Er bezeichnete sich als Mann, der „für Frauen schwärmt" – Theodor Fontane, der für seine Zeit reichlich moderne Frauenfiguren zu den Protagonistinnen seiner Werke machte. Autor Robert Rauh hat dem Schicksal fünf dieser Frauen nachgespürt.
Herr Rauh, in etlichen Werken Fontanes stehen Frauen im Mittelpunkt oder spielen zumindest eine wichtige Rolle. Dabei geht es um höchst unterschiedliche Charaktere, um Frauen aus verschiedenen sozialen Schichten, mit unterschiedlichen Biografien. Haben sie dennoch vielleicht etwas gemeinsam?
Ja, die Frauen haben alle einen Knacks weg. Das sagt Fontane aber selbst. Und er kann es auch erklären: Er verliebe sich in seine Frauengestalten, nicht um ihrer Tugenden, sondern „um ihrer Schwächen und Sünden willen". Die Biografien der von Fontane ausgewählten Frauen gleichen nicht normierten, gepflasterten Einbahnstraßen, sondern holprigen Pfaden, die querfeldein führen. Allerdings habe ich bei meinen Recherchen festgestellt, dass die Lebenswege der realen Vorbilder noch dramatischer verliefen als die der literarischen Figuren.
In Ihrem Band „Fontanes Frauen" sind Sie auf die Suche nach Spuren einiger dieser Frauenfiguren gegangen – nach welchen Kriterien haben Sie diese ausgewählt?
Ausgewählt habe ich erstens eine Frauenfigur, die lange vor Fontanes Zeit gelebt hat: Grete Minde. Zweitens eine Frau, die er hätte treffen können: Elisabeth von Ardenne, das Vorbild für seine Effi. Drittens eine Frau aus seinem familiären Umfeld: Martha, die einzige Fontane-Tochter, das Vorbild für Corinna Schmidt in dem Roman „Frau Jenny Treibel". Und viertens zwei Frauen, die nicht nur in seinen Romanen eine Rolle spielen, sondern auch in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" und in dem Sonderband „Fünf Schlösser": Caroline de La Roche-Aymon („Prinzessin Goldhaar") und Charlotte von Arnstedt. Herausfinden wollte ich beispielsweise, ob sich Elisabeth von Ardenne und Fontane jemals persönlich begegnet sind, ob Grete Minde vor genau 400 Jahren zu Recht wegen Brandstiftung zum Tode verurteilt wurde und ob Martha Fontane tatsächlich Selbstmord begangen hat.
Auf welche Resonanz sind Sie vor Ort gestoßen? Hatten Sie das Gefühl, dass die „Fontane-Connection" zum Beispiel in Zerben, Waren, Rheinsberg oder Köpernitz eine lebendige ist und auch touristisch vermarktet wird?
Mein konzeptioneller Ansatz ist ja ein topografischer, das heißt, ich bin zu den Originalschauplätzen gereist, wo die Frauen gelebt haben. Dort war ich auf die Hilfe von Menschen oder Vereinen angewiesen, die sich seit Jahren aus verschiedenen Gründen für die realen Vorbilder von Fontanes Frauenfiguren interessieren. Die Archivleiterin von Tangermünde hat mich unkompliziert in die 400 Jahre alte Prozessakte einsehen lassen und der Kultur-Gutshausverein Köpernitz mit unbekannten Quellen zum Leben von Prinzessin Goldhaar versorgt. Und in Waren an der Müritz habe ich mich in die Ferienwohnung der Villa einquartiert, in der Martha Fontane die letzten Jahre ihres Lebens bis 1917 gelebt hat.
Eines der Kapitel Ihres Buchs beschäftigt sich mit dem literarischen Vorbild für „Effi Briest" – Elisabeth von Plotho, die später durch Heirat Baronin von Ardenne wurde. Was haben Sie über die Baronin bei Ihren Recherchen herausgefunden? Wie hat sich Fontane von ihr zu seiner Figur „Effi Briest" inspirieren lassen?
Über den Ardenne-Skandal erfuhr Fontane von Emma Lessing, der Frau des Miteigentümers der „Vossischen Zeitung", für die er als Journalist tätig war. Fontane wollte jedoch keine Biografie nacherzählen, sondern eine literarische Gestalt erschaffen. Ihm reichten einige Details aus dem Leben der Baronin. Er kannte nicht einmal ihren Vornamen. So haben die reale und fiktive Figur wenig gemeinsam. Effi zerbricht an den Folgen ihres Ehebruchs und stirbt, Elisabeth erlernte einen bürgerlichen Beruf und wurde 98 Jahre alt. Ihr letztes Lebensdrittel verbrachte die Baronin in Lindau am Bodensee – zusammen mit der reichen Fabrikantentochter Daisy Weyersberg. Die Frauen fuhren gemeinsam in den Urlaub und wohnten in einer großen Villa, die sie untervermieteten. Unterstützt hat mich bei meinen Recherchen der Neffe von Daisy, der erstmals Informationen aus dem Familienarchiv zur Verfügung stellte.
