Das Saarland baut sein Tourismus-Angebot für Hörgeschädigte aus. Ein wichtiger Meilenstein: das erste Hotel, das auf die Bedürfnisse von Menschen mit Hörbeeinträchtigung eingeht.
Dr. Seidler sitzt auf dem Bett eines Hotelzimmers und überprüft einen besonderen Wecker, der hell blitzt. Gleichzeitig vibriert die Matratze. Hinter ihm steht Dr. Gentiana Wenzel. Beide sind HNO-Ärzte. Es ist kein normales Hotelzimmer. Wir sind im Victor’s Residenz-Hotel Saarlouis, dem ersten saarländischen Hotel, das auch für Menschen geeignet ist, die nicht gut hören.
„Der Hörsinn ist der am höchsten entwickelte Sinn des Menschen", erklärt Wenzel. Doch dieser ist bei vielen Menschen beeinträchtigt. Mit schweren Konsequenzen, wie Seidler betont: „Der Verlust der Hörfähigkeit ist die am meisten unterschätzte Behinderung." Der Mediziner weiß, wovon er spricht – er selbst trägt im rechten Ohr ein Hörgerät und im linken ein sogenanntes Cochlea-Implantat, kurz CI. Das ist eine moderne Hörprothese, die auch taube Ohren wieder hören lässt. Eine Hörschädigung kann zu starken Persönlichkeitsveränderungen der Betroffenen führen. Oft ziehen sie sich zurück, kapseln sich ab, weil ihnen die Kommunikation mit anderen Menschen so schwerfällt. Welch wundersame Wandlung solche Patienten nach dem Einsetzen eines CI an den Tag legen, erlebt Seidler täglich als Chefarzt der Rehaklinik Mediclin Bosenberg in St. Wendel, deutschlandweit die Nummer eins der Rehakliniken für CI-Träger. Gentiana Wenzel wiederum ist Oberärztin an der Homburger HNO-Klinik des Universitätsklinikums des Saarlandes. Dort werden diese Hörimplantate zuvor operativ eingesetzt.
So kommt es, dass viele Hörgeschädigte seit Jahren aus medizinischen Gründen ins Saarland reisen. Deshalb wurde 2015 auf Initiative des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr des Saarlandes (MWAEV) das Netzwerk Hören gegründet. Das Pilotprojekt vereint Partner aus Medizin und Tourismus im Saarland. Seidler und Wenzel arbeiten ehrenamtlich für das Netzwerk. Ursprünglich aus einem medizintouristischen Ansatz entwickelt, kümmert sich das Netzwerk heute allgemein um Touristen mit Hörproblemen. „Ziel ist es, hörgeschädigten Menschen ein barrierefreies und unbeschwertes Urlaubs- und Freizeitvergnügen im Saarland zu ermöglichen", sagt Carola Heimann vom Netzwerk Hören. Zum Beispiel können Sie heute als CI-Träger eine Museumsführung in der Modernen Galerie Saarbrücken machen. Über eine Induktionsschleife empfängt die Hörprothese die Worte des Museumsführers. Sie verstehen ihn klar und deutlich, auch wenn er weit entfernt steht und viele Menschen gleichzeitig durcheinanderreden – mit normalem Hörgerät kaum machbar.
Wenn aber nun das Netzwerk Hören nicht nur das Freizeitprogramm von Rehapatienten verbessern will, sondern ganz normale Urlaubsreisen von Hörgeschädigten ermöglichen, was braucht man dann als Erstes? Natürlich ein geeignetes Hotel. Klingt leichter, als es ist. Die Probleme fangen schon an der Rezeption an. Sind alle wichtigen Informationen visuell erfassbar? Kann ich die Empfangsmitarbeiter beim Einchecken gut verstehen? Und dann die Zimmer: normale Telefone, Wecker, Klingel, TV, Rauchmelder – alles erfordert einen funktionierenden Hörsinn. Und auch wer ein Hörgerät trägt, möchte das Ding beim Schlafen mal ausziehen. Diese Probleme können Reisende aber nun abhaken – vorausgesetzt, das Reiseziel heißt Saarlouis.
Dort ist das Victor’s Residenz-Hotel Saarlouis vorgeprescht. In Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Hören hat es die oben beschriebenen Barrieren abgebaut. Deshalb wurde es kürzlich von Staatsekretär Jürgen Barke mit dem Qualitätssiegel „Hören mit Herz" ausgezeichnet, als erstes saarländisches Hotel. Insgesamt tragen 20 touristische Betriebe im Saarland das Qualitätssiegel für mehr Hörkomfort, darunter fünf Tourist-Infos, zwei Museen, zwei Ferienwohnungen, sechs Gästeführer und ein Wanderführer.
Was das frisch ausgezeichnete Hotel nun so besonders macht? Schon an der Rezeption erleichtert eine induktive Höranlage CI-Trägern das Verstehen – zu erkennen am offiziellen Aufkleber. Die Rezeption ist außerdem gut und blendfrei ausgeleuchtet, da die Gäste mit Hörbeeinträchtigung oft von den Lippen ablesen. Außerdem liegen die wichtigsten Infos für Gäste schriftlich vor. Auch die Mitarbeiter sind im Umgang mit Hörbehinderten geschult.
„Die Technik war gar nicht so extrem teuer"
Victor’s hat außerdem zwei Gästezimmer mit hörunterstützender Technik ausgestattet. Dort hat zum Beispiel die Zimmertür außen einen Klingelknopf, der drinnen Lichtblitze auslöst. Hat man Frühstück ans Bett bestellt, kann der Zimmerservice blitzen statt klopfen. Eher selten benötigt, aber mindestens genauso wichtig: der Rauchmelder. Stellen Sie sich vor, es brennt zu nachtschlafender Zeit, aber Sie können den Alarm nicht hören. In einem normalen Hotel lebensgefährlich. Bei Victor’s wären Sie in solch einem Fall jedoch blitzschnell hellwach. Und zwar wörtlich, denn ein spezieller Rauchmelder alarmiert Sie mit grellen Blitzen zusätzlich zum schrillen Warnton. Und wer das im Zimmerpreis enthaltene Sky-TV schauen möchte, kann dank Funkkopfhörern den Lautstärkepegel im Zimmer senken – den Zimmernachbarn freut’s. Und wer morgens geweckt werden möchte? Stellt einfach den Lichtwecker. Sogar wer eine Schlafmaske trägt oder blind ist, bekommt Weckruf, Feueralarm und Klingel mit: Ein Vibrationsgenerator versetzt die Matratze in deutlich spürbare Schwingungen.
„All diese Technik war gar nicht so extrem teuer", erklärt Hoteldirektorin Agnès Buschendorf. Doch es erforderte viel Know-how, das Hotel entsprechend umzurüsten. „Alleine die Installation der speziellen Rauchmelder war sehr aufwendig", erzählt sie. Das Qualitätssiegel ist für sie ein schöner Lohn für die Bemühungen. „Mit der Auszeichnung des Netzwerks Hören geht das Victor’s Residenz-Hotel in Saarlouis einen weiteren Schritt in Richtung barrierefreier Aufenthalt", sagt Buschendorf. „Damit trägt es nicht nur zu einem unbeschwerten und sicheren Aufenthalt für hörgeschädigte Menschen bei, sondern sorgt dafür, dass der Zugang für alle Menschen erleichtert wird. Das gilt vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die Gästegruppen der reisefreudigen älteren und eingeschränkten Menschen zunimmt."
Das Netzwerk Hören wiederum hat das Hotel schon in seinem neuesten Video verfilmt. „Hörreise einer CI-Trägerin durchs Saarland" heißt der Kurzfilm. Neugierig? Geben Sie den Titel einfach auf der Onlineplattform Youtube ein.
Infos zu den zertifizierten Betrieben des Netzwerks Hören: