Sicher, auch ältere Semester kommen bei den Internationalen Musikfestspielen Saar (vom 24. April bis zum 26. Mai) auf ihre Kosten. Doch der künstlerische Leiter Bernhard Leonardy will insbesondere junge Leute für die musikalische Königsklasse begeistern. Dafür zieht er alle Register – nicht nur an der Orgel.
Mit Johann Sebastian Bach hat er offenbar mehr als den Geburtstag und die Liebe zur Kirchenmusik gemein – auch in puncto Produktivität kann Bernhard Leonardy ganz gut mithalten. Während er als Kantor der Basilika Saarbrücken gerade ein Kirchenkonzert nach dem anderen gestaltet, befindet er sich schon auf der Zielgeraden für das bedeutendste Musikfestival des Saarlandes. Wie er das Pensum schafft? „Ich habe ja noch zusätzliche Manpower", lacht er und deutet auf seine Mitarbeiterinnen Karin Maria Piening und Eva Karolina Behr. Auch die Studentin Marie Bross hat ihr Praktikum verlängert und hilft mit. Natürlich sei es besonders stressig, dass das Festival so kurz nach Ostern starte –
denn traditionell gebe es an jedem Fastensonntag ein Konzert in der Basilika, und an Ostern das größte. „Vielleicht ist das aber auch ein gutes Omen. Und wir können die Kirchenkonzerte für die Werbung nutzen." Immerhin habe das Festspiel-Team jemanden gefunden, der das Ticketing übernimmt. Und ein bisschen Glück ist auch dabei. Absagen von Künstlern zum Beispiel musste man bis dato keine hinnehmen. „Im Gegenteil, neue Kontakte sind entstanden, und es kamen viele auf uns zu." Und mit einem Blick aufs Festival-Programm verkündet er stolz: „Wir haben unheimlich viel Hochkarätiges." Darunter neben Klassik auch einige Leckerbissen für Jazz-Fans.
Alles neu macht der Mai
New Generation heißt das Motto. Es lässt sich auf alles Mögliche auch außerhalb des Programms übertragen: das neue Team, das neue Büro in der Bismarckstraße, direkt gegenüber der Musikhochschule und der Modernen Galerie. Im Förderverein der Festspiele gibt es neue Verantwortliche, neue Kooperationspartner sind mit im Boot. Neu ist auch das Programmkonzept: Der Ablauf ist kürzer, aber dichter. Gaben früher einzelne Länder das Motto vor, hat Leonardy nun ein thematisches Konzept entwickelt, das mehr Flexibilität bei der Programmgestaltung erlaubt. Bereits letzten Herbst konnte die neuen Festspiel-Verantwortlichen zeigen, was sie können. Insbesondere das Friedenskonzert in der Kathedrale von Verdun fand internationale Beachtung, lief live auf Arte. So etwas schraubt die Erwartungen fürs Frühjahr hoch. Und tatsächlich liest sich das Programm vielversprechend. Das Thema New Generation schillert da in vielen Facetten. Neue Talente, Musik für neue Hörer, Neuentdeckungen, neue Ideen.
Kreatives Programm
Nein, an Ideen mangelt es dem Festspiel-Team nicht. Das Mainzerstraßen-Fest in Saarbrücken wird dieses Jahr kurzerhand ins Festivalprogramm integriert. „Wir wollen die Straße zum Klingen bringen." Die Strategie dahinter: Nicht warten, bis die Leute zum Festival kommen, sondern gleich am Anfang des Festivals unter die Leute gehen. Also quasi eine missionarische Aktivität? „Klar!", antwortet Leonardy. „Kultur braucht Mission!" Eva Karolina Behr sagt dazu: „Wir wollen keinen elitären Kulturgedanken, sondern Kultur in die Gesellschaft tragen." „Wir wohnen ja schließlich auch selbst in der Gegend", ergänzt Karin Maria Piening. Auch vom Festspielbüro ist das Straßenfest nur einen Steinwurf entfernt.
Zu den neuen Ideen kommen die guten Beziehungen. Die konnte seinerzeit nicht nur Festivalgründer Robert Leonardy einbringen – auch sein Sohn hat als international tätiger Kirchenmusiker einige Fäden an Netzwerk in der Hand. Und entdeckt dabei so manchen Schatz. Beispiel? Das Da-Vinci-Konzert am 5. Mai. „Ich hatte in der Marienbasilika Krakau gastiert", erzählt Bernhard Leonardy. Der dortige Organist hat eine Professur an der Musikhochschule und vermittelte den Kontakt zu einem Kollegen, der sich mit dem von Leonardo da Vinci entworfenen Instrument Viola Organista beschäftigte: Sławomir Zubrzycki. „Er steckte jahrelange Arbeit hinein, von da Vinci gibt es nur Skizzen." Was fertig zusammengebaut wie eine Art Cembalo aussieht, klingt wie ein kleines Streichensemble. Genau am 500. Todestag seines Erfinders wird das Tasteninstrument zu hören sein. Natürlich mit Musik der Renaissance, etwa von Andrea Gabrieli. Damit nicht genug: Es wird ein Essen geben nach Rezepten des legendären Universalgenies. „Da Vinci, der Vegetarier war, gilt als Miterfinder der italienischen Küche. Hier lernen wir also ihre Ursprünge kennen", erklärt Leonardy.
Oder die Sache mit Jacques Offenbach. Dieses Jahr ist sein 200. Geburtstag. Dafür hat sich Leonardy eine ganz besondere Party ausgedacht: die Welturaufführung bisher unbekannter geistlicher Werke des Komponisten. Der Offenbach-Experte Jean-Christophe Keck hat dazu Material aus einem Notenfund aufgearbeitet, der verschollen war und auf einem Dachboden gefunden wurde. Befreundet ist Keck mit – richtig, Bernhard Leonardy. Der konnte sich einige dieser Werke sichern. Die Uraufführung ist am 22. Mai in der Basilika St. Johann. Deutsch-französische Musikgeschichte live, eben mal so ins Festspielprogramm integriert.
Anlässe zum Anstoßen
Todestage, Geburtstage – die Jubiläen drängeln sich dicht im Programm. Auch Clara Schumanns 200. Geburtstag wird gefeiert. Oder 50 Jahre Informatik an der Universität des Saarlandes. Da könnte man fast das wichtigste Jubiläum übersehen: Die internationalen Musikfestspiele werden 30. Wann das begossen wird? „Wir feiern die ganze Zeit", sagt Eva Karolina Behr. „Denn daneben gibt es viele gemeinsame Geburtstage zu feiern, auch mit unseren Partnern." Darunter die Saar-Uni oder die HBK Saar.
Debüts und Premieren
Die internationalen Musikfestspiele Saar haben wie immer hochkarätige Künstler zu bieten. Viele davon sind zum ersten Mal hier. Das Jugendsinfonieorchester der Europäischen Union unter Leitung des Star-Dirigenten Wassili Petrenko gibt mit dem Eröffnungskonzert am 24. April auch sein Debüt im Saarland. Er schließt hier seine Europatournee ab. Am 2. Mai wird mit Jan Čmelja ein junger Künstler auftreten, von dem viele sagen, es sei der kommende Jahrhundertpianist. Deutschlandfunk Kultur überträgt live. Auch der Tenor Andrew McTaggart ist zum ersten Mal im Saarland. Die Pianistin Valentina Lisitsa tritt am 3. Mai ebenfalls zum ersten Mal hier auf. Mit über 200 Millionen Klicks gilt sie als erster Youtube-Star der Klassik. Mittlerweile hat ihr der Social-Media-Erfolg auch einen Plattenvertrag beim Spitzenlabel Decca eingebracht. Eine Premiere ist auch die Erschließung des Musée les Mineurs als Spielort der Festspiele. Das Landesjugendorchester Rheinland-Pfalz wird am 5. Mai dort auftreten. Unter anderem mit einem Stück für zwei Soloschlagzeuger, Orchester und 17 Trillerpfeifen, moderiert von Roland Kunz von SR2.
Mendelssohn for Future
Zurück zur New Generation. Leonardy hat kurzfristig aktuelle Entwicklungen seiner jungen Zielgruppe ins Programm einfließen lassen: Mendelssohns „Lobgesang" am 24. Mai – ein Freitag – wird mit der Jugendprotestbewegung „Fridays for Future" verknüpft. Lob der Schöpfung mit Klimaschutzaktivismus als „Open-Air-Happening". Dazu macht das Festival-Team gemeinsame Sache mit der Demo-Organisatorin Susanne Speicher. Nach der Demo sollen die jungen Leute in Saarbrücken bleiben und auf den Ludwigsplatz wandern. Schüler und Studenten können dazu sogenannte Turmfalken-Sonderkarten für acht Euro kaufen (auch online). „Das Geld fließt zu 100 Prozent in die neue Turmfalken-Anlage der Ludwigskirche", verspricht Leonardy.
Und wie kommt das neue Programm der Musikfestspiele an? Der Vorverkauf läuft nach Auskunft der Festivalorganisatoren gut. Einige Konzerte sind schon ausverkauft. Nur bei den Open Airs warten die Leute noch ab, was der Wetterbericht meint. Ein Risiko für den Veranstalter.
Und wenn man für sein Wunschkonzert keine Karten mehr bekommt? Nun, in den vergangenen Jahren haben sich auch die weniger bekannten Interpreten der Musikfestspiele oftmals als wahre Entdeckungen erwiesen. Faustregel: Wer es als Künstler durch den strengen Leonardy-Auswahlfilter schafft, hat einiges zu bieten. Im Zweifelsfall kann man sich also ruhig einmal überraschen lassen.