Seit Jahren wird eine Trendwende im Kampf gegen den Verlust der biologischen Vielfalt gefordert. Große Hoffnungen hatte die vor gut 25 Jahren verabschiedete Biodiversitätskonvention geweckt. Ihre ambitionierten Zielsetzungen konnte sie aber kaum durchsetzen.
Vor 25 Jahren bekundeten 196 Uno-Mitgliedsstaaten, so gut wie die ganze Welt, ihren Willen zum Schutz der biologischen Vielfalt auf unserem Planeten. Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt, im Englischen Convention on Biological Diversity (CBD), wird hierzulande Biodiversitätskonvention genannt und ist das umfassendste Abkommen im Bereich Naturschutz und nachhaltiger Nutzung der natürlichen Ressourcen. Die Erfolge im Kampf gegen den Verlust der Artenvielfalt waren trotz diverser internationaler Folgeabkommen und ambitionierter Vorgaben allerdings dürftig.
„Der weltweite Zustand der Natur ist besorgniserregend", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze im Dezember 2018 auf der 14. Vertragsstaatenkonferenz, die alle zwei Jahre an verschiedenen Tagungsorten stattfindet. „Der Verlust von Arten und ihren Lebensräumen ist neben dem Klimawandel die zweite große Umweltkrise unserer Zeit. Wir machen zwar Fortschritte, wenn es zum Beispiel um die Ausweitung von Schutzgebieten geht. Aber in anderen Bereichen wie dem Abbau naturschädlicher Subventionen etwa in der Landwirtschaftspolitik passiert noch viel zu wenig." Acht Jahre zuvor, als die Uno 2010 zum Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt deklariert hatte, hatte schon Angela Merkel gestanden, dass es nicht gelungen sei, den dramatisch und in beängstigendem Tempo fortschreitenden Prozess des Verlustes an Artenvielfalt zu stoppen. Außerdem: „Der Schutz der biologischen Vielfalt hat dieselbe Dimension wie die Frage des Klimaschutzes."
Landwirtschaft ist einer der Hauptverursacher
Ein schönes Wortbekenntnis, dem allerdings ähnlich wie beim Klimaschutz bislang kaum Taten gefolgt sind. Dafür gibt es verschiedenste Gründe. Es ist fraglos ein Verdienst des CBD, dass das Thema Artensterben im öffentlichen Bewusstsein verankert ist und darauf hingewiesen wird, dass es nicht nur um den Verlust einzelner Arten, sondern darüber hinaus um die Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen geht. Bewusstwerdung der Problematik allein genügt allerdings nicht, weil im Ernstfall der Naturschutz noch immer hinter den dominierenden wirtschaftlichen Interessen in allen Gesellschaften zurücktreten muss: „Lobby der Landwirtschaft, der Verkehrsinfrastruktur oder des Energiesektors. Das sind die Akteure, an denen eine effektive Naturschutzpolitik regelmäßig scheitert", so der deutsche Umweltforscher Prof. Christoph Görg von der Universität für Bodenkultur Wien jüngst in einem Interview mit der Biodiversitätsforschungs-Plattform NeFo. Auch Belange des Bergbaus oder der Tourismusbranche werden häufig dem Naturschutz vorgezogen. Vor allem die industrielle, durch Subventionen geförderte Landwirtschaft, die trotz Zunahme des Ökolandbaus und etwas Reduzierung des bedenklichen Düngereinsatzes noch weit von Nachhaltigkeit entfernt ist, ist laut CBD-Angaben zu 70 Prozent für den Rückgang der Biodiversität verantwortlich. Auch in anderen Bereichen wird dem Wirtschaftswachstum und dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit noch immer der Vorrang vor dem Naturschutz eingeräumt, der nach wie vor nicht als global-gemeinschaftliche Aufgabe der Menschheit angesehen wird. Die Zielformulierungen der CBD sind in weiten Teilen so schwammig und beliebig auslegbar gehalten, dass sie leicht zugunsten nationaler Interessen umgangen werden können, auch wenn immerhin 190 der 196 Vertragsstaaten inzwischen eigene Biodiversitätsstrategien oder -aktionspläne erstellt haben. Die Bundesregierung hatte sich bis zur Verabschiedung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 2007 immerhin 14 Jahre Zeit gelassen und erst ab 2011 erste Schutzmaßnahmen im Bundesprogramm Biologische Vielfalt gestartet. „Das Problem ist immer, dass die Umweltkonvention keinen Sanktionsmechanismus hat, sondern nur die Vertragsstaaten auffordern kann, etwas zu tun", so der Geoökologe Dr. Axel Paulsch vom Regensburger Institut für Biodiversität in einem aktuellen „Deutschlandfunk"-Interview. „Wenn sie das dann nicht in dem Maße tun, in dem man es erhofft hätte oder was man gerne hätte, kann man sie nicht dazu zwingen."
