Am Kohleausstiegskompromiss wird gerüttelt. Es gibt Streit zwischen der Lausitz und dem Rheinland, um die Höhe der Strukturhilfen und um das Ausstiegsjahr. Ehemalige Mitglieder der Kommission warnen nun davor, den Kompromiss aufzudröseln. Aber letztlich haben Regierung und Parlament das letzte Wort.
Greta Thunberg war schon mal nicht einverstanden mit dem, was die 28 Kohle-Experten nach einem halben Jahr Verhandeln vorgelegt haben: „Deutschland will bis 2038 Kohle verbrennen. Das ist absolut absurd. Und die Leute denken, das wäre etwas Gutes", kommentierte die 16-jährige Klimaaktivistin den Beschluss der Kohlekommission. Sie war damit nicht allein. Auch erfahrenere Klima-Wissenschaftler kritisierten das Ausstiegsdatum als zu spät. Und das, obwohl Deutschlands bekanntester Klimawissenschaftler, Hans Joachim Schellnhuber, mit in der Kommission saß. Ein richtungsweisender Kohleausstieg müsste bis spätestens 2030 erfolgen, sagt Volker Quaschnig, ein anderer Klimaexperte.
Wer hat das Jahr 2038 beschlossen?
Ja, wieso eigentlich 2038? Wie kam diese Jahreszahl zustande? Und wer kam darauf?
Auf den ersten Blick war es schon die Kohlekommission, mit vollem Namen „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung". Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag vor einem Jahr auf eine solche Kommission geeinigt, ohne ein Ausstiegsjahr zu nennen. Eine Jahreszahl zu finden haben sie der Kommission als Aufgabe aufgegeben. Im Juni hatte diese ihre Arbeit aufgenommen und ein gutes halbes Jahr später beendet, am Samstag, 26. Januar 2019, um 5 Uhr früh. Im Abschlussbericht steht nicht nur das Ausstiegsdatum 2038, sondern auch die Schritte dahin, sowie Vorschläge, wie den betroffenen Regionen geholfen werden kann, und zudem, wie ein Anstieg der Strompreise zu bremsen sei. Schon 2022 sollen von den zuletzt 42,6 Gigawatt Kohlekraftwerkskapazitäten bereits 12,5 Gigawatt stillgelegt werden. Das bedeutet eine gewaltige Umstellung der deutschen Energiewirtschaft. Die Kommission hat damit eine große und schwerwiegende Entscheidung getroffen – im Konsens.
In kaum einem anderen Land wird so um Kompromisse gerungen wie in Deutschland. Kanzlerin Angela Merkel hat dieses Verfahren im Laufe ihrer vier Regierungen immer weiter entwickelt und steht wie kein Regierungschef vor ihr für diese Form des Entscheidens. Und es gibt andere Staaten, deren Streitkultur oder „Basta-Politik" derzeit kaum als attraktive Alternativen erscheinen.
Aber wer entscheidet nun in Deutschland? Greta hält das Ausstiegsjahr der Kohle also für absurd. Zudem kommt der Konsens derzeit von ganz anderer Seite unter Druck. Einer der Schlüsselfiguren der Kohlekommission, der Landrat des Rhein-Erft-Kreises, Michael Kreuzberg, warnte in einem Brief zusammen mit sieben anderen Mitgliedern der Kommission vor einer Aufkündigung des Kohlekompromisses. Es gebe die „Zusage" über 1,5 Milliarden Euro für ein Sofortprogramm bis 2021. Davon wolle das Bundesfinanzministerium nun nichts mehr wissen und spricht nur noch von 240 Millionen, sagte der CDU-Politiker dem „Kölner Stadt-Anzeiger". Und: „Falls bereits zugesagte Strukturmittel des Bundes für Sofortmaßnahmen um über 80 Prozent reduziert würden, käme das einer Aufkündigung des Kompromisses gleich."
In diesem Brief warnen die acht ehemaligen Mitglieder davor, den mühsam erreichten Kompromiss infrage zu stellen. Denn: „Sämtliche Einzelmaßnahmen bedingen einander", schreiben sie. Dazu gehöre eben auch die Einhaltung der finanziellen Zusagen. Der Abschlussbericht bestehe „nicht aus mehreren voneinander unabhängigen Teilen, sondern er ist eine unauflösliche Einheit." Deshalb muss seine Integrität nun durch ein parlamentarisches Verfahren verbindlich und für nicht revidierbar bestätigt werden."
Entscheidungen oder Vorschläge?
