Gibt es ein freies Leben nach der Haftstrafe oder ist die Verurteilung ein lebenslanges Stigma? Sven M.*, einschlägig vorbestraft, kennt die Schattenseiten der Resozialisierung. Trotzdem ist sich der JVA-Inhaftierte sicher: Dieses Mal wird es klappen.
Wer in einer Strafanstalt landet, hat grundsätzlich zwei Optionen: Entweder er nutzt die Chancen, die einem dort geboten werden oder er verweigert sich. Sven M. entscheidet sich für die erste Möglichkeit. Er nimmt Arbeit in einem Fremdbetrieb innerhalb der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken auf. Im Bereich der Endkontrolle überprüft er die Qualität von Schrauben, die anschließend an die Automobilindustrie ausgeliefert werden. Abwechslungsreich ist der Job zwar nicht, „dafür geht der Tag schneller vorbei", erzählt der Inhaftierte, „und ich verdiene parallel auch ein bisschen Geld." Doch das Wichtigste für Sven M. ist ein Stück Normalität, die mit der täglichen Beschäftigung in seinem Gefängnisalltag einkehrt. „Denn es ist so", erklärt der Inhaftierte mit Nachdruck: „Irgendwann muss sich jeder entscheiden, wohin sein Leben führen soll. Und ich für meinen Teil möchte nicht mehr in die Strafanstalt zurückkehren."
Zum Interview erscheint der Mann in Begleitung von Pascal Jenal, dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken, sowie einer weiteren, jungen JVA-Mitarbeiterin. Sein Kommen kündigen die schweren Gittertüren an, die mit einem lauten Knall ins Schloss fallen. Sven M. hat einen stämmigen Körperbau und trägt eine schwarze Trainingshose mit einem passenden schwarzen Kapuzenpullover, seine Handgelenke sind frei von Handschellen. Der Händedruck zur Begrüßung ist fest und sicher. Der Raum, der für das circa vierzig Minuten dauernde Gespräch von der Gefängnisleitung ausgesucht wurde, ist spartanisch eingerichtet: Ein hölzerner Schreibtisch und mehrere Sitzmöglichkeiten. Sven M. nimmt gleich den Platz gegenüber ein und schaut mich an.
Training zur Konfliktbewältigung
Für welches Vergehen er eine Haftstrafe von sechs Jahren verbüßen muss, möchte der Inhaftierte nicht erläutern. „Das würde zu sehr ins Private gehen." Nur so viel sagt er: „Rückblickend hätte es gar keinen Grund gegeben, die Situation so eskalieren zu lassen", gibt er offen zu. Eine Erkenntnis, die Sven M. mitunter eine Maßnahme der JVA zu verdanken hat. Über ein halbes Jahr besuchte er „Reasoning & Rehabilitation", ein Training zur Konfliktbewältigung. Natürlich sei es Sven M. schon vor dem Kurs bewusst gewesen, auf was man in der Kommunikation achten sollte, „doch im Training wurden wir als Teilnehmer nochmals in diesem Thema sensibilisiert." Dass man beispielsweise zwischen Meinungen und Fakten unterscheiden müsse, oder dass man die Quellen prüfen solle, aus der die Informationen stammen. „Und natürlich, dass jeder Mensch ein Recht auf seine Meinung hat", fasst Sven M. die für ihn wichtigsten Thesen der Maßnahme zusammen. „Hört sich sehr banal an", überlegt der Inhaftierte, „dennoch war es sehr lehrreich, das so komprimiert zu hören. Jetzt bleibt es auch in Erinnerung." Sven M. ist einschlägig vorbestraft. Aus dem Juristendeutsch übersetzt umschreibt die Aussage einen Wiederholungstäter, der schon wegen des gleichen Delikts verurteilt wurde. Zum ersten Mal kriminell wurde er mit 31 Jahren, „fast schon etwas zu spät für den Einstieg", sagt er mit ironischem Unterton. Auch sonst entspricht der Inhaftierte nicht unbedingt dem gängigen Klischee eines typischen Kriminellen. Er hat eine Familie, einen festen Wohnsitz und einen Job, „dem ich bis zu meiner Verurteilung nachgegangen bin", betont er nicht ohne Stolz. Allerdings schützen solche sozialen Anker nicht vor Strafe, auch nicht im Fall von Sven M.
