Die Kita „Nestwärme" in Berlin-Friedrichshain ist die einzige Kindertagesstätte Deutschlands, die extra für die integrative Betreuung HIV-infizierter Kinder eingerichtet wurde. Ein Gespräch mit der Gründerin und Leiterin Antje Lindstedt.
Frau Lindstedt, warum wurde die Kita gegründet? Konnten die Kinder nicht in anderen Einrichtungen untergebracht werden?
Betroffene Eltern und ehrenamtliche Helfer hatten 1997 den Verein Nestwärme gegründet, weil ein erheblicher Bedarf bestand, einen Schutzraum für diese Kinder und Familien zu schaffen, die sonst im Alltag vielen Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt waren. Sie fanden meistens auch keinen anderen Kitaplatz, weil die Angst vor Ansteckung sehr groß war. Der Verein kümmerte sich um die Familien, in denen die Eltern und die Kinder HIV-positiv oder erkrankt waren. Bis August 2000 gab es auch noch eine von der Robert-Bosch-Stiftung finanzierte Stelle für eine aufsuchende Familienhilfe. Es waren viele drogenabhängige Eltern darunter, die im Entzug waren und Ersatzstoffe (Medikamente) erhielten, um den Alltag bewältigen zu können. Für die Kinder war die häusliche Situation oft sehr grenzwertig. Deshalb wurde ein aus Spenden finanzierter Fahrdienst organisiert, der die Kinder früh in die Kita brachte, wo sie etwas zu essen bekamen und betreut wurden. Damals waren noch alle Kinder betroffen. Es gab eine enge Zusammenarbeit mit der Kindertagesklinik in der Charité. Die haben uns kontaktiert, wenn wieder eine Familie zu ihnen kam.
Wie finanzieren Sie sich?
Die Kitaplätze werden mit Senatsgeldern finanziert. Ansonsten bekommen wir Spenden, von denen beispielsweise Spielgeräte und Beschäftigungsmaterial bezahlt werden und bis vor Kurzem auch der Fahrdienst. Den mussten wir einstellen. Es fließen nicht mehr so viele Spenden, und der Bedarf wird weniger.
Die Kita befindet sich im Haus einer Kirchengemeinde. Gab es Schwierigkeiten, einen passenden Platz zu finden?
War eher Zufall. Für die Kirche aber auch die Möglichkeit zu zeigen, dass sie Familien mit HIV unterstützt. Der Umbau wurde vom Verein finanziert, die untere Etage über Senatsgelder.
Wie war die Reaktion der Nachbarschaft?
Vor zwei Jahren wurde nebenan das Gebäude übergangsweise an eine Kita vermietet. Da gab es massive Proteste der Eltern. Sie wollten, dass der Zaun zwischen den Spielplätzen mit Sicht- und Berührungsschutz versehen wird. Über die Berliner Aids-Hilfe organisierten wir einen Aufklärungsabend für die Eltern. Danach war der Sichtschutz kein Thema mehr.
Aber es hat uns wieder gezeigt, es gibt immer noch hartnäckige Vorurteile, viele Ängste und großen Aufklärungsbedarf. Das merke ich besonders, wenn Schul- oder Ausbildungsklassen herkommen und sich informieren wollen.
Von den derzeit 70 Kindern sind nur noch wenige HIV-positiv. Seit wann nehmen Sie auch Kinder ohne HIV auf?
2004 hat der Verein einen Kinderladen übernommen, der sich sonst nicht mehr hätte tragen können. Von da an wurden alle Kinder gemeinsam betreut. Die Kinderladen-Eltern waren froh, dass sich ein Träger gefunden hatte. Die gesunden Kinder sind in der Überzahl. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Prävention enorm verbessert hat. 2018 hat sich in Berlin kein Kind mit HIV angesteckt. Trotzdem bleibt einer unserer Schwerpunkte die Arbeit mit den betroffenen Familien.
Brauchen die Kinder mit HIV eine besondere Betreuung?
Mittlerweile nein. Als ich anfing, waren die Medikamente noch andere, die nicht immer gut vertragen wurden. Heute merkt keiner mehr, welches Kind HIV-positiv ist.
Wir arbeiten mit der Berliner Aidshilfe zusammen und haben in regelmäßigen Abständen Informationsveranstaltungen, um uns zum Thema HIV auf den neuesten Stand zu bringen. Zum Beispiel, wie ist das mit den Medikamenten, wenn wir auf Reisen gehen. Wir machen mit den Kindern ab drei Jahren einmal im Jahr eine Kitafahrt.
Zu Ihrem Team gehören auch drei Integrationserzieherinnen und Erzieher.
Ja, wir betreuen nicht nur HIV-betroffene Kinder und Familien, sondern auch Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und/oder Entwicklungsverzögerungen.
Schwerpunkt war und ist die Arbeit mit den Eltern. Wie läuft das?
Ich treffe mich zweimal im Jahr mit Elternvertretern aus den verschiedenen Etagen. Dann bieten wir Elternnachmittage zu bestimmten Themen an, zum Beispiel: „Mein Kind kommt in die Schule – was ist wichtig?" Jetzt im März wird die Kitareise vorbereitet. Es gab auch Treffen zum Thema HIV und einen kinderspezifischen Erste-Hilfe-Kurs für Eltern. Damit alle daran teilnehmen können, werden die Kinder in der Zeit von uns Pädagoginnen hier in der Kita betreut.
Da machen Sie keinen Unterschied zwischen den Eltern?
Nein, es ist ja niemand verpflichtet, zu sagen, ob er, sie oder das Kind HIV positiv ist. Die Eltern untereinander wissen es manchmal auch nicht, und wir haben eine Schweigepflicht.
Im Gegensatz zu früher sind die betroffenen Familien viel besser eingebunden, der Betreuungsbedarf ist auch nicht mehr so groß, oft haben die Eltern auch keine Drogenproblematik mehr.
Sie sind die bisher einzige Kita dieser Art in Deutschland?
Ja, auch das stimmt. Manchmal rufen mich Lehrer oder Kitaleiter/-innen an, wenn sie Fragen zum Thema HIV haben. Was die Betreuung in der Kita betrifft, sind wir Ansprechpartner, wenn es um die Krankheit direkt geht, die Berliner Aids-Hilfe oder die Charité.
Sie schreiben auf Ihrer Webseite „Es hat sich vieles verändert, nur eines hat sich nicht: Wir kämpfen weiter gegen Intoleranz und gegen falsches Wissen…"
Einerseits sind wir gut etabliert, wir haben eine sehr lange Warteliste. Wenn die Charité eine betroffene Familie betreut, aber diese Familie in ihrem häuslichen Umfeld keinen Kitaplatz findet, nehmen sie mit uns Kontakt auf, und wir betreuen die Kinder dann relativ kurzfristig.
Andererseits gab es, als wir unsere zweite Kita 2010 eröffneten, eine massive Gegenwehr von den Eltern. Deshalb haben wir dort den Schwerpunkt rausgenommen, auch um die betroffenen Familien zu schützen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Mehr Aufgeschlossenheit gegenüber betroffenen Familien, damit wir nicht mehr Ansprechpartner sein müssen für alle Familien in ganz Berlin, sondern dass Eltern in jedem Bezirk, in jedem Kiez einen Kitaplatz finden.
Weitere Infos: www.kita-nestwaerme.de