Drei Jahre waren sie der Schrecken der Handball-Bundesliga. Doch diese Saison spielen die Rhein-Neckar Löwen bislang weit unter ihren Möglichkeiten. Es droht eine Spielzeit ohne Titelgewinn, wofür Schwächen in Abwehr und Angriff sowie fehlende Leistungskonstanz verantwortlich sind.
Vor dem Start der aktuellen Saison 2018/2019 hatten die Trainer der DKB-Handball-Bundesliga ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Rekordmeister THW Kiel und dem dominierenden Team der letzten drei Spielzeiten, den Rhein-Neckar-Löwen, im Kampf um den Titel vorausgesagt. Dieses Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Zebras und den Löwen hat sich im Verlauf der Spieltage tatsächlich ergeben, nur leider nicht im Wettstreit um die Meisterschaft, sondern lediglich um Platz zwei. Denn kaum ein Experte hatte dem amtierenden heimischen Champion, der SG Flensburg-Handewitt, die Titelverteidigung zugetraut. Denn der Kaderumbruch an der Förde erschien nach dem Abgang zahlreicher Leistungsträger und Vereinslegenden wie Mattias Andersson, Thomas Mogensen oder Henrik Toft Hansen zu gravierend. Man nahm an, dass der Neuaufbau mit jungen, hungrigen Talenten rund um die Flens-Arena dem „SiGi"-Möwen-Team allenfalls eine Übergangssaison mit Höhen und Tiefen bescheren würde. Doch dann kam alles ganz anders: Flensburg-Handewitt eilte von Sieg zu Sieg, war nach zwei Dritteln der Saison noch verlustpunktfrei und stand einsam und allein an der Tabellenspitze.
Die starke Konkurrenz leistete sich dagegen den einen oder anderen Aussetzer. Der mit 9,5 Millionen Euro etatmäßige Liga-Primus aus Kiel konnte sich immerhin damit trösten, die Final-Four-Teilnahme 2019 im deutschen Pokalwettbewerb wie auch im international zweitklassigen EHF-Cup erreicht zu haben. Bei den Rhein-Neckar Löwen hingegen, die zu Saisonbeginn auf drei Hochzeiten getanzt hatten, deren Etat laut einem vom „Mannheimer Morgen" kolportierten Gerücht auf knapp acht Millionen Euro angehoben worden war (die Löwen selbst pflegen diesbezüglich keine offiziellen Angaben zu machen) und die zudem starke Partner wie den Glücksspiel-Betreiber Admiral (Hauptsponsor), SAP, Duracell oder Duravit im Rücken haben, war nach dem Pokal-Aus bei den Berliner Füchsen und dem wohl uneinholbaren Rückstand auf die SG Flensburg-Handewitt in der Liga schon früh Tristesse eingekehrt.
Die einzige verbliebene Titelchance ist im Frühjahr dieses Jahres ausgerechnet die Champions League, die man im Vorjahr noch abgeschenkt hatte, weil man wegen Terminüberschneidungen mit einer Bundesliga-Partie im Achtelfinal-Hinspiel nur eine Nachwuchsmannschaft ins polnische Kielce schicken konnte. Die Europäische Handballföderation hatte als vorläufigen Höhepunkt in der Dauerfehde zwischen EHF und DKB um die terminliche Oberhoheit vor allem wegen der Wochenendspiele keine Rücksicht darauf genommen, dass am selben Tag das damals für die Löwen weitaus wichtigere Aufeinandertreffen mit dem THW Kiel angestanden hatte. Dass die Löwen sich für das diesjährige Final-Four-Turnier der Champions League qualifizieren werden, das am 1. und 2. Juni schon traditionsgemäß in der Kölner Lanxess Arena ausgetragen wird, halten wohl nur die größten Optimisten für möglich.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander
Noch unwahrscheinlicher dürfte ein Triumph des noch amtierenden deutschen Pokalsiegers 2018 im europäischen Top-Wettbewerb sein. Schließlich hatten die Löwen die Gruppenphase in der aktuellen Champions-League-Saison mit einem mehr als enttäuschenden, aber zum Weiterkommen noch ausreichenden fünften Platz in der Gruppe A abgeschlossen. Obwohl man sich insgeheim mindestens Hoffnungen auf Platz zwei hinter dem bärenstarken FC Barcelona gemacht hatte. Wie weit Anspruch und Wirklichkeit bei den Löwen derzeit auseinanderklaffen, belegte denn auch der letzte Auftritt in der Gruppenphase bei den Katalanen. Die Spanier hatten die Löwen schon in der ersten Halbzeit regelrecht auseinandergenommen. Beim Pausentee lag das deutsche Team schon mit 20:12 in Rückstand, mehr als Ergebniskosmetik war bis zum bitteren Ende, 30:25 für Barcelona, nicht mehr möglich gewesen. Der Gegner im Achtelfinale am 20. März (zu Hause in Mannheim) und am 27. März auswärts (jeweils mittwochs um 17 Uhr) ist mit dem HBC Nantes kein Geringerer als der Champions-League-Finalist des Vorjahres. Bei einem Weiterkommen würde es für die Löwen im Viertelfinale ein schnelles Wiedersehen mit dem FC Barcelona geben.
Angesichts des bisherigen Saisonverlaufs war die Kampfansage des Löwen-Kreisläufers und deutschen Nationalspielers Jannik Kohlbacher mit Blick auf den kommenden Gegner ziemlich überraschend: „Wir sind jeder Aufgabe gewachsen." Deutlich skeptischer und realistischer war da schon die Einschätzung des unumstrittenen Löwen-Kapitäns und gebürtigen Schweizers Andy Schmid, der immerhin fünfmal in Folge zwischen den Spielzeiten 2013/2014 und 2017/2018 zum besten Spieler der DKB-Handball-Bundesliga gekürt worden war und die Löwen 2016 und 2017 zur Meisterschaft, 2018 zur Vizemeisterschaft (nach einem unerklärlichen Schwächeln auf der Zielgeraden mit nur einem Pünktchen zwischen dem 31. und 33. Spieltag), 2018 zum Pokalsieg sowie 2016 und 2017 zum Gewinn des DHB-Supercups geführt hatte: „Schon der Einzug ins Viertelfinale wird schwierig. Wir treffen auf einen richtig schweren Gegner." Ins gleiche Horn wie Schmid stieß Oliver Roggisch, der in Personalunion Teammanager der deutschen Handball-Nationalmannschaft und sportlicher Leiter der Rhein-Neckar Löwen ist, indem er darauf hinwies, dass sein Team für das Weiterkommen endlich mal zwei Top-Spiele in Folge abliefern müsste.
Damit legte Roggisch indirekt den Finger in die Wunde und zeigte auf das gravierende Löwen-Problem des bisherigen Saisonverlaufs, nämlich das Fehlen jeglicher Konstanz in den abgelieferten Leistungen. Die Löwen präsentierten sich als regelrechte Wundertüte. Da waren die Auftritte in der Königsklasse gewissermaßen ein Spiegelbild der Darbietungen in der Bundesliga. Gelegentlichen Ausreißern nach oben wie dem Sieg über den aktuellen Champions-League-Titelverteiger Montpellier HB, wozu das mit Nationalspielern gespickte Team dank seiner Klasse jederzeit in der Lage ist, folgten teils mehr als dürftige Performances gegen mittelmäßige Konkurrenten wie Wetzlar, Leipzig oder Erlangen. Vor allem im Angriff taten sich die Löwen oftmals enorm schwer, weil einfach zu viel von Andy Schmid abhängig ist, der sich zudem im November 2018 kurzzeitig eine für ihn ungewöhnliche Krisen-Auszeit genommen hatte, und weil Schmid im Kreieren von Torgefahr nur selten Unterstützung von anderen Rückraumkollegen gefunden hat. Vor allem von Rückkehrer Steffen Fäth, der für die Mannheimer in der Saison 2008/2009 in der Bundesliga debütiert hatte und zur aktuellen Spielzeit von den Füchsen Berlin zu den Löwen zurückgefunden hatte, die ihre Heimspiele in der 15.000 Zuschauern Platz bietenden SAP-Arena austragen, hatte man wesentlich mehr erwartet.
„Wir haben zu wenig Leute, die gute Leistungen bringen"
Aber auch in der Löwen-Abwehr gibt es diese Saison eine unübersehbare Schwachstelle, weil der im Sommer 2018 eingeleitete Umbau im defensiven Mittelblock nicht so perfekt wie erhofft funktioniert hat. Die Abgänge von Hendrik Pekeler und Harald Reinkind zum THW Kiel sowie dem Spanier Rafael Baena zum Bergischen HC konnten durch die Neuverpflichtungen von Jannik Kohlbacher von der HSG Wetzlar und dem schwedischen Nationalspieler Jesper Nielsen von Paris Saint-Germain bislang noch nicht gleichwertig kompensiert werden. Überhaupt war die Fluktuation im Löwen-Kader vor dem Start der aktuellen Saison mit fünf Neuzugängen und sechs Abgängen ungewöhnlich groß. Da war es eigentlich zu erwarten, dass auf Trainer-Legende Nikolaj Bredahl Jacobsen, der seit der Saison 2014/2015 in Mannheim tätig ist und nach Ablauf der aktuellen Spielzeit seinen Posten bei den Löwen an den bisherigen Übungsleiter des schwedischen Nationalteams Kristján Andrésson abtreten wird, um sich gänzlich seiner Funktion als Trainer der dänischen Weltmeistermannschaft widmen zu können, eine Menge Arbeit zukommen würde.
Trotz der beiden Weltklassekeeper Mikael Appelgren und Andreas Palicka bekam er die Aufgabe nicht ganz in den Griff. Daher musste er schon zur Saisonmitte enttäuscht einräumen, dass sein Team wegen der schwankenden Form nicht zur internationalen Spitze gezählt werden könne. „Alle reden über das Final Four in Köln", so Jacobsen Anfang Februar 2019 nach der desillusionierenden 27:30-Heimschlappe gegen den mazedonischen Meister Vardar Skopje. „Aber es tut mir leid, das zu sagen: Wir sind momentan nicht in der Lage, uns dafür zu qualifizieren. Wir haben zu wenig Leute, die gute Leistungen bringen. Und als Mannschaft bekommen wir es auch nicht hin." Nötig wäre mal eine überzeugende, das Selbstvertrauen in die eigene Stärke wiederherstellende Siegesserie, die nötig sein dürfte, um in der Bundesliga zumindest Platz zwei zu erreichen, der ab der Saison 2019/2020 gerade noch die Champions-League-Startberechtigung erlauben würde. Nachdem die EHF das Königsklassen-Kontingent für die Bundesliga, die nach eigenem Anspruch „stärkste Liga der Welt", die im offiziellen EHF-Ranking allerdings hinter der französischen Ligue National de Handball auf den zweiten Platz zurückgefallen ist, schon mal von drei auf zwei reduziert hat. Garantiert ist pro Land nur noch ein Startplatz in der Champions League. Bewerbungen um zusätzliche Startplätze sind zwar möglich, aber ob die EHF ausgerechnet den Löwen als etwaigem Bundesliga-Dritten angesichts des 2018er-Eklats eine Wildcard erteilen würde, darf zumindest bezweifelt werden.
Für den Amtsantritt von Neutrainer Kristján Andrésson haben die Löwen jedenfalls schon mal eine Transfer-Offensive gestartet. Im Sommer 2019 wird Nationalmannschaftskapitän Uwe Gensheimer, der gebürtige Mannheimer, der schon zwischen 2003 und 2016 das Löwen-Trikot mit der Nummer „3" getragen hatte, ablösefrei von Paris Saint-Germain wieder zurück in seine Heimat kommen. Als weitere Verstärkung wurde bereits der dänische Nationalspieler und Rückraumspezialist Niclas Kirkelokke vermeldet. Und als besonderen Coup konnten die Löwen die Verpflichtung des 21-jährigen französischen Nationalspielers Romain Lagarde bekanntgeben, wobei der Rückraumspieler des HBC Nantes erst im Sommer 2020 zum Kader der Löwen stoßen wird. „Romain hat das Potenzial", sagt Oliver Roggisch, „bei uns ein Schlüsselspieler und absoluter Leistungsträger zu werden."