Prof. Alan Harris hat für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt das Asteroidenabwehrprojekt NEOShield geleitet. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen.
Herr Dr. Harris, brauchen wir eine Asteroidenabwehr?
Das ist eine gute Frage. Stellen Sie sich vor, Sie besitzen ein wertvolles Haus. Brauchen Sie dann eine Versicherung für Ihr Haus wegen eines möglichen Feuers? Haben Sie schon mal ein Feuer erlebt?
Nein.
Aber Sie brauchen eine Versicherung, das ist klar. Ein Asteroideneinschlag kommt sehr selten vor. Aber wenn der Asteroid mehr als 100 Meter breit oder lang ist, dann kann es zu gravierenden Schäden kommen, zum Beispiel möglicherweise Millionen von Opfern und sehr viel strukturelle Zerstörung. Man betrachtet Asteroidenabwehr deshalb als eine Art von Versicherung.
Rechnen wir mit einem baldigen Einschlag?
Man hofft und glaubt, dass es in unserer Lebensdauer nicht passieren wird. Aber mit solchen Phänomenen muss man in Hunderten oder Tausenden Jahren rechnen. Irgendwann wird es passieren. Der nächste Asteroid wird kommen. Aber wir wissen nicht, wann. Es kommt immer auf die Größe an. Es gibt sehr viel mehr kleine Asteroiden als große. Und die kleinen schlagen relativ häufig ein.
Wie häufig?
2013 hatten wir im Februar einen. Den Meteor von Tscheljabinsk, der in Russland einschlug. Er hatte nur einen Durchmesser von 20 Metern. Für uns ist das relativ klein. So einen Einschlag erwartet man etwa alle 100 Jahre. Wir hatten aber Glück, denn er kam mit einem relativ niedrigen Winkel in die Erdatmosphäre. Viel Energie wurde in der Atomsphäre über einen langen Weg freigesetzt. Als er in einer Höhe von etwa 25 Kilometern explodierte, verteilte sich die verbleibende Energie über ein großes Gebiet am Boden. Wenn er steiler heruntergekommen wäre, wäre die Explosion viel tiefer passiert. Sehr viel Energie wäre in einem kleinen Gebiet verteilt gewesen, und das wäre sehr schlecht für die Stadt ausgegangen.
Weshalb explodiert ein Asteroid?
Ein Asteroid ist ein Objekt typischerweise aus Gestein gemischt mit etwas Metall, hauptsächlich Eisen und Nickel. Er hat vielleicht eine Geschwindigkeit von etwa 15 Kilometern pro Sekunde, wenn er in die Erdatmosphäre eintritt und eine Masse von ich weiß nicht wie vielen tausend Tonnen. Mit dieser Geschwindigkeit und Masse hat man eine ungeheure kinetische Energie. Die Luft erzeugt einen sehr starken Widerstand, der physikalischen Stress im Objekt erzeugt. Also Stress im Material. Es kommt auch zu thermischem Stress auf der Oberfläche. Am Ende ist das Material nicht stark genug, um diesen Kräften zu widerstehen. Der Asteroid platzt mit einem großen Knall und bricht in kleine Teile auf.
Sie versuchten mit Ihrer Forschung zu verhindern, dass ein Himmelskörper überhaupt erst gefährlich nah an die Erde kommt. Wie viele Einschläge gibt es?
Man sieht jede Nacht Sternschnuppen. Das sind ganz kleine Teile. Sand oder Kieskörnchen, die in die Erdatmosphäre gelangen. Ab und zu, wöchentlich oder monatlich, gibt es irgendwo eine helle Feuerkugel am Himmel. Das Objekt ist so groß wie ein Fußball, oder vielleicht einen Meter breit oder so. Man nennt solche relativ kleinen Objekte Meteoriten. Für größere Objekte gibt es geschätzte Einschlagsraten. Man kann das nur statistisch betrachten. Wenn ich sage, dass ein Asteroid mit 50 Metern Durchmesser alle 1.000 Jahre die Erde treffen soll, bedeutet das nicht, dass das wirklich alle 1.000 Jahre passiert. Das ist ein statistischer Mittelwert über einen langen Zeitraum hinweg.
50 Meter klingt schon ziemlich gefährlich.
Diese Größe ist auch etwa die Grenze, ab der man überlegen würde, ob wir vielleicht versuchen sollten, das Objekt abzulenken. Denn dann gehen die Schäden möglicherweise in die Höhe. Solch ein Einschlag kann tödlich enden. Er hat gravierende Folgen für die Infrastruktur auf dem Boden, wenn es ein dicht besiedeltes Gebiet trifft.
