Der Bergbau im Saarland ist passé, es lebe die Erinnerung. Zuständig für die Industriekultur ist Bildungs- und Kulturminister Ulrich Commerçon (SPD). Er will die Erinnerung an die das Land prägende Industrie wachhalten und setzt auch auf einen neuen Chef für das Weltkulturerbe Völklinger Hütte.
Herr Commerçon, vor mehr als einem Jahr haben sie Zuständigkeit für die Industriekultur insgesamt in Ihr Ministerium geholt. Warum?
Im Bereich Industriekultur haben bisher zwei Landesgesellschaften organisatorisch und inhaltlich voneinander getrennt agiert; die frühere Industriekultur Saar (IKS) mit dem Auftrag der Entwicklung der ehemaligen Steinkohlebergbaustandorte Göttelborn und Reden auf der einen Seite und das Weltkulturerbe Völklinger Hütte GmbH (WVH) als Denkmal der Eisen- und Stahlindustrie auf der anderen. Bei der IKS war das Thema Industriekultur nahezu identisch mit dem Thema Ansiedlungen. Das eine hat mit dem anderen aber nur insoweit zu tun, als für Gebäude und Flächen ehemaliger Industriestandorte neue Nutzungen gefunden werden müssen.
Wir im Kultusministerium haben mehr fachliche und inhaltliche Kompetenzen, was den kulturpolitischen Aspekt angeht. Es ist wichtig, dass die kulturpolitischen Aspekte der Standortentwicklung stärker verzahnt und in den Mittelpunkt gestellt werden.
Für mich ist entscheidend: Was bleibt von dem, was die Gesellschaft im Saarland, die wesentlich durch die Montanindustrie geprägt ist, ausmacht? Ich bin davon überzeugt, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft sehr viel mit der historischen Entwicklung der Arbeitsbedingungen in der Industrie zu tun hat. So mussten die Leute unter Tage oder auch am Hochofen zusammenhalten, ob sie sich nun mochten oder nicht. Das wirkt im Saarland bis heute nach.
Haben Sie mit Schule und anderer Bildung nicht schon genug zu tun?
(lacht) Ich hatte in der vergangenen Legislaturperiode mit der Fertigstellung des Erweiterungsbaus der Modernen Galerie noch eine andere große Baustelle zu bewältigen – im wahrsten Sinne des Wortes. Jetzt kann die nächste Großbaustelle kommen. Im Wirtschaftsministerium hat man einen anderen Blick auf die Dinge. Das ist auch notwendig. Aber wir haben die Zusammenhänge zwischen Landesgeschichte und Gesellschaftspolitik im Blick. Das ist eine spannende Aufgabe und viele der Bereiche, die damit zu tun haben, sind einfach besser im Kulturministerium aufgehoben.
Was hat sich in Sachen Industriekultur in jüngster Zeit getan?
Im ersten halben Jahr 2018 haben wir neue Leitlinien der Industriekultur für das Saarland und somit für unsere zukünftige Arbeit aufgestellt. Wir haben erste Sondierungen an drei der vier im Koalitionsvertrag als prioritär bezeichneten ehemaligen Bergbaustandorte vorgenommen: Velsen, Itzenplitz, Luisenthal.
Zu Velsen haben wir dem Zweckverband Warndt die Erstellung eines Strategie- und Nutzungskonzeptes bewilligt. Nun hoffen wir, mit der Offenlegung, welche Vorhaben auf Velsen in welcher Reihenfolge angegangen werden sollten, einen wichtigen Schritt voranzukommen.
Zu Itzenplitz haben wir die Vorstellung, auf der oberen Tagesanlage eine Kindertageseinrichtung zu realisieren. Demnächst findet ein erstes Abstimmungsgespräch mit dem zuständigen Landrat, dem zuständigen Bürgermeister und Vertretern der Unternehmen der RAG statt.
Zu Luisenthal hat die Oberbürgermeisterin von Völklingen eine Arbeitsgruppe gebildet, in der mehrere Landesressorts auf Staatssekretärsebene vertreten sind, um die Entwicklung des Standortes nicht nur, aber auch unter industriekulturellen Gesichtspunkten voranzutreiben.
Wir haben uns aber nicht nur mit der Montanindustrie auseinandergesetzt. Wir unterstützen etwa Überherrn dabei, ein neues Nutzungskonzept für die ehemalige Sendeanlage Europe 1 zu finden und tragen dazu bei, dieses herausragende Technikdenkmal im Saarland bekannt zu machen.
Die Mittel zur Erhaltung für die Industriekultur seien begrenzt, heißt es oft. Wieviel Geld steht für die Bearbeitung des Themas zur Verfügung?
So wenig Mittel haben wir nicht. Wir haben schon Einiges zu investieren. Das sind alleine 3,25 Millionen Euro an Kapitalzuführung des Landes pro Jahr für die Völklinger Hütte, die sich der Geschichte der Eisen- und Stahlproduktion widmet. Darüber hinaus haben wir aus EU-Programmen jährlich rund zwei Millionen Euro für Investitionen zur Verfügung. Und wir haben Projektmittel, von 150.000 Euro pro Jahr.
In ihren Leitlinien steht, dass nicht alle Denkmäler aus der Bergbauära erhalten werden können – auch nicht alle Teile an den Premiumstandorten. Welche Aufgaben können finanziert werden?
Bei den vier prioritären Denkmal-Standorten wollen wir schon deren Wesenszüge erhalten, dazu gehören beispielsweise die Fördergerüste und Fördertürme. Es geht darum, das zu erhalten, was prägend für unser Land ist. Darüber hinaus gibt es viele weitere Denkmäler der Industriekultur. Wir werden natürlich nicht jeden Förderturm im Land erhalten können. Aber an den verschiedenen Orten darzustellen, was Industriekultur uns heute noch zu sagen hat, scheint mir schon möglich zu sein.
Welche Rolle spielt der ehemalige Bergwerksbetreiber RAG?
Einerseits ist die RAG Montan Immobilien Ansprechpartner; andererseits sollte auch die RAG-Stiftung ein wichtiger Partner für uns sein.
An den vier Premiumstandorten und an etlichen weiteren Standorten ist die RAG Eigentümer. Um einen Eigentümerwechsel herbeizuführen, muss von der RAG ein Abschlussbetriebsverfahren durchgeführt werden.
Obwohl wir derzeit keine positiven Signale von der RAG-Stiftung haben, setzen wir weiter darauf, dass die RAG-Stiftung ihrer Verantwortung auch für die ehemaligen Steinkohlebergwerksstandorte nachkommt.
Wie sieht es mit weiteren Mitteln aus?
Ich bin davon überzeugt, dass es uns gelingen wird, Drittmittel auf Bundes- und Europaebene zu akquirieren und an den einzelnen Standorten noch zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen. Entscheidend ist, dass man tragfähige Lösungen vor Ort findet. Das wird ein Prozess sein, den wir in den nächsten Jahren vorantreiben. Wir haben den Willen, die Kraft und das Know-how hierzu!
Seit Jahren wird kritisiert, dass der Umgang mit der Industriekultur nur im Schneckentempo vorangeht. Warum?
Da müssen Sie diejenigen fragen, die in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre offenbar das Thema nicht hochgenug gehalten beziehungsweise es nur in Teilen verstanden haben. Da hat man sich schon schwer getan, erst mal das Thema „Völklinger Hütte" fortzuentwickeln. Das scheint mir inzwischen ziemlich gut gelungen zu sein. Ansonsten hat man wohl kein größeres politisches Interesse daran gehabt, so zumindest meine Einschätzung.
Es gab damals eine große Enquetekommission zum Steinkohlebergbau, die die Regierung Peter Müller ins Leben gerufen hatte. Das meiste von dem, was in dem daraus entwickelten „Ganser-Gutachten" vorgetragen und als Ziel formuliert wurde, ist nicht verwirklicht worden. Stattdessen wurde die IKS gegründet und man hat sich beispielsweise mit dem urzeitlichen Freizeitpark Gondwana total verzettelt.
Und was ist jetzt anders?
Ich setze nicht auf solche Riesen-Lösungen, wo unwahrscheinlich viel Geld reinfließt, sondern mehr auf nachhaltige Lösungen, die über einen längeren Zeitraum entwickelt werden. Da dürfen auch einmal kleinere Projekte und Aktionen zu ihrem Recht kommen. Es geht darum, Industriekultur als Querschnittsaufgabe zu begreifen und entsprechend auch so in der Praxis abzubilden. Industriekultur muss wieder zu den Menschen gebracht werden!
Was sind die nächsten Schritte?
Neben den Projekten aus dem Bereich Steinkohle, die ich bereits umrissen habe, geht es zunächst um die Weiterentwicklung der WVH. Ein großer Schritt ist es, dass es ein neues Eingangsgebäude geben wird, durch den Umbau des Wasserhochbehälters direkt am Parkplatz gelegen. Dadurch wird der Ort insgesamt sehr viel attraktiver. Man wird vom Parkplatz direkt – ohne eine Straße überqueren zu müssen – zum Eingang kommen, der in einem beeindruckenden Industriedenkmal liegt.
Andererseits bereiten wir vor, nach Ablauf der aktuellen Förderperiode aus den Europäischen Strukturfonds eine Anschlussförderung sowohl aus europäischen als auch aus Bundesmitteln zu erhalten. Darüber hinaus werden wir die Möglichkeiten der Förderung aus anderen europäischen Programmen prüfen und gegebenenfalls nutzen.
Für die inhaltliche Ausrichtung der WVH und die „Bespielung" der Hütte ist es wichtig, dass wir eine kompetente Nachbesetzung für den Mitte des Jahres ausscheidenden Generaldirektor bekommen. Wir sind dabei eine entsprechende Ausschreibung vorzubereiten und strecken bereits unsere Fühler aus.
Dabei ist es mir wichtig, dass wir eine wirklich geeignete Person für diese anspruchsvolle und spannende Aufgabe finden, die dem Ort auch neue Impulse verleiht. Dafür müssen wir vielleicht in Kauf nehmen, dass diese Person nicht sofort zur Verfügung steht, und eine Interimszeit in der Besetzung dieser Position entsteht. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Besetzung eines Interimsdirektors – oder einer Interimsdirektorin – weder notwendig noch sinnvoll ist.
Andererseits ist das Team an der WVH gut aufgestellt und motiviert, zu beweisen, was es auch unter diesen Bedingungen leisten kann. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass es uns gelingen wird, im WVH selbst in einer Interimszeit zur Besetzung des Postens des Generaldirektors einen Beitrag zur saarländischen Präsidentschaft der Großregion zu erbringen.
Wir erarbeiten derzeit ein Konzept, die Hütte zu nutzen, um im Jahr 2020 das Jubiläum 100 Jahre Denkmalschutz im Saarland zu begehen. Eine solche Ausstellung kann nicht ohne Bezüge zum Kulturraum der Großregion gestaltet werden. Außerdem gibt es Überlegungen, die vorindustrielle Eisenerzeugung in der Großregion durch eine entsprechende Ausstellung zu würdigen.
Ist die Organisation des Stahlbereichs mit dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte ein Modell für den Kohlebereich?
Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist der große Leuchtturm für die saarländische Industriekultur. Das wird und soll auch so bleiben. Völklingen als ein Weltkulturerbe ist der Besuchermagnet, der über die Landesgrenzen hinausstrahlt und am weitesten bekannt ist.
Man kann das eine nicht mit dem anderen gleichsetzen. Die Bergbau-Denkmalstandorte können als einzelne sicherlich nicht diesen Leuchtturm-Charakter für sich beanspruchen. Sie sind stärker in der Gesamtheit zu sehen und mit sehr unterschiedlichen Potenzial.
Wie sieht es mit der touristischen Vermarktung der Industriekultur aus?
Die Vernetzung der verschiedenen industriekulturellen Standorte muss endlich verwirklicht werden. Wir müssen es schaffen, dass die Menschen, die die Völklinger Hütte besichtigen, nicht am gleichen Abend wieder abreisen. Es könnte ganz spannend sein, noch ins Besucherbergwerk Velsen oder zu anderen Standorten der Industriekultur im Saarland zu fahren, die – ebenso wie Velsen – ihr Potenzial noch nicht entfaltet haben, und ins Musée Les Mineurs in Wendel, dem zentralen Bergbaumuseum Frankreichs in Petite-Rosselle.
Grundvoraussetzung für diese Vernetzung ist aber, dass die Standorte, die sich in das Netz einbringen, sich auch dauerhaft so präsentieren, dass sie für Besucher attraktiv sind; dass sie einen Teil der saarländischen Industriegeschichte erzählen. Und diese unterschiedlichen Erzählungen müssen eine stimmige, spannende Gesamterzählung ergeben.
Das hat bisher nicht geklappt?
Der große Fehler war, mit der IKS und der Weltkulturerbe GmbH zwei Gesellschaften zu gründen. Im zweiten Schritt hat die IKS dann Aufgaben der Unternehmensansiedlung übernommen, ohne dass diese Aufgaben mit dem Begriff Kultur in ihrem Namen etwas zu tun hatten. Auf der anderen Seite hat die WVH einen starken Akzent auf den Bereich Kunstausstellungen gelegt, die keinen Bezug zum Technikdenkmal hatten. Beide Institutionen haben nicht zusammengearbeitet und die Hürden für eine Zusammenarbeit wurden immer höher. Das wollen wir jetzt überwinden. Es wird auch Aufgabe des neuen Generaldirektors der WVH sein, daran mitzuwirken.