Alles oder nichts. Aber welches Mandat hatte die Kommission eigentlich? Wer konnte da Hilfen zusagen? Wie kamen die 28 Experten, darunter zwei Ministerpräsidenten, Verbandsvertreter von Industrie, Umweltverbänden, Wissenschaftler und Lokalpolitiker betroffener Regionen auf das Ausstiegsdatum und die „Zusagen"? Immerhin geht es dabei um 40 Milliarden Euro – genau diese Summe hat die Bundesregierung nun in einem „Eckpunktepapier" den vier betroffenen Bundesländern zugesagt.
Ganz offensichtlich haben die 28 Mitglieder der Kommision nicht ganz frei verhandelt. So taucht das Ausstiegsjahr 2038 bereits in einem Papier auf, das einer der Chefs der Kommission, der Merkel-Vertraute Ronald Pofalla, offiziell Bahn-Vorstand und Ex-Kanzleramtsminister, bereits im September verfassen ließ – und das damals wohl nicht ganz aus Versehen an die Öffentlichkeit kam. Zu dieser Zeit hatte die Kommission das Datum noch gar nicht besprochen, weswegen mindestens ein Mitglied denn auch „irritiert" war. Einige hätten sich ein späteres Datum gewünscht. Aber Verhandlungen mit, wie in diesem Fall, bis zu 100 Personen, eignen sich erfahrungsgemäß nicht, um die besten Entscheidungen zu treffen. Wie verbindlich sind die Ergebnisse nun? Sind es Kompromisse, also Entscheidungen, oder eher Vorschläge für spätere demokratische Beschlüsse?
Als „historischen Kompromiss" bezeichnet den Bericht Michael Miersch, der als SPD-Bundestagsabgeordneter mit in der Kommission saß. Er nennt das Ergebnis einen „belastbaren Konsens" und formuliert: „Das ist ein wichtiges Zeichen unserer demokratischen Gesellschaft." Wobei er doch noch relativiert: die Eckpunkte seien „Vorschläge".
„Die Kohlekommission war keine unabhängige Expertenkommission, sondern stark von den jeweiligen Interessen ihrer Mitglieder beeinflusst. Denn die Kommission war hauptsächlich mit Vertretern von Verbänden oder Experten besetzt, die für eine bestimmte Gruppierung standen, die dann untereinander einen Kompromiss erarbeitet haben", sagt Daniela Setton vom Institut für Nachhaltigkeitsstudien in Potsdam, IASS. Sie sollte einen Kompromiss der Beteiligten erreichen. Dafür war sie aber nicht wirklich gut geeignet, weil längst nicht alle Betroffenen angemessen berücksichtigt waren und andererseits oft viel zu viele am Tisch saßen. Die Sache ist eigentlich ganz einfach: Eine Kommission aus ein paar Politikern, Verbandsvertretern und Wissenschaftlern hat in einer Demokratie kein Mandat, Entscheidungen zu treffen. Wozu braucht man sie dann?
„Die Kommission hat vor allem eine Entlastungsfunktion für die Regierung", so die Schlussfolgerung von Daniela Setton. Die Regierung wollte selbst nicht für die vermeintlich unbequemen Entscheidungen über das Wie des Kohleausstiegs verantwortlich gemacht werden. Anstatt selbst ein Konzept vorzulegen und gegen Kritik zu verteidigen, gibt sie die Entscheidung ab an ein Fachgremium mit Interessenvertretern, die sich sozusagen stellvertretend auf eine Linie einigen. „Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat mit Kommissionen noch Politik gemacht", sagt Setton. „Heute scheint es, werden Kommissionen gegründet, um keine Politik mehr selbst machen zu müssen." Sie spricht daher von „Kommissionitis" als Politikersatz.
Gegen Kommissionen argumentiert kaum jemand. Der Kohleausstieg ist eine sehr komplizierte Fragestellung, mehr noch als der Atomausstieg, bei dem nur dessen Finanzierung geklärt werden musste. Der Kohleausstieg betrifft mehr Kraftwerke und mehr Regionen, die Hilfen bekommen sollen. Aber welche Rolle sollen Kommissionen im Entscheidungsprozess haben? „Die Energiewende ist ein sehr langfristiges Projekt, das alle Teile der Gesellschaft betrifft. Ohne politische Führungsstärke ist sie kaum zu erreichen", sagt Setton. Allerdings könne man auch vieles in die Wege leiten, was recht einfach umzusetzen sei und wenig Nachteile schafft. Immerhin zeigen Umfragen des vom IAAS erhobenen Energiewende-Barometers, dass über 90 Prozent der Deutschen die Energiewende grundsätzlich für richtig halten, aber die Umsetzung sehr kritisch sehen.