Müll verbrennen? Das sollte eigentlich erst der letzte von fünf Schritten sein, meint Professor Stefan Gäth. Er erklärt, weshalb Müll als Rohstoffquelle bislang nur eine untergeordnete Rolle spielt und warum wir unser Handy künftig vielleicht eher leasen, als es zu kaufen.
Herr Gäth, immer wieder hört man, unser Müll sei der Rohstoff der Zukunft: Wie weit sind wir in dieser Sache schon?
In der Theorie schon recht weit. Was die praktische Umsetzung angeht, stehen wir jedoch erst ganz am Anfang – da laufen wir uns gerade erst warm.
Woran liegt das?
Das hat vor allem mit den niedrigen Preisen für die (natürlich vorkommenden) Primärrohstoffe zu tun. Angesichts ihres Werts und ihrer zunehmenden Knappheit sind diese viel zu billig, auch wenn viele das nicht hören wollen und stattdessen lieber über zu hohe Benzinpreise schimpfen. (Recycelte) Sekundärrohstoffe sind in der Regel teurer, weil sie meist in Industrieländern mit höherem Lohnniveau gewonnen werden. Zwar wird dafür weniger Energie benötigt, aber auch die Kosten dafür liegen derzeit eher zu niedrig, sodass das für viele Unternehmen kein Argument ist. Allerdings bedeutet die Primärgewinnung von Rohstoffen eine deutlich höhere Belastung für die Umwelt in den Förderländern in Asien, Afrika oder Südamerika.
Inwiefern?
In einer Tonne Handyschrott finden wir beispielsweise 240 Gramm Gold. In einer Mine ist es nur ein Bruchteil dessen, deshalb muss dort viel mehr Material bewegt werden. Der Eingriff in die Umwelt ist also viel größer. Das Thema betrifft aber nicht nur Elektroschrott: Selbst Bauschutt lässt sich wiederverwerten – man spricht in diesem Zusammenhang auch vom sogenannten Urban Mining. Das Problem ist bloß, dass wir oftmals gar nicht so genau wissen, was eigentlich verbaut wurde und wie viele Rohstoffe sich darin verstecken. Da ist mehr Transparenz gefragt. Eine Rohstoffmine wird schließlich auch erst geologisch erforscht, bevor wir sie ausbeuten.
Wann und warum kam es eigentlich zu dem Sinneswandel, Müll als Rohstoff zu betrachten?
Das war um die Jahrtausendwende, als die Erdbevölkerung weiter rasant gewachsen ist. Es leben immer mehr Menschen auf unserem Planeten, aber die Rohstoffe sind begrenzt und ebenso die Fläche, die man deshalb nicht unbedingt mit Mülldeponien vollpacken will. Das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz stammt von 1996. Es soll die Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen Ressourcen fördern, den Schutz von Mensch und Umwelt bei der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen sicherstellen sowie insbesondere das Recycling und die sonstige stoffliche Verwertung von Abfällen fördern. Es gilt die sogenannte Fünf-Stufen-Abfallhierarchie: Die erste Wahl ist immer, Abfälle ganz zu vermeiden, gefolgt von der Wiederverwendung beispielsweise noch funktionierender Altgeräte als Secondhandware. Danach folgt das Recycling, also die stoffliche Verwertung, erst dann die energetische Verwertung zum Beispiel zur Energieerzeugung. Nur wenn Abfall sich nicht vermeiden, nicht wiederverwenden und auch nicht verwerten lässt, steht ganz am Ende der Hierarchie dessen Beseitigung.
Aber warum landen dann nach wie vor so viele Rohstoffe auf der Mülldeponie und in der Müllverbrennung?
Das hat zum einen sicher mit der Bequemlichkeit der Bürger zu tun. Zum anderen braucht es aber vielleicht auch noch bessere Informationen, wie das Verwertungssystem funktioniert und welche Rohstoffe wie entsorgt werden.
Es heißt, allein auf einer mittelgroßen Deponie würden Rohstoffe im Wert von bis zu 120 Millionen Euro lagern!
Eine konkrete Zahl zu nennen, ist schwierig. Das hängt auch von den jeweiligen Marktpreisen und Erlösen sowie von den Kosten für den Deponierückbau ab. Fakt ist aber, dass Müll bares Geld ist und einige Firmen gut daran verdienen. Und wo Geld im Spiel ist, gibt es auch schwarze Schafe, auch das ist klar. In Afrika müssen zum Teil Kinder Elektroschrott ausbrennen. Grundsätzlich ist gegen den Export von Müll nichts einzuwenden, solange er auch im Ausland ordnungsgemäß verwertet wird und dem Kreislauf erhalten bleibt. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der Abfälle genauso gehandelt werden wie andere Güter. Gerade die Chinesen haben Kunststoffe in der Vergangenheit gern genommen. In Deutschland fehlen zum Teil auch die entsprechenden Kapazitäten. Da ist es einfacher, das Material zu verkaufen.
Apropos Bequemlichkeit: Welche Rolle spielt der Verbraucher insgesamt bei der Rohstoffverwertung?
Er ist die Triebfeder des ganzen Prozesses. Das fängt schon damit an, dass ich mich als Konsument entscheiden muss, ob ich ausschließlich billig kaufe – oder ob für meine Kaufentscheidung noch andere Dinge eine Rolle spielen. Über den Preis definiert der Kunde auch die Werthaftigkeit des Produktes und der darin enthaltenen Rohstoffe.
Aber sollte nicht auch die Industrie – am besten schon bei der Herstellung – die Wiederverwertung ihrer Produkte mitbedenken?
Das wäre der Optimalfall! Ich kann mich jedoch nur wiederholen: Das wird erst passieren, wenn die Rohstoffe sich weiter verknappen und die Preise entsprechend steigen. Für die Zukunft sind ganz neue Marktmodelle denkbar. Künftig könnte man nicht länger das Gerät erwerben, beispielsweise ein Smartphone oder einen Fernseher, sondern deren Nutzung – eine Art Leasing, wie man es aus der Automobilbranche kennt. Der Vorteil für Unternehmer liegt darin, dass sie genau wissen, wie viele Geräte sie in Umlauf gebracht haben, welche Rohstoffe darin stecken und wie viel sie davon zurückerwarten können. Diese Rohstoffe können zur Herstellung der nächsten Produktgeneration bereits eingeplant werden. Momentan sind wir davon allerdings noch meilenweit entfernt.