Dr. Martin Aberhan ist Paläontologe am Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung in Berlin. Er hat sich intensiv mit den großen Massenaussterben der Geschichte beschäftigt.
Herr Dr. Aberhan, welches war das bislang schlimmste Massenaussterben in der Geschichte unseres Planeten?
Am Ende des Zeitalters Perm, vor 250 Millionen Jahren, gab es das wohl bislang größte Massenaussterben, was die Intensität anbelangt. Circa 90 Prozent der Arten in den Meeren sind damals ausgestorben.
Weshalb?
Da gab es ein ganzes Arsenal an Faktoren. Der starke Vulkanismus und die Klimaerwärmung. Das hatte Folgeerscheinungen. Zum einen waren es die erhöhten Temperaturen selbst. Wenn es immer wärmer wird, kommen die Lebewesen im Ozean nicht mehr klar und sterben. Aber im Zuge von Ozeanerwärmung breiten sich auch Sauerstoffmangelmilieus aus. Das kennt man heute als sogenannte tote Zonen. Man hat Hinweise, dass das am Ende des Perms der Fall war. Und dann gibt es noch die Ozeanversauerung. Der pH-Wert geht runter und kalkhaltige Organismen sind stark davon betroffen, weil die Bildung von Schalen im sauren Meerwasser erschwert wird. Das sind die Hauptfaktoren: Sauerstoff, Temperatur und Versauerung.
Was kann zu einem Massenaussterben führen?
Zu Massenaussterben führen vor allem abiotische Umweltfaktoren. Als wichtigster hat sich das Klima herausgestellt. Es sind vor allem Phasen rascher und starker Erwärmung. Hyperthermal Events nennt sich das. Dieses Phänomen haben wir auf jeden Fall bei drei der fünf großen Artensterben: Beim größten am Ende der Perm-Zeit, bei einem zweiten am Ende der Trias-Zeit und eventuell auch am Ende des Devons. Dann gibt es noch ein paar kleinere Massenaussterbe-Ereignisse. Im unteren Jura gab es etwa eines mit einem hyperthermalen Event.
Wie war es bei den anderen beiden Massenaussterben?
Am Ende der Kreidezeit gab es zusätzlich zur starken Vulkantätigkeit einen katastrophalen Meteoriteneinschlag, das ist gut belegt. Der aufgewirbelte Staub und Ruß aus Waldbränden haben zu einer Verdunklung der Atmosphäre geführt. Fotosynthese war nicht mehr möglich und die ganzen Nahrungsketten an Land und in den Meeren brachen zusammen. Auch rasche Klimaveränderungen waren die Folge. Das fünfte Massenaussterben gab es am Ende des Ordoviziums. Da gab es eine Vereisungsphase und in der Folge wieder eine Erwärmung. Am Höhepunkt der Eiszeit und circa eine Million Jahre später während der Erwärmung kam es dann zu zwei Aussterbewellen.
Wie kommt solch ein hyperthermales Event zustande?
Der sogenannte ultimative Auslöser ist in der Erdvergangenheit immer eine Phase intensiven Vulkanismus. Es gibt große magmatische Provinzen, also Zeitabschnitte, in denen es stark erhöhte magmatische Aktivität gab, und in diesem Zuge wurden Treibhausgase in der Atmosphäre angereichert. Direkt durch das Ausgasen von CO₂ zum Beispiel. Das führt zu global wärmeren Durchschnittstemperaturen und den schon genannten Folgeeffekten mit großem Stress bei den Tieren und Pflanzen.
Das beobachten wir im Moment auch, oder?
Ja, aber diesmal ist es vor allem menschengemacht. In der Vergangenheit kann man schauen, wie es sich verhält, wenn nicht der Mensch der Auslöser ist, sondern die Natur. Die Fragmentierung von Habitaten, die Verschmutzung von Ozeanen und Kontinenten, das sind Prozesse, die es früher nicht gab.
Befinden wir uns im sechsten großen Massenaussterben?
Es ist noch gar nicht so viel ausgestorben, aber man sagt, wir sind im sechsten Massenaussterben und viele Arten sind tatsächlich vom Aussterben bedroht. Die großen Säugetiere der letzten Eiszeit, Mammut, Säbelzahntiger, solche Tiere sind ja schon verschwunden, aber die große Welle steht wohl noch bevor. Es gibt bereits starke Rückgänge in der Häufigkeit einzelner Arten. Es sind einfach weniger da und ihre geografische Verbreitung ist eingeschränkt. Es gibt also lokale und regionale Verluste. Aber ausgestorben ist eine Art nicht, solange es irgendwo noch ein Exemplar gibt.
Welche Arten sind im Moment am stärksten von einem Massenaussterben betroffen?
Am stärksten sind meines Wissens die Amphibien gefährdet.
Ist ein Aussterben Zufall oder eine natürliche Regulierung?
Die großen Massenaussterben sind alle durch gravierende Umweltveränderungen ausgelöst. Aber es gibt natürlich auch biotische Interaktionen. Wenn sehr viele Arten in einer Region leben ist die Frage, ob es Sättigungseffekte gibt. Das ist dann der Fall, wenn Ressourcen und Nährstoffe knapp werden und die Konkurrenz steigt. In solch einem Fall ist aber der Konsens, dass das nicht zu Massenaussterben führt.
Gibt es bestimmte Zeiträume, also kann man sagen, alle paar Millionen Jahre passiert so etwas?