Von 2012 bis 2017 lief nun das Projekt NEOShield in zwei Phasen. Worum genau ging es dabei?
Die Europäische Kommission hatte den Grundgedanken, ein Projekt zur Erforschung der Asteroidenabwehr zu finanzieren. 2010 gab es dazu eine Ausschreibung. Es ging um die Einschätzung von Einschlagsrisiken und mögliche Abwehrmethoden. Wir haben uns auf diese Ausschreibung beworben und den Zuschlag bekommen. Wir hatten ein Konsortium von 13 Partnern in unterschiedlichen Institutionen. Unis, Forschung und Industrie. Als außereuropäische Partner waren die russische Weltraumagentur und das Carl Sagan Center des amerikanischen Seti-Instituts dabei. Was wir gemacht haben, war, in erster Linie mögliche Abwehrmethoden zu untersuchen. Dazu haben wir Weltraummissionen entworfen, um unterschiedliche Methoden der Asteroidenabwehr zu testen. Noch dazu haben wir Forschungsarbeiten zur Erforschung der physikalischen Eigenschaften von Asteroiden durchgeführt. Wir haben also geschaut, woraus die Asteroiden bestehen, die interne Struktur, die Form. Solche Aspekte haben wir erforscht. Dann gab es Experimente am Boden.
Wie sahen die aus?
Wir haben ein Projektil in ein Blockmaterial eingeschossen. Der Grund dafür war, dass eine sehr vielversprechende Methode der Abwehr der sogenannte kinetische Impaktor wäre. Das ist eine ganz einfache Methode, bei der man eine Raumsonde in einen Asteroiden einschlagen lässt. Dabei überträgt man einen Impuls und ändert die Umlaufbahn des Asteroiden. Er soll an der Erde vorbeifliegen, statt sie zu treffen.
Das klingt plausibel.
Das Problem ist: Man weiß nicht, wie effektiv die Methode sein könnte. Es kommt auf die Struktur der Oberfläche an. Ob sie lose und porös ist, oder aus solidem Gestein. Das entscheidet, wie viel Impuls übertragen wird. Und es entscheidet über die Effektivität der Methode.
Wo haben Sie diese Tests durchgeführt?
Das haben wir im Labor beim Fraunhofer Ernst-Mach-Institut in Freiburg gemacht. Wir hatten eine Gruppe von Wissenschaftlern, die die Physik solcher Einschläge und von Asteroiden im Allgemeinen untersucht haben. Das passierte in langen Rohren, in denen die Forscher kleine Kugeln auf Blöcke von Materialien geschossen haben, die analog zu einem Asteroiden aufgebaut waren, also nach unseren besten Schätzungen, welches Material man in einem großen Asteroiden findet. Dann hat man gesehen, was für einen Krater die Kugel erzeugt hat und die Menge und Größenverteilung des Auswurfs ausgerechnet. Es geht dabei immer um die Bestimmung der Impulsübertragung nach klassischen physikalischen Gesetzen.
Welche Ergebnisse kamen bei den Tests heraus?
Die Untersuchungen haben gezeigt, dass es sehr gut funktionieren könnte. Inzwischen gibt es jetzt auch auf amerikanischer Seite eine Weltraummission, die geplant und finanziert ist. Sie trägt den Namen „Dart". Die Amerikaner werden tatsächlich mit einer Raumsonde in den Weltraum fliegen und sie in einen Asteroiden einschlagen lassen, um das zu testen.
Also genau das, was Sie mit NEOShield vorgeschlagen haben.
Wir haben leider nicht die Ressourcen für eine Weltraummission gehabt. Wir hatten etwa sechs Millionen Euro zur Verfügung. Man braucht aber einige 100 Millionen Euro für eine Weltraummission. Die Amerikaner haben unsere Idee also aufgegriffen. 2020 bis 2021 soll es losgehen. Mit einem kinetischen Einschlag wollen sie die Richtung eines Asteroiden verändern. Der Science-Chief der Nasa hat mir vor Kurzem gesagt, dass die Nasa diese Idee von den Europäern, also von uns, geklaut hat, sozusagen. Ich fragte ihn, ob ich ihn so zitieren dürfe und er bejahte es.
