So schön das Inselleben auf den Malediven sein mag: Am aufregendsten ist es unter Wasser. Selbst wer nur schnorchelt, kommt in den Genuss großartiger Erlebnisse. In Gestalt großer Tiere, allen voran Walhaie und Mantas.
„Nein. Mantas sind nicht diese Tiere mit dem Stachel, die Menschen töten", erklärt Meeresbiologin Kathryn Kelly Burkart, die alle nur Katie nennen. „Das sind, wenn es überhaupt zu solch extrem seltenen Unfällen kommt, Stachelrochen." Dennoch, so macht sie uns neugierig, würden Mantas Ehrfurcht gebietend wirken, wenn sie im Wasser auf einen zuhalten, das Maul weit geöffnet, so groß wie ein Scheunentor. „Auch wenn sie mal Teufelsrochen genannt wurden, es gibt keine harmloseren Tiere", sagt die Amerikanerin, „und in ihrem Maul landet ausschließlich Plankton. Sie sind trotz einer Spannweite von fast vier Metern und einem Gewicht von rund eineinhalb Tonnen freundlich und suchen oft den Kontakt zu den Menschen."
Dass dem tatsächlich so ist, erleben wir bald darauf am eigenen Leib. An einem der weltbesten Plätze, um die Meeresgiganten anzutreffen: im Süd-Ari-Atoll der Malediven. Dort liegt unter anderem das „Maafushivaru Resort", wo Katie seit einigen Monaten als Marine Biologist arbeitet und unter wechselnden Mottos den Gästen des 48-Villen-Eilands die Unterwasserwelt näherbringen will. Dazu geht es mit dem bis zu 20 Personen fassenden Motorboot vorwiegend in die Gewässer rund um die Einheimischeninsel Dhigurah. Diese ist nicht nur für ihre sympathischen lokalen Gästehäuser, sondern vor allem für ihre rund 40 Tauchgründe bekannt – und für das häufige Sichten sanfter Meeresriesen.
Heute sind wir nur zu sechst. Plus drei Mann Besatzung und Katie, die bei der Fahrt über das ruhige Meer viel Interessantes über die Fauna des Atolls erzählt und dies mit einer Reihe von Fotos und Grafiken untermalt. Nach einer Stunde schließlich werden auffällige Bewegungen an der Oberfläche entdeckt – entsprechende „Manta, Manta"-Rufe bringen alle Schnorchler in Position. Dann geht alles ganz schnell. Brille auf, Schnorchel rein und ins Wasser gehüpft. Nach ein paar Momenten der Orientierungssuche sehen wir sie: zwei Mantas, die in zehn Meter Entfernung langsam an uns vorbeiziehen. Ein faszinierendes Bild, das einem archaischen Schöpfungsmythos entsprungen zu sein scheint, dessen Zeugen wir für eine Weile sein dürfen. Im Zeitlupentempo, kein Flossenschlag zu viel, drehen die Mantas in erhabener Eleganz ihre Runden zwischen Grund und Oberfläche, erst zu zweit, später sogar zu sechst. Einer zeigt die weiße Bauchseite, andere den dunklen Rücken. Ein lautloser Tanz voller Würde. Das Maul weit geöffnet, nehmen die Mantas Plankton auf, ohne jede Hast oder Verunsicherung. Manchmal sind sie dabei kaum einen Meter von uns entfernt. Einmal als wir denken, dass sie schon fast auf dem Rückzug sind, drehen sie um, schwimmen direkt auf einen Schnorchler zu, um dann relaxt im letzten Moment doch abzudrehen. Keine Frage: Dank ihrer schwingenden Bewegungen passt der Spitzname „Seabirds" perfekt.
Keine Garantie auf Tierbegegnungen
Mantas wirken wie Wesen aus einer vergangenen Zeit. Seit 400 Millionen Jahren gibt es diese Fische, die, auch wenn man es ihrem „fliegenden" Verhalten nicht unbedingt ansieht, mit Haien verwandt sind. Ein Hai, dem man das sehr ansieht, steht am nächsten Tag auf unserem Programm. Der größte Fisch der Weltmeere, der bis zu 13 Meter lange Walhai, ist ohnehin der noch größere Star rund um Dhigurah und Maafushivaru. Das Besondere: Im vergleichsweise seichten Wasser sind die sanften Meeresriesen das ganze Jahr über hier verlässlich anzutreffen. Das hat Konsequenzen: Zahlreiche Gäste aus aller Welt (und aus den Resorts in der weiteren Umgebung) wollen einen Walhai live sehen. Im Prinzip eine gute Idee, „ist Tourismus ja doch viel besser als etwa die Wilderei", meint Katie und rechnet vor, wie viel mehr wert ein lebender Walhai sei im Vergleich zu einem toten auf dem Schwarzmarkt. Demzufolge haben sich etliche Resorts und Einheimische auf das Thema Walhai-Tourismus kapriziert und tun alles, um die eindrücklichen Lebewesen der zahlungskräftigen Klientel auch präsentieren zu können.
