Wenn es so weitergeht, könnten aus unseren Städten in zehn Jahren Disneylands für Touristen werden, warnen Kritiker. Eine Diskussion über Chancen, wie Metropolen Tourismus nachhaltig gestalten können.
enedig erhebt Eintritt, Dubrovnik hat die Altstadt abgesperrt und lässt die Besucher nur tröpfchenweise hinein, New York hat nach London Mautgebühren für das Befahren der Innenstadt eingeführt und die griechische Insel Santorin lässt nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe pro Tag anlegen. Der Massentourismus stößt auf Widerstand. Und was tut Berlin? Noch nicht viel, wenn man der Diskussion in der Taz-Kantine folgt, zu der die Europäische Akademie Berlin eingeladen hat. Karl Hochholzner von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe: „Die Bezirksvertretungen müssten mehr zusammenarbeiten. Wir leiden darunter, dass es keine zentrale Struktur gibt, die durchgreift." Eine gemeinsame Bauleitplanung lasse auf sich warten, ein Bezirk könne seine Genehmigung für einen Hotelneubau nicht verweigern, wenn ein Antrag korrekt nach baurechtlichen Bestimmungen gestellt werde.
Muss Berlin also damit leben, dass nachts grölende Betrunkene durch die Straßen ziehen? Dass an jeder Ecke Wohnhäuser zu neuen Hostels umfunktioniert werden und die traditionellen Kneipen schicken Bars weichen müssen? Annette Paatzsch, mit auf dem Podium für den Verein Forum anders Reisen, ist eher pessimistisch: „Es ist schwer, die erlebnishungrigen Besucher von den Hotspots wegzusteuern. Es gibt praktisch in jeder Stadt solche Viertel, wo die Anwohner am meisten darunter leiden, dass so viele Touristen kommen. Manchmal hilft da nur wegziehen." Darauf reagieren die Zuhörer empört: „Ich möchte, dass die Stadt Einschränkungen verhängt. Wir brauchen nicht noch mehr Fast-Food-Buden, wir brauchen Wohnungen, keine Hotels", macht sich eine Frau Luft. „Ich wohne an so einer Straße – das ist doch kein Tourismus, das ist doch Ballermann." Tatsächlich haben sich in den Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln bereits Anwohnerinitiativen gebildet, die an den Straßenlaternen Aufkleber mit einem durchgestrichenen Herz platzieren: „Berlin liebt dich nicht".
Sie bringen Geld, aber kosten Nerven
Städtetourismus wird zum Problem, wenn die Balance aus dem Gleichgewicht gerät und die Besucher dominieren. Die Touristen zerstören den Funktionsmix, der für die Einwohner lebensnotwendig ist. Wenn die Mischung aus Sozialwohnungen, teuren Dachgeschosswohnungen, Arztpraxen, Start-ups, kleinen Handwerkern, lokalen Geschäften verloren geht, wird eine Stadt weniger lebenswert. Große Ketten breiten sich aus, die hohe Mieten zahlen können, die Kneipe an der Ecke wird zum Szene-Café und statt Lebensmittelgeschäften öffnen überall Spätis, wo es rund um die Uhr billigen Alkohol gibt. Das Ergebnis sind uniforme Stadtzentren, die nur auf Besucher ausgerichtet sind. Immerhin hat in Kreuzberg Stadtbaurat Florian Schmidt damit begonnen, sich mit der Berufung auf den Milieuschutz („Soziale Erhaltungsverordnung" nach dem Baugesetzbuch) dieser Entwicklung entgegenzustemmen und bestimmte Straßenzüge für Großinvestoren für tabu erklärt.
Auf die Besucher zu verzichten, geht aber auch nicht – schließlich tragen sie überall zu einem guten Teil zu den Einnahmen der Städte bei. 13,5 Millionen Menschen haben Berlin 2018 besucht und der Stadt Einnahmen von mehr als zwölf Milliarden Euro eingebracht. Einig waren sich alle auf dem Podium, dass man die Ströme entzerren sollte. Stefan Brandt, Tourismusexperte von der TU Berlin, plädiert dafür, verstärkt Berlins Umgebung und Brandenburg in die Tourismuswerbung aufzunehmen. Statt dicht an dicht in den Kneipenmeilen Friedrichshain und Kreuzberg zu hocken, könnten sie doch auch an den Müggelsee fahren oder mit dem Fahrrad Brandenburg erkunden. „Da würden sich die Anwohner sogar freuen, wenn mehr Besucher kämen."
Karam Amzil aus der Regionaldirektion Umwelt der Stadt Marrakesch kennt solche Programme. Seine Stadt hat viel dafür getan, dass die kulturhistorisch wertvolle Altstadt, die Medina, nicht dem Tourismus geopfert wird. „Wir bieten Reisen in das umliegende Gebirge, in Beduinendörfer, ja sogar bis an die Atlantikküste an – das hat zu einer Entlastung beigetragen." Anneke Hudalla von der Europäischen Akademie, die Diskussionsleiterin, weist allerdings auf einen wesentlichen Unterschied hin: „Nach Berlin kommen in der Hauptsache Individualtouristen, die lassen sich viel schwerer lenken als Touristen, die Gruppenreisen gebucht haben und vieles gemeinsam machen."
Besucherströme besser verteilen
Karl Hochholzner fällt das Beispiel eines der jüngsten Bundesligaspiele ein: „Da reisen die Düsseldorfer mittags hier an, gehen ins Stadion, versorgen sich anschließend beim Discounter mit billigem Alkohol, feiern die Nacht durch und fliegen morgens wieder zurück – da hat die Stadt rein gar nichts von. Aber wie wollen Sie das verbieten?"
Es gibt Tourismuskritiker wie den aus Amsterdam stammenden Stephen Hodes, die für Höchstgrenzen für touristische Unterkünfte und für höhere Steuern auf Flüge plädieren. Hodes warnt davor, dass unsere Städte in zehn Jahren einem Disneyland gleichen. In Amsterdam kämpfte er gegen den Bau eines zweiten Flughafens nur für Billigflieger. Barcelona hat bereits ein Moratorium für neue Hotels beschlossen.
In diesem Zusammenhang fällt irgendwann das Stichwort „Qualitätstourismus", also die Regulierung über den Preis, wie das nach Aussage von Annette Paatzsch bereits in bestimmten Regionen der Alpen oder auch in dem afrikanischen Botswana der Fall ist. Dagegen wendet sich Stefan Brandt: „Ich möchte keine Unterscheidung aufmachen in guten teuren und billigen armen Tourismus. Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit bei den Anbietern, also ökologische Angebote und sozial verträgliche Löhne." Immerhin möchte auch er, dass sich die Besucher an die lokale Kultur anpassen und sie nicht als Partymeile verstehen und zerstören.
Berlin – so die Diskussionsleiterin Anneke Hudalla – hat es zumindest geschafft, jahrelang keinen Flughafen zu bauen, der noch mehr Touristen anlocken würde. Und folgt man dem jüngsten TÜV-Bericht über den Zustand des BER wird auch der nächste Eröffnungstermin 2020 nicht zu halten sein.