Ende der 80er-Jahre war im Zuge des rasanten Abbaus der Regenwälder und des damit verbundenen Verschwindens zunächst prominenter Tierarten der Schwund der Biodiversität erstmals als globales Problem erkannt worden. Und führte schließlich im Juni 1992 auf einer in Rio de Janeiro tagenden Uno-Konferenz für Umwelt und Entwicklung zur Unterzeichnung der CBD, die ab 29. Dezember 1993 in Kraft treten sollte. In dem Abkommen wurden drei Hauptziele formuliert: Erhalt der Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten, Lebensräumen und Genen; nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen wie Wälder, Flüsse, Meere, wild lebender Tiere und Pflanzen; gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergebenden Gewinne und Vorteile. Alle Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, diese Bestimmungen in nationales Recht zu übertragen und eigene Biodiversitätsstrategien zu erarbeiten.
Danach passierte wenig. Wenn man mal vom Inkrafttreten des sogenannten Cartagena-Protokolls im September 2003 absieht. Dieses regelte den grenzüberschreitenden Handel mit gentechnisch veränderten Organismen. Das bis 2010 vorgegebene Ziel einer signifikanten Reduktion des Verlusts an biologischer Vielfalt konnte nicht erreicht werden. Daher riefen die Vereinten Nationen 2010 zu einer Uno-Dekade der Biodiversität auf und formulierten auf der zehnten CBD-Vertragsstaatenkonferenz im japanischen Nagoya, das zur Präfektur Aichi gehört, detailliertere Vorgaben im sogenannten Nagoya-Protokoll. Außerdem beschlossen sie den „Strategischen Plan für Biodiversität 2011-2020", der neben fünf allgemeinen unverbindlichen Targets wie Bekämpfung der Ursachen des Rückgangs der biologischen Vielfalt auch 20 detailliertere, diese Targets spezifizierende Handlungsziele, die sogenannten Aichi-Ziele, enthielt.
Deutschland investiert nur eine halbe Milliarde
Im Nagoya-Protokoll, das vor allem der „Biopiraterie" entgegenwirken sollte, wurden in einem Interessenausgleich zwischen Entwicklungsländern und reichen Industrieländern verbindliche Regelungen für den Zugang zu genetischen Ressourcen sowie bezüglich der gerechten Gewinnaufteilung aus deren Nutzung getroffen. Internationale Pharmakonzerne können sich seitdem nicht mehr kostenlos an den genetischen Ressourcen aus Entwicklungsländern oder dem traditionellen Wissen indigener Völker zur Herstellung von Arzneimitteln bedienen. Die wichtigsten Aichi-Ziele, die bis 2020 umgesetzt werden sollten, waren beispielsweise: Ausdehnung der Schutzgebiete auf 17 Prozent der globalen Landfläche und zehn Prozent der Ozeane, Ende der Überfischung der Meere und Senkung der Verlustrate natürlicher Lebensräume auf nahezu null.
Wieder schöne Ziele, von denen vor Beginn der jüngsten CBD-Vertragsstaatenkonferenz eigentlich nur die Erweiterung der Land- und Wasserschutzgebiete sowie das Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls als Erfolg verbucht werden konnten. Wohingegen der Plastikmüll als weitere Gefahr für die biologische Vielfalt und die weltweiten Ökosysteme neu hinzugekommen ist. Der deutsche Vertreter im ägyptischen Tagungsort, Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth, zog denn auch ein ziemlich pessimistisches Zwischenresümee: „Wir verlieren weiterhin täglich Tier- und Pflanzenarten in großer Zahl und zerstören weltweit Lebensräume ‒ trotz ehrgeiziger globaler Ziele zum Schutz der Biodiversität. Eine Trendwende ist überfällig."
Immerhin lässt sich Deutschland seit 2013 den Schutz der weltweiten biologischen Vielfalt jährlich das bescheidene Sümmchen von einer halben Milliarde Euro kosten. Ein kleiner Fortschritt wurde in Sharm El-Sheik bezüglich des Bestäuberschutzes erzielt, das weltweite Bienensterben war Grund genug für Überlegungen zur Reduzierung des Pestizideinsatzes. Zudem konnte man sich darauf verständigen, Zonen in der Ostsee, im Schwarzen und Kaspischen Meer als bedeutsam für die ökologische Vielfalt zu deklarieren. Das kann als erster Schritt zur Einrichtung neuer Meeresschutzgebiete angesehen werden.