In der neuen Zusammenlegung des Skigebietes Disentis und der Ski-Arena Andermatt-Sedrun können Skifans insgesamt 180 Pistenkilometer erkunden.
Unten, im 1.130 Meter hoch gelegenen Bergdorf Disentis/Mustér, leuchtet den Ankommenden sogleich das vor rund 1.400 Jahren gegründete St. Martinskloster entgegen. Es ist das älteste Benediktinerkloster der Schweiz, inzwischen jedoch ein imposanter Barockbau. Oben, im Skigebiet Disentis-Sedrun, auf deutlich über 2.000 Meter Höhe, ein noch größeres Erstaunen: zwei bunte Schmetterlinge flattern über den weißen Schnee.
Die Punkte auf ihren goldbraunen Flügeln erinnern an die bei einem Pfauenauge. Also freudiger Sonnenskilauf nicht nur mit „Schmetterlingen im Bauch", sondern zusammen mit echten Flattermännern. Und das Anfang März.
Solch ein Superwetter lassen sich auch die Wintersportler nicht entgehen. Aus der voll besetzten Gondelbahn, Start im Dorf Santa Catrina, springen nicht nur die Kinder sogleich aufs Laufband, das alle noch ein Stückchen weiter aufwärts befördert.
Danach verteilt sich jedoch alles schnell. Auf Disentis’ 60 Pistenkilometern, die meisten breit und angenehm zu fahren, herrscht kein Gedrängel. Für Genuss-Skifahrer und Familien sind solche Abfahrten genau das Richtige. Ungestört sind hier die Kinderskikursteilnehmer unterwegs, da Bräunungssüchtige sogleich die Liegestühle erobern oder das großartige Bergpanorama sogleich bei Kaffee, Rivella und Bier genießen. Gut so. Umso mehr Platz bleibt den Pistenfans für weite Schwünge.
Wintersport bei Frühlingswetter
Einiges wirkt im Skigebiet Disentis noch nett nostalgisch. Die Sessellifte haben keine Schlechtwetterhauben, brauchen sie auch nicht unbedingt. Denn in südlicher Richtung, gleich hinter den Bergen, beginnt das sonnige Tessin und schickt Wärme herüber. „Jetzt steigen wir mal auf den ältesten Lift", schlägt Begleiterin Anna vor. Der bewegt sich im Schneckentempo, was bei gutem Wetter nicht stört, lässt er doch Zeit fürs Gipfelbestaunen und Fotografieren.
Doch auch hier schreitet nun die Entwicklung deutlich voran. Die neue Luftseilbahn „Salins-Cungieri-Cuolm da Vi" verbindet demnächst das Skigebiet von Sedrun ganzjährig mit dem von Disentis. Ab der Talstation am Ortsrand von Sedrun wird sie über die Mittelstation Cungieri bis zur Bergstation Cuolm da Vi auf 2.262 Meter emporschweben.
Weitere Weichen wurden bereits gestellt, weiß man doch in den Skigebieten, dass ein gedeihliches Miteinander besser ist als Eigenbrödelei. Erstmals haben sich nun zwei Schweizer Kantone – Graubünden und Uri – zusammengetan. Das Ergebnis ist die neue Ski-Arena Andermatt-Sedrun, die 120 Kilometer Pisten bietet.
Zusammen mit Disentis ergibt das stattliche 180 Pistenkilometer, die sich mit einem gemeinsamen Skipass erkunden lassen. Nur auf Skiern geht das aus geografischen Gründen nicht, doch geschwind können die Wintersportler mit dem Gratis-Bus oder der Matterhorn Gotthard Bahn die Skigebiete wechseln. Eine Win-win-Situation für alle.
Neu seit Dezember 2018 ist der moderne Schneehühnerstock-Express, der vom 2.044 Meter hoch gelegenen Oberalppass geschwind auf 2.600 Meter hinaufführt. Diese Zehner-Gondelbahn ist das Herzstück der neuen Skigebietsverbindung Sedrun – Andermatt. Zwei rote Pisten an beiden Seiten führen entweder hinunter zur Mittelstation oder ganz zurück zum kleinen roten Leuchtturm auf dem Oberalppass, einem Unikat in den Alpen.
Als Referenz für den Rhein, der in der Nähe entspringt, wurde er von der Gemeinde Sedrun gebaut und steht seit Oktober 2010 auf der Passhöhe. Er ist das verkleinerte Pendant des 14 Meter hohen Turms, der 70 Jahre lang in Hoek van Holland (nahe Rotterdam) an der Rheinmündung stand.
Nun blinkert er an der Rheinquelle – von Schmetterlingen umschwirrt – genauso im Sekundentakt wie einst sein großer Bruder an der Nordsee. Für die Skiläufer dient er als Orientierungsmerkmal. Vielleicht leuchtet er von ferne auch für die Cracks, die vom fast 3.000 Meter hohen Gemsstock die zwölf Kilometer lange schwarze (schwierige) Talabfahrt hinunterbrettern.
Eines betont Skilehrer Andy besonders: „Im Gebiet Sedrun – Andermatt kannst Du immer in der Sonne skifahren, vormittags auf den Ost- und nachmittags auf den Westhängen." Sollten die Pisten in Talnähe unbrauchbar werden, steigen alle nicht in Dieni aus der Matterhorn-Gotthard-Bahn, sondern fahren weiter hinauf. „So begann hier der Skilauf, bevor Lifte gebaut wurden. Oben haben wir noch drei bis vier Meter Schnee und gute Bedingungen für Freerider und Skitourengeher", ergänzt Andy.
Interessante Ortsgeschichte
Bei der Rückkehr ins Tal umschmeichelt die Nachmittagssonne das hübsche Bergdorf Disentis/ Mustér. Vor dem „Hotel Alpsu" sitzen einige bei Bündner Nusstorte und Kaffee. Rotgolden leuchten die Holzwände vom „Restaurant Grischuna", dem ältesten Gasthaus des Ortes.
Noch einen Blick in die Klosterkirche werfen? Das geht leider nicht. Aufgrund von Restaurierungsmaßnahmen ist sie geschlossen. „Am 11. November, dem Martinsfest, wird sie wieder feierlich eröffnet", erzählt Pater Theo Theiler bei der Klosterführung und geht hinunter in den ältesten Teil, zur sogenannten Placidus-Krypta, die bei den Grabungen von 1906 bis 1909 entdeckt wurde.
Placidus, ein reicher Ritter aus der Nachbarschaft, hatte zusammen mit dem fränkischen Wandermönch Sigisbert das Kloster vor rund 1.400 Jahren gegründet, wurde aber bald danach ermordet. Das Todesjahr ist unbekannt, aber der Mord soll an einem 11. Juli geschehen sein. Seit Jahrhunderten wird an diesem Tag das Placidus-Fest begangen, nicht nur im Kloster und in der Region. „Genau wissen wir das alles nicht, aber gewichtige Indizien sprechen für den 11. Juli", sagt Pater Theo. Forschungen haben ergeben, dass genau am 11. Juli die Strahlen der Morgensonne durch ein Loch im Mauerwerk die Krypta und den (inzwischen verschwundenen) Sarg von Placidus beleuchtet haben.
Doch welche Schmetterlinge in den verschneiten Bergen herumflattern, weiß Pater Theo genau, zieht ein Smartphone aus der Tasche und zeigt Fotos zweier Exemplare. Ja, genau so sahen sie aus. „Die heißen Kleiner Fuchs", sagt er. Die gehören zur Familie der Edelfalter wie das Pfauenauge. „Reisen bildet", hieß es früher und damals sogar ohne Smartphone.