Wie immer ist aber alles eine Frage des richtigen Maßes. Und so staunen wir nicht schlecht, als nach einigen Auf-und-abs entlang der wie auf einer Perlenkette aufgereihten kleinen Inseln bis zu 20 Boote in allerlei Größen um einen endlich „gespotteten" Walhai kreisen. Wo kommen die nur alle her? Teilweise sind bis zu 100 Schnorchler hinter dem Tier her, darunter eine sehr große chinesische Gruppe, die durch ihre seltsam mittig positionierten Schnorchel, Schwimmwesten und hektische Paddelbewegungen – viele können schlicht nicht schwimmen – besonders auffällt. Katie ist froh, dass sie uns dennoch bis auf zehn Meter an einen am Meeresboden entlangschwimmenden Walhai heranbringt. Zudem schießt sie Bilder mit der Unterwasserkamera, die sie uns tags darauf kostenlos zur Verfügung stellt. So sehr man sich freut, dass eine Begegnung geklappt hat – diese kann schließlich wie bei allen Tiersafaris nie zu 100 Prozent garantiert werden – bleibt dennoch ein leicht beklemmendes Gefühl ob des unerwarteten Trubels. Irgendwie ist man beinah froh, dass es zu keiner Kollision zwischen Schwimmern und Schiffen kommt, von Problemen mit dem Walhai ganz abgesehen. Wobei der sich im schlimmsten Fall einfach trollen würde …
Daher sind wir froh, diesen Ort mit den in Dhigurah stationierten „Island Divers" noch ein zweites Mal und mit deutlich weniger „Verkehr" erleben zu dürfen. Diesmal sind gerade mal zehn Schnorchler im Wasser – und der Walhai nicht nur viel höher schwimmend, quasi auf Augenhöhe, sondern auch größer: satte acht Meter, eine stattliche Größe für diese Region, wo sich vor allem jugendliche Walhai-Männchen aufhalten. Und er kommt sehr nah. Kaum sind die Blasen des Reinspringens verflogen, merken wir, dass wir direkt in der Bahn des Giganten schwimmen! Ein riesiges Maul kommt auf uns zu, entsprechend schnell paddeln wir zur Seite und verfolgen das ehrwürdige Wesen. Eine halbe Stunde geht das, nicht unanstrengend, weil man heftig Flossenschlag betreiben muss, doch wir können gut mithalten. Als wir wieder an Bord kommen, sind wir beseelt, begeistert und berauscht.
Beseelt, begeistert und berauscht
Dieses Erlebnis hallt nach – und steigert die Lust auf weitere Unterwassererlebnisse. Dazu ist Maafushivaru ideal geeignet. Gäste können gleich von ihrem Bungalow oder ihrer Overwater-Villa loslegen und erreichen nach wenigen Schwimmzügen das Korallenriff. Wer fit ist, paddelt einmal um die Mini-Insel oder nimmt das Schwester-Inselchen Lonubo, das Verliebte ganz für sich buchen können, auch noch mit. Warm genug ist das Wasser allemal. Und zu sehen gibt es enorm viel: alle Arten von bunten Fischen, gelb-blau gestreift, trompetenförmig, silbrig, orange, blau, in Schwärmen oder alleinziehend wie kleine Riffhaie. Um Schildkröten zu sichten, steuern wir mit Katie einen eigenen Spot rund zehn Minuten vom Resort an. Toll. Weniger toll: der Müll, der sich auf einer kleinen vegetationslosen Dünung so ansammelt. Katie hat zu diesem Zweck immer ein paar Mülltüten dabei, gemeinsam sammeln wir Plastikflaschen, alte Flip-Flops und sonstigen Unrat ein.
Zunehmender Müll ist nur eine von vielen Gefahren für die Meeresbewohner, die ansteigende Meerestemperatur ist eine andere, Schiffsschrauben und treibende Netzreste sind weitere. Und die Wilderei. Vor allem die Traditionelle Chinesische Medizin, die in diesem Fall so gar nicht traditionell ist, hat Kriminelle in großem Stil auf den Plan gerufen. Vor ein paar Jahren hat es begonnen: Manta-Kiemen, getrocknet eingenommen, sollen den Körper entgiften. Ergo wird Jagd auf Mantas gemacht, ein Novum. Auch die Walhaie sind ins Visier dubioser Heiler geraten. Weil die größten Fische der Welt keinen Krebs bekommen, sollen ihre Flossen Krebs bekämpfen, wird reichen Chinesen weisgemacht. Zum Glück sind die Bestandszahlen rund um Dhigurah recht stabil, sogar steigend, wie eine eigens gegründete Walhai-Organisation mitteilt. Sie hat alle Individuen registriert, per Fotodatei. Da hat sogar jeder Hai einen eigenen Namen. Unser Acht-Meter-Liebling etwa heißt Fernando. Das macht das Erlebnis noch persönlicher.