Das erste Urteil im Vergleich zu seiner aktuellen Haftstrafe fiel noch mild aus. Auch war der Inhaftierte bereit, sich nach der Entlassung in die Gesellschaft einzugliedern. „Doch es wurde alles andere als einfach", weiß Sven M. Vielmehr schien es, als würde die Gesellschaft ihn nicht mehr annehmen wollen. Trotz seiner ersten Verurteilung wird er stigmatisiert, erhält eine „Sonderbehandlung", wie er es ausdrückt. „Als ich mich beispielsweise arbeitslos melden wollte, hatte ich plötzlich einen Termin beim Chef der Arbeitsagentur", erzählt Sven M. Für den damals noch unerfahrenen Mann eine mentale Folter, die er immer wieder durchlaufen muss. Bei jedem Behördengang – und davon hatte Sven M. einige – wird er mit seiner ehemaligen Haftstrafe konfrontiert. „Dabei habe ich sie bereits verbüßt und somit auch meine Schuld an der Gesellschaft abgetragen", betont er. Doch das Umfeld war anderer Meinung. Und genau hier sieht Sven M. auch die Diskrepanz innerhalb der Gesellschaft: Resozialisierung ohne eine reelle Chance. „Vor allem für junge Menschen, die ihre erste Haftstrafe verbüßt haben, ist es besonders hart. Wenn sie dann mit pochendem Herzen ihren ersten Behördengang absolvieren und vor verschlossenen Türen landen, tritt schnell Frustration ein."
Bei Sven M. war es nicht anders. „Man fühlt sich abgewiesen und gibt auf. Nach und nach fällt man dann in die alten Verhaltensmuster zurück", weiß der Inhaftierte. Bei ihm führte es zu einer wiederholten Verurteilung. Noch schlimmer als das Urteil selbst empfand Sven M. das Plädoyer des Staatsanwaltes. „Er forderte ein Strafmaß von sieben Jahren, also ein Jahr mehr, als ich im Endeffekt bekommen habe." Als Sven M. das hörte, starrte er nur aus dem Fenster. „Ich guckte also raus und ließ in meinen Gedanken schon mal die Zeit von sieben Jahren an mir vorbeiziehen. Das war schon verdammt lang."
Leben von Ausgang zu Ausgang
Der Gefängnisalltag holte den Inhaftieren schon nach drei Wochen ein. „Zu diesem Zeitpunkt entschied ich für mich, auch mein Leben endgültig zu ändern", betont Sven M. Das Rüstzeug für seine Problemsituationen schöpfte der Mann aus dem Konfliktbewältigungstraining. Dafür ist Sven M. besonders dankbar. Auch einige seiner Wegbegleiter, die mit ihm die Haftstrafe absitzen, griffen auf die zahlreichen Angebote der JVA zurück, um sich später im freien Leben besser zurechtfinden zu können. „Wir haben beispielsweise viele Drogen- oder Alkoholabhängige, die ihre Zeit hier nutzen um von der Sucht loszukommen", weiß Sven M.
Den Mut weiterzumachen, schöpft der Inhaftierte aus seinem sozialen Rückhalt. „Meine Familie und meine Freuende geben mir Kraft, die Haft zu überstehen", erzählt er und erinnert sich gleich an seinen ersten Freigang. Als er die JVA für acht Stunden hinter sich lassen durfte und in das normale Leben eintauchte. Überwältigend sei es gewesen, „eine totale Reizüberflutung", aber auch gleichzeitig eine starke Motivation weiterzumachen. „Und so leben wir hier: Von Ausgang zu Ausgang."
Zwei Jahre und sechs Monate Haft hat er schon hinter sich, „also knapp die Hälfte." Trotzdem setzt sich Sven M. schon mit seiner Zukunft auseinander. Auch auf die anstehenden Behördengänge ist der Mann schon mental vorbereitet. Am meisten Sorgen bereitet ihm die Suche nach einem neuen Job. „Ich hatte bis jetzt Glück und habe immer eine Stelle gefunden", erzählt Sven M. Allerdings sei das keine Regel. „Meistens zeigen sich die Arbeitgeber, was ehemalige Inhaftierte angeht, sehr kritisch", sagt er. Dabei müssten sie das laut Sven M. gar nicht sein. „Ich weiß, dass gegenüber ehemaligen Inhaftierten viele Vorurteile herrschen. Ich für meinen Teil kann sagen, dass genau diese Personen um eine solche Chance, einen Job zu bekommen, richtig kämpfen und sie deswegen auch bewusster nutzen werden als manch anderer. Warum also nicht gerade so einem einen Job anbieten? Und wenn die potenziellen Arbeitgeber Angst haben, sich zu täuschen. Nun: Täuschen kann man sich in jedem, ob er nun im Gefängnis war oder nicht."
(*Der Name wurde von der Redaktion geändert)