Das ist mal wieder typisch. Die Europäer haben die Ideen, aber es fehlt das Geld, es umzusetzen.
Ja, das ist ein altbekanntes Problem. Die Amerikaner sind einfach ein bisschen experimentierfreudiger. Sie haben mehr Geld für Weltraumaktivitäten. Deren Prioritäten sind anders als die der Europäer.Auch die Japaner sind gerade mit ihrer zweiten Mission zu einem erdnahen Asteroiden beschäftigt. Wir haben auch unsere Erfolge. Aber wenn es um Asteroiden geht, stecken wir ein bisschen hinterher. Wir haben allerdings, das sollte ich auch erwähnen, eine Mission, die von der Esa geplant, aber noch nicht finanziert ist. Die heißt „Hera". Die soll nach Dart denselben Asteroiden besuchen und die Effekte dieses Einschlags in den Asteroiden untersuchen. Hera wird die Oberfläche genau beobachten und viel mehr wissenschaftliche Informationen über den Asteroiden liefern.
Wie groß ist der Asteroid, den die Amerikaner umlenken wollen?
Das ist ein Doppel-Asteroid, also ein Asteroid mit einem Mond. Dieser Asteroid heißt Didymos, der Mond Didymoon. Der Punkt hier ist: Man kann viel einfacher mit einem Einschlag die Umlaufbahn eines Asteroidenmondes um den Asteroiden messbar ändern, als die Umlaufbahn eines normalen Asteroiden, der eine Umlaufbahn um die Sonne hat. Didymoon hat einen Durchmesser von etwa 170 Metern. Der Asteroid Didymos einen von etwa 780 Metern. Man will jetzt zunächst nur den Mond umlenken.
Nun sind die Forschungen abgeschlossen, aber das Geld reicht nicht, um selbst eine Weltraummission zu unternehmen. Was hat NEOShield also konkret gebracht?
Wir haben gezeigt, dass der kinetische Impaktor schon eine vielversprechende Methode ist. Wir haben diese Ergebnisse der Experimente und haben mit ihnen gezeigt, dass diese Einschläge zu starken Impulsübertragung führen. Außerdem hat man gesehen, wie das Material sich verhält. Wir haben auch durch die Analyse von astronomischen Daten von Asteroiden und Modellierung am Computer sehr viele abwehrrelevante Informationen über ihre physikalischen Eigenschaften ableiten können. Wir müssen nun abwarten, wie sich das Material der Asteroiden bei wirklichen Einschlägen verhält. Es geht darum, wie viel Material ausgeworfen wird.
Gibt es noch andere Abwehrmöglichkeiten?
Unsere Forschungen haben gezeigt, dass es noch mindestens zwei weitere Möglichkeiten gibt, die sehr gut funktionieren könnten. Die eine nennt sich „Gravity-Tractor". Dabei verwendet man die schwache Anziehungskraft zwischen Asteroid und Raumsonde als eine Art Schleppseil. Man kann mit den Triebwerken der Raumsonde also einen Asteroiden aus seiner Bahn ziehen. Obwohl das auch gut funktionieren könnte, dauert es sehr lang, vielleicht zehn Jahre, um eine ausreichende Bahnänderung des Asteroiden zu erzeugen. Man muss eine Raumsonde haben, die über einen entsprechenden langen Zeitraum sehr zuverlässig funktioniert. Der Vorteil dieser Methode ist, dass man ganz genau weiß, wo der Asteroid nach der Verschiebung sein wird. Mit dem kinetischen Einschlag ist das nicht so gut kontrollierbar.
Was ist mit der Methode, die man aus Filmen kennt, den Asteroiden per nuklearem Sprengsatz zu zerstören?
Das ist die dritte Möglichkeit. Man zündet den Sprengsatz irgendwo in der Nähe des Asteroiden, vielleicht auch auf der Oberfläche. Wie bei einem Düseneffekt würde man dadurch eine Kraft durch Auswurfmasse erzeugen und eine Änderung der Umlaufbahn ermöglichen. Bei kleineren Objekten wäre eine Sprengung des Objekts in kleine Teile vielleicht wünschenswert. Das Problem ist, dass man mit nuklearen Sprengsätzen heutzutage nicht im Weltall experimentieren kann. Das ist für die Menschheit auch gut so. Aber ohne eine Methode im Weltall ausprobiert zu haben, ist es keine gute Idee, sich darauf zu verlassen.