Die fünf großen Massenaussterben sind nicht periodisch angeordnet. Es gibt aber Studien, die auch kleinere Ereignisse mit erhöhter Aussterbeintensität mit einbeziehen. Da ist tatsächlich ein Zyklus zu erkennen und er liegt bei rund 26 Millionen Jahren.
Alle 26 Millionen Jahre stirbt also ein größerer Anteil der Lebewelt unseres Planeten aus?
Statistisch gesehen gibt es Hinweise, ja. Die Ursachen sind unklar. Das sind auch astronomische Faktoren, die die Bewegung unseres Sonnensystems innerhalb der gesamten Galaxie betreffen.
Wirklich erforscht ist es also noch nicht, klar ist aber, dass es schon fünf große Massenaussterben gab und wir uns vermutlich im sechsten befinden. Kann man da nicht gegensteuern, wenn man die Zyklen kennt, damit wir Menschen nicht irgendwann aussterben?
Es hat nicht zwingend mit den Zyklen zu tun. Die gegenwärtige Krise könnten wir wohl abmildern, wenn die Erderwärmung abgebremst wird. Aber die Fossilien sagen uns, dass Arten zeitlich begrenzt sind und nicht für immer und ewig existieren. Da wird der Mensch keine Ausnahmen machen.
Die Menschheit wird also zwangsläufig irgendwann aussterben?
Der Mensch wird irgendwann verschwinden. Manche Arten sind sehr kurzlebig, andere langlebig. Aber nach ein paar Millionen Jahren ist Schluss. Die Menschen gibt es ja noch nicht so lang. Es ist allerdings beim Menschen immer ein Sonderfall insofern, dass er über ein Bewusstsein verfügt und seine Umwelt in viel stärkerem Maße beeinflussen kann. Da wird man sehen, was das für einen Einfluss auf die Art Mensch hat.
Wenn man sich die Zeitlinie der Artensterben ansieht, fällt auf, dass es danach immer steil bergauf geht mit der Artenvielfalt auf der Erde. Ist das ein
natürlicher Prozess?
Ja. Aber es muss einem klar sein, dass das immer noch Hunderttausende bis Millionen von Jahren sind, bis sich die Diversität wieder erholt hat. Nach dem größten Massensterben dauerte es acht bis zehn Millionen Jahre, bis die Vielfalt wiederhergestellt war. Das sind aus menschlicher Sicht unvorstellbar lange Zeiträume.
Weshalb erholt sich die Diversität jedes Mal aufs Neue?
Nach einem Massenaussterben fehlen Arten auf der Erde. Die Ökosysteme sind unterbesetzt. Das eröffnet viele Möglichkeiten. Sobald die Ökosysteme wieder tolerierbar sind, stehen Ressourcen zur Verfügung und es gibt wieder neue Möglichkeiten für das Leben. Neuentstehende Arten kommen auf, das ist ein ganz natürlicher Prozess, durch Mutation und natürliche Auslese. Die Arten können sich etablieren, ihre Verbreitung erweitern, ihre Häufigkeit vergrößern. Zu einem anderen Zeitpunkt, wenn viele Arten ein Ökosystem besetzen, ist es nicht so leicht. Dann sterben neue Arten wegen des Wettbewerbs mit bereits vorhandenen Arten auch schnell wieder aus.
Das Leben findet also immer einen Weg. Heißt das, die Erde ist unkaputtbar?
Vielleicht kommt es irgendwann zu einer Kollision mit einem anderen großen Himmelskörper. Keiner weiß das. Dann geht schon einiges kaputt. Aber die Natur ist präsent. Vielleicht auch mal ohne den Menschen. Und irgendwann kommt das Ende, wenn die Sonne zu einem Roten Riesen wird und die Erde verglüht.
Das dauert aber hoffentlich noch ein bisschen?
Das dauert noch ein paar Milliarden Jahre.
Das beruhigt mich.
Schauen Sie: Das Entscheidende in diesem Themenkomplex sind die Zeitskalen. Uns interessiert ja vor allem, was bis zum Ende dieses Jahrhunderts passiert. Weiter schaut kaum einer hinaus. Das sind Zeiträume, die geologisch gar nicht auflösbar sind. Wir Paläontologen arbeiten auf Zeitskalen von Tausenden bis Millionen von Jahren. Die Natur hat sich bislang von allen Katastrophen erholt. Aber das wird für den Menschen irrelevant sein.
Angenommen, der Mensch stirbt aus. Kann er dann nicht einfach noch mal entstehen?
Nein, das kann auf natürliche Art nicht passieren. Bei Organismen die erst vor Kurzem ausgestorben sind, könnte vielleicht künstlich im Labor aus Knochen-DNA geklont werden, aber in der Natur gibt es Arten immer nur einmal.
Warum nicht?
Das Genom ist so komplex und variabel, dass so etwas einfach nicht stattfindet. Es gibt immer Abweichungen. Nehmen wir das Mammut als Beispiel. Es ist ausgestorben und mit ihm ist eben auch das Genom des Mammuts verschwunden. Damit es ansatzweise wiederkäme, müsste aus einem weiter entfernten Verwandten wie dem Elefanten eine Art durch Mutation entstehen, die näher am Mammut ist als am Elefanten, das ist statistisch so unwahrscheinlich, dass es in der Praxis nicht passiert.