamchefin Barbara Rittner signalisierte Verständnis, dass Görges, vergangenes Jahr Neunte der Weltrangliste, und Kerber, Ex-Nummer eins des WTA-Verbands der Damen, ihre Einzelkarrieren dem Viertelfinale vorzogen. Angesichts der unerbittlichen Leistung der aktuellen Weltranglisten-Neunten Sabalenka, hätten auch die derzeitige Achte (Kerber) und die Nummer 15 der Welt (Görges) die Team-Pleite möglicherweise nicht aufhalten können.
Doch im April, in der Relegation in Lettland, gilt es, den Rausschmiss aus der Top-Gruppe des prestigebeladenen Nationenwettbewerbs zu verhindern. In der Weltgruppe eins des Fed Cups hält sich Deutschland mit seinen „Golden Girls" seit 2014. Dort treten die Teams um den Weltmeistertitel an. Zweimal gewann das DTB-Team seit Gründung des Länderleistungsmessens den Cup, 1987 und 1992. Die deutsche Auswahl stand insgesamt siebenmal im Finale.
Scheitert die DTB-Auswahl – mit oder ohne seine Top-Spielerinnen – bei den Play-offs am 19. und 20. April und zieht um in die Weltgruppe zwei, schaffen es die Deutschen möglicherweise zehn Jahre lang nicht mehr zurück in Titelnähe. Bis die jetzt etwa 15-Jährigen auf ihrem Erfolgszenit angekommen sind.
Das Dilemma: Der Fed-Cup-Termin schrammt knapp am wichtigsten internationalen Hallenturnier der Damen in Deutschland, dem Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart, vorbei. Einer von nur 20 Premier-Wettbewerben im Frauentennis, zudem auf Sand, der für Spielerinnen wie die Weltranglistenerste Naomi Osaka nach ihren Grand-Slam-Siegen in New York und Melbourne eine wichtige Vorbereitung auf die French Open ist. Görges, Kerber und Siegemund müssen es in Stuttgart – als ehemalige Siegerinnen – auch mit aktuellen Größen wie der Grand-Slam-Gewinnerin von Paris, Simona Halep, aufnehmen. Das kostet Kraft. Immerhin hat die ITF die Fed-Cup-Relegation in Lettland um einen Tag vorverlegt: So wird bereits am Freitag und Samstag gespielt, und am Ostersonntag können sich die Heimkehrerinnen beim Eiersuchen erholen und auf die Turnierwoche in Stuttgart einstellen.
Weit entfernt von Spitzenleistungen
Barbara Rittner, bis vor zwei Jahren deutsche Fed-Cup-Teamchefin und weiterhin oberste Koordinatorin dieser Nationalmannschaft, hofft und bangt um die Gegenwart und Zukunft des Fed Cups und des deutschen Leistungsnachwuchses. Als Kopf der Frauen im DTB hat die erfahrene Tennistrainerin und -förderin den Überblick. So toll und bereichernd die 14, 15 oder 16 Jahre auch für sie persönlich waren, in denen sie die „Golden Girls" seit deren Leistungssichtung im deutschen Damentennis gefördert, geleitet und begleitet hat: Diese Ära der Hochtalentierten und mit viel Zähigkeit ausgerüsteten Spielerinnen geht zu Ende. Ihre „Mädels" müssen sich ihre Termine und Energien exakt einteilen, um ihre Restkarrieren bestmöglich auszuschöpfen.
Der Fed Cup bräuchte schon jetzt direkte Nachfolgerinnen für Görges, Kerber, Petkovic, Ex-Wimbledon-Finalistin Sabine Lisicki und Grönefeld. Aus dem Porsche Talent Team von 2015 etwa, um die entstehende Lücke der Besten zu schließen. Doch die Mittzwanziger, die mittlerweile kräftig auf der Tour mitmischen müssten, sind weit entfernt von konstanten Spitzenleistungen, quälen sich oder sind ganz weg. Immer öfter ist von einer „verlorenen Generation" die Rede, auch wenn viele individuelle Geschichten das Loch graben. Im „Tiebreak"-Vodcast des DTB beschreibt Rittner in der Februar-Ausgabe selbst die kritischen Konstellationen der Mittzwanzigerinnen: Da ist Dinah Pfizenmaier, 27 Jahre, die verletzt schließlich habe aufhören müssen. Da vergrößerte Annika Beck, die sich 2016 bis auf Rang 37 vorgearbeitet hatte, im Oktober 2018 die Lücke, als sie nach vielen Verletzungen, mit 24 Jahren, „ausgebrannt" ihre Karriere beendete und jetzt Medizin studiert.
Hoffen und Bangen: Anna-Lena Friedsam war mit 15 Jahren deutsche Meisterin, hatte 2016 ihr Karriere-Hoch auf Platz 45 der WTA-Wertung, fiel danach mit zwei Schulteroperationen auf Platz 388. „Hoffentlich findet sie den Weg zurück", sagt Rittner, die sich freut, dass die 25-Jährige aus Neuwied im Dezember vergangenen Jahres beim Comeback zum dritten Mal deutsche Meisterin wurde. Hoffnung setzt das deutsche Tennis-„Head" auch auf Antonia Lottner, „seit Jahren im Talentteam, immer wieder verletzt, durch Krankheiten zurückgeworfen". Die 22-Jährige war als Juniorin sehr erfolgreich, kletterte im Juni 2018 immerhin auf Platz 128 der Wertung hoch, nachdem sie bei ihrem Fed-Cup-Debüt im Februar desselben Jahres einen Sieg zum Team-Erfolg beigetragen hatte. „Sie muss Konstanz finden, vor allem körperlich", sagt Rittner.
„Hoffentlich findet sie den Weg zurück"
Sorgen bereitet ihr Carina Witthöft, die im Oktober 2017 in Luxemburg ihren ersten WTA-Titel holte und im Januar 2018 auf Platz 48 der Weltrangliste stand. Ein Jahr später gab sie in der ersten Qualifikationsrunde bei den Australian Open auf, war alsbald in den sozialen Medien beim Skifahren zu sehen, verkündete Ende Februar – abgerutscht auf Rang 227 – schließlich eine Verletzungspause, bis sie körperlich und mental wieder „konkurrenzfähig" sei. Für ihre ehemalige Förderin vom DTB ist Witthöft mit ihrem Absturz im Ranking da, „wo sie wirklich nicht hingehört". Die 24-Jährige habe „wahnsinnig viel Potenzial", doch Rittner hat den Eindruck, sie habe „den Fokus für Tennis verloren, zu viele Ablenkungen". Rittner: „Man muss gewillt sein, viele Opfer zu bringen."
Als Expertin kommentierte die Chefin des deutschen Damen-Tennis das erste Grand Slam des Jahres auf Eurosport mit. Dabei bemerkte sie, dass in Melbourne bei den Juniorinnen wieder keine einzige Deutsche im Hauptfeld vertreten war. So war es auch schon im Vorjahr bei den Nachwuchs-Wettbewerben der vier wichtigsten Tennisturniere eines jeden Kalenderjahres. Doch sie schaut nach vorne.
Bei den ganz Jungen sehe es gut aus, tröstet Rittner die Tennisfans immer wieder. Bis deren Zeit kommt, ist mit Sicherheit auch die Zukunft des Fed Cups entschieden, der dem Vernehmen nach dem reformierten Davis Cup angepasst werden soll. Rittner im DTB-Vodcast: „Ich bin gegen die Reform … Ich hoffe, dass sie beim Davis Cup in die Hose geht und beim Fed Cup nicht kommt."