Serkan, Sie haben drei Menschen mit ihren Fäusten ins Koma geprügelt. So sauer kann man doch gar nicht sein?
Doch! Mir sind damals alle Sicherungen durchgegangen. Mehrere Typen haben meinen kleinen Bruder erst wirklich kaputtgeschlagen und dann noch abgestochen. Was soll das? Wenn jemand völlig unterlegen am Boden liegt, steche ich doch nicht auch noch zu. Obendrein war das alles auch noch eine Verwechselung. Mein Bruder hatte damit überhaupt nichts zu tun. Ich habe drei von diesen Typen direkt nach der Tat zu fassen bekommen und habe dann an die Tat selber keine genauen Erinnerungen mehr. Aber es ging um meine Familie und damit um meine Ehre. Ich bin ein absolut ruhiger Mensch, aber da gab es kein Halten mehr für mich.
Es war eine Frage der Ehre?
Absolut. Wenn jemand deine Frau, deine Kinder oder deine Eltern belästigt, dann musst du eingreifen, da kannst du nicht einfach zugucken. Direkt nach der Tat, als ich in der U-Haft wieder zu mir gekommen bin, habe ich nur gedacht: Egal, was jetzt passiert: Du hast richtig gehandelt. Du hast die Ehre deiner Familie verteidigt. Das ist wichtiger als alles, was jetzt kommt. Ich bereue das bis zum heutigen Tag nicht. Ich habe meine vollen sieben Jahre abgesessen, habe für das, was ich getan habe, die Verantwortung übernommen. Aber ich habe vor allem Verantwortung für meine Familie, in meinem Fall vor allem für meinen kleinen Bruder übernommen. Ich kann nur hoffen, dass das niemals wieder jemand von mir verlangt.
Wie hat denn das Gericht auf Deine Einlassung reagiert?
Na, die haben mir da schön zugehört. Aber die haben halt auch gesehen, das ist ein Boxer, hat abrasierte Haare und ist ziemlich bereit. Also, so richtig ernstgenommen haben die mich, glaube ich, nicht. Die wollten auch von meinen Beweggründen nichts hören, also das es da für mich auch um die Ehre meiner Familie gegangen ist. Weißt du, wenn die meinen Bruder in Ruhe gelassen hätten, wäre es doch nie so weit gekommen. Sondern für die war klar, es ist ein Profiboxer und der hat richtig zugeschlagen. Ich kann nur von Glück sagen, dass mir die Richter zugestanden haben, dass ich einen völligen Black-out hatte und in der Gefangenen-Sammelstelle überhaupt erst wieder zu mir gekommen bin. Dadurch wurde ich ja nicht wegen versuchten Mordes, sondern Totschlags verurteilt.
Was ist das für ein Schock: Gestern noch angesehener Boxer und dann im Knast, fünf Quadratmeter, auf einer harten Pritsche bei Neonlicht?
Da bricht erst mal alles in dir zusammen. Aber ein Sportsfreund mit Knasterfahrungen hat mir gesagt: Gewöhn dich ganz schnell an deine neue Umgebung und dreh nicht durch. Ich weiß, es gibt gestandene Männer von zwei Metern, die sitzen auf ihrer Pritsche und weinen, das ist mir auch so gegangen, das ist menschlich. Was mich so sauer gemacht hat: Ich habe nur meine Familie, meine Ehre verteidigt, ohne diese Penner wäre ich hier nie gelandet. Aber okay, ich musste mich dran gewöhnen, ich musste mein neues Zuhause akzeptieren. Dass ich da echt sieben Jahren drinbleiben muss, war mir damals nicht richtig klar und das war auch besser so, glaube ich.
Gibt es denn da im Gefängnis Hilfe von Sozialarbeitern, die Dich da mental unterstützen?
Ja, die gibt es, aber die helfen dir nicht wirklich und das hat zwei Gründe. Ich habe Scheiße gebaut und ich muss dafür jetzt geradestehen, das muss ich also mit mir ganz allein abmachen und da kann dir eigentlich niemand helfen. Und dann darfst du eines nicht vergessen: Im Knast gelten andere Gesetze. Du bist eine Gemeinschaft mit anderen, die haben auch Mist gebaut, sonst wären die ja auch nicht hier. Da ist es nicht gut, zu eng mit denen von der Anstalt zusammenzuarbeiten. Weil, wenn du da zweimal die Woche für eine Stunde aus dem Trakt verschwindest zu irgend so einer Therapiemaßnahme, hast du bei dir auf dem Gang gleich Gerede. Du kommst da ganz schnell in Verdacht, dass du mit der Anstalt was zu laufen hast, Info aus dem Vollzug gibt’s oder so und das ist nicht gut für die Gemeinschaft.
Aber, wenn Dir das Gespräch mit den Sozialarbeitern geholfen hätte?
Das hat es ja obendrein auch nicht. Wenn ich denen erklärt habe, dass ich es ungerecht finde, hier zu sitzen, weil ich nicht die, sondern die meine Familie angegriffen und damit meine Ehre verletzt haben, dann haben die mir Vorträge gehalten, dass nicht jeder das Recht in seine eigene Hand nehmen kann. Ja, das sehe ich auch ein, darum habe ich ja alles akzeptiert. Also, mit den Sozialarbeitern zu reden war sinnlos. Meine Freunde im Gefängnis dagegen, die haben mich verstanden. Die hatten richtig Respekt vor mir. Nicht, weil ich Boxer bin, sondern weil ich für die Ehre meiner Familie in den Knast gegangen bin.
Ein Grund, warum du die volle Zeit absitzen musstest?
Ja, klar. Immer, wenn Termin für Bewährung war, haben meine Freunde zu mir gesagt, erzähl denen, was die hören wollen, dann kommst du hier vorzeitig raus. Aber was soll das, wenn der Staat sagt, meine Ehre zählt nicht, dann muss ich halt die ganze Strafe absitzen und dass habe ich dann auch gemacht. Ich habe diese Termine dann auch abgelehnt. Was sollte ich mit denen da noch reden? Bringt doch nichts.
Wie hat deine Familie reagiert?
Das war ganz schlimm, vor allem für meine Mutter. Keine Mutter will ihren Sohn im Gefängnis sehen, natürlich auch kein Vater. Meine Eltern haben sich schwergetan, sie haben mich absolut verstanden, ich glaube, sie sind auch ein bisschen stolz auf ihren großen Sohn. Aber natürlich haben sie sich auch Sorgen um meine Zukunft gemacht. Oft haben sie gefragt: Was machst du nach dem Gefängnis? Am schlimmsten bei den Besuchsterminen war der Abschied, vor allem, wenn meine Mutter Tränen in den Augen hatte. Ich habe gemerkt, sie hat sich auch gefragt, warum das alles?
Wie wird man denn im Gefängnis auf die Entlassung vorbereitet?
So ungefähr acht Wochen vor dem Entlassungstermin wird man dann langsam vorbereitet, aber auch hier kann ich nur sagen: Die im Knast können da nicht viel für einen machen. Das Wichtigste ist, wenn du rauskommst, musst du ganz schnell einen Job finden. Du musst eine vernünftige Aufgabe haben, damit du dich in den neuen Alltag eingewöhnen kannst. Das war mir von Anfang an klar und dabei können die dir im Knast absolut nicht helfen. Die vom Jobcenter übrigens auch nicht, die verwalten nur und machen irgendwelche Ansagen, fremd jeglicher Realität. Du musst den Arbeitgebern gar nicht sagen, warum du im Knast warst, allein der Umstand reicht schon für die Jobabsage. Wenn es dann wirklich zu einem Vorstellungsgespräch kam und die hörten, dreifach versuchter Totschlag. Na, dann war das auch schon wieder erledigt.
Der Tag der Entlassung: Wie war es nach sieben Jahren wieder draußen?
Das war ein absoluter Schock und ich sollte wirklich recht behalten, darauf kann dich einfach niemand vorbereiten. Meine alte Clique gab es in der Form nicht mehr. Im Bekanntenkreis sind neue Freunde dazu gekommen. Das Wort Freundschaften hat in den sieben Jahren eine neue Bedeutung gewonnen. Und was man auch nicht vergessen darf: Die Stadt hatte sich in den sieben Jahren total verändert. In meinem Kiez, am Alexanderplatz, war ein komplett neues Viertel entstanden. Zwei Ecken weiter das gleiche und dann diese unerträgliche Hektik. Im Gefängnis hast du genau vorgeschriebene Zeiten und auf die kannst du dich absolut verlassen. Hier draußen ist es laut, herrscht Hektik, ich war die erste Zeit völlig überfordert und habe mich tagelang in meine Wohnung verkrochen. Das hätte ich mir nie träumen lassen, aber ich habe mich in den Knast zurückgesehnt. Da war mein Leben geregelt.
Und die Resozialisierung von staatlicher Seite?
Na, das, was du im Knast nicht vorbereiten kannst, funktioniert hier draußen genauso wenig. Das musst du selber in die Hand nehmen. Wie ich schon sagte, das Entscheidende ist, wie schnell bekommst du einen Job, eine Aufgabe. Dann kommst du auch draußen wieder zurück in den Alltag. Über alte Freunde habe ich dann bei einer Sicherheitsfirma Arbeit gefunden und das hat mir dann richtig gutgetan, das war mein Neustart. Aber ich habe dafür Step-by-Step wirklich ein halbes Jahr gebraucht und habe das alles mit mir selbst, mit meiner starken Psyche ausgemacht. Das, was mir früher beim Boxen geholfen hat, das hat mir dann zurück in mein Leben geholfen.
Also sind die Resozialisierungsmaßnahmen sinnlos?
Nein, das möchte ich nicht sagen, es gibt sicherlich Menschen, denen können die irgendwie helfen. Aber ich glaube, das ist eher eine mentale Hilfe. Also, die sind eben da und die kann man mal anrufen, wenn man Fragen hat und sich mit denen auch treffen. Die begleiten einen auch zu einem Bewerbungsgespräch, aber das hilft alles nichts, wenn die dann hören, weswegen du im Knast gesessen hast. Mir ist klar: Wenn du einmal so aus der Bahn geworfen wurdest, dann musst du dich selber wieder in das Leben zurückkämpfen. Ich habe das geschafft, weil ich eine starke Familie habe und die halten zu mir, so wie ich zu ihnen. Und ich habe eine starke Psyche und gelernt, mich nicht unterkriegen zu lassen.