Was 2018 als kleiner Probelauf seinen Anfang genommen hatte, wird sich im Sommer 2019 zu einem Mega-Trend entwickeln. Denn die Radlerhosen aus den 90ern sind in der aktuellen Damenmode der Renner der Saison. Zum Beispiel in eleganter Variante mit einem schicken Blazer-Partner.
Wenn das so weiter geht, werden die Damen wohl bald in Taucheranzügen samt den passenden Unterwasserbrillen auf den Straßen zu sehen sein. Der modische Accessoire-Schnorchel könnte dank eines eingebauten Filters gegen Kohlendioxid und Feinstaub schützen. Spaß beiseite, aber die Designer sind offenbar fest entschlossen, sämtliche Facetten aus der Welt der Sportswear auszuschlachten und in ihren Kreationen neu zu interpretieren. Der Siegeszug des Athleisure hält unverändert an. Nach Turnschuhen, Jogging-Pants, Trainingsanzügen, Varianten der Adidas-Streifen als Hosenschmuck-Detail, Formel-1- und Ski-Schutzmützen oder Biking-Klamotten sind kommenden Sommer die Bicycle Shorts dran. Jene eng anliegenden, oberhalb des Knies endenden Nylon-Elastan-Synthetik-Hosen, wie sie aus dem Profi-Radrennsport seit jeher bekannt sind. Allerdings ohne jegliche den Po auf dem Sitz abfedernde Polsterung. Im Sommer 2018 hatten einige Labels schon mal einen Probelauf in Sachen Radlerhosen gestartet und wurden danach in Windeseile vom Streetstyle und Social-Media-Stars überholt.
Für den Alltag eignen sich lange Oberteile
Wie immer kann man sich bei diesem Trend die Frage stellen, warum die Spandexhosen aus den 90er-Jahren derzeit wieder ein Fashion-Comeback feiern, obwohl sie im Rückblick für manche Damen so etwas wie ein schlimmer persönlicher Mode-Fauxpas waren. Ausgerechnet Karl Lagerfeld hatte die Radlerhosen 1991 mit Chanel salonfähig gemacht. Sie waren so angesagt, dass nicht einmal Lady Di davor zurückgeschreckt war, sich Mitte der 90er damit auf der Straße zu zeigen ‒ und dazu auch noch Sneakers mit Tennissocken und weite Sweatshirts trug. Mit dem Komfort der Hosen war es damals noch nicht so weit her, weil die Nähte häufig in die Oberschenkel einschnitten. Die deutsche „Vogue" hat zwei Gründe für das Radlerhosen-Revival verantwortlich gemacht. Die Sportlichkeit und den Retro-Charme. Wobei der erste Aspekt laut der „Vogue" nicht so ausschlaggebend sein kann, weil die Hose sonst ja wohl kaum 20 Jahre von der Bildfläche verschwunden geblieben sein konnte, sportive Bequemlichkeit und Funktionalität hin oder her. Bleibt also der nostalgische Retro-Antrieb: „Eine Radlerhose ist eine Aussage, zumindest jetzt noch. Sie sagt: Ich habe mir Gedanken gemacht, Gedanken über die 90er-Jahre, die doch gerade so angesagt sind, Gedanken darüber, wie sich entspannt und eigen sein lässt."
Lassen wir das einfach mal so stehen und vergessen am besten auch gleich die Presswurst- oder Cameltoe-Optik, die knappe Klamotten wie beispielweise die Radlerhosen im Damenschritt häufig zu erzeugen pflegen. Was sich leicht durch das Kaschieren des Spandexteils durch lange Oberteile wie Blazer, Blusen oder Jacken kaschieren lässt. Und stellen wir einfach mal fest, dass die Radlerhosen auf jeden Fall eine superbe Alternative zu den ebenfalls wieder angesagten Leggins sind.
An Herren eher wenig gefragt
Apropos Leggins: In der Herrenmode hatten einige Menswear-Designer wie Raf Simons, Thom Browne oder Kilian Kerner im Sommer 2010 versucht, die Radlerhose als maskulines Pendant zur weiblichen Leggins in der Fashion-Welt zu etablieren. Letztlich hatte es nicht funktioniert, obwohl es bei Lanvin sogar Radlerhosen aus feiner Wolle gegeben hatte. Für „Zeit"-Stil-Kommentator Tillmann Prüfer seinerzeit nicht weiter überraschend: „Es gibt in der Mode nämlich nichts Problematischeres als den entblößten männlichen Unterschenkel. Falls der nicht gebräunt und muskulös ist, sollte man ihn verhüllen." Was die Farbe der Herren-Radhosen betrifft, so gilt es schon immer laut einem aktuellen „Spiegel"-Beitrag unbedingt eine einzige grundlegende Regel zu beachten: „Eine Fahrradhose kann jede Farbe haben, so lange es nur Schwarz ist."
Diese Regel ist den Damenmode-Designern gänzlich unbekannt oder zumindest völlig schnuppe. Aber immerhin hat Stella McCartney in ihrer Sommerkollektion 2019 eine interessante Variante der männlichen Radlerhose aufgegriffen, indem sie die Bib-Shorts mit einer Art Hosenträger in eine feminine Overall-Radhose verwandelte. Damit stellte sie eindrucksvoll unter Beweis, dass die Grenzen zwischen Sportswear und Alltagsmode inzwischen komplett verschwunden sind. Es gibt so gut wie keinen gesellschaftlichen Rahmen mehr, in dem frau sich nicht auch sportlich zeigen könnte. Und da kommt die Radlerhose offenbar gerade recht: „Vor nicht allzu langer Zeit", so die „Vogue", „war sie noch ein Relikt von alten Familienfotos oder eine Erinnerung an die Kindergärtnerin, jetzt ist sie ein Erkennungszeichen für trendbewusste Menschen. Wenn die Mode sagt, eine Radlerhose ist cool, dann ist sie cool."
Egal, ob sie sportiv zum Einsatz gebracht wird à la Lady Di in Kombination mit Sneakers und Sweatshirts oder stilbrechend elegant mit High Heels, opulenten Accessoires und Crop-Top. Bürotauglich dürfte das gute neue alte Stück aber immer noch nicht sein, auch wenn die Designer diesen Sommer durch das Präsentieren von Radlerhosen mit farblich identischen Blazerjacken einen progressiven Schritt in diese Richtung weisen möchten. Die schönsten Kombis haben Matthew Adams Dolan, Dion Lee, Chanel, Roberto Cavalli und Maryam Nassir Zadeh in ihrer aktuellen Kollektion. Damit machen sie den ebenfalls trendigen Shorts-Anzügen, wie sie Marc Jacobs, Emilia Wickstead oder Elie Saab in ihren Sommerkollektionen führen, gehörig Konkurrenz.
Auch wenn manche Damen sich womöglich mit dem Radlerhosen-Trend noch etwas schwer tun werden, weil ja nicht jede Lady wie ein männlicher Tour-de-France-Held daherkommen möchte, so ist diese Hose für die Silhouette schon eine feine Sache. Im Unterschied zur häufig etwas aufplusternden normalen Shorts werden die Beine optisch verlängert. Aber eine Mutprobe „für viele, vom jahrhundertelang tradierten Oberschenkeltrauma geplagten Frauen", so die „Iconist"-Redaktion der „Welt", mag die Biker Shorts noch immer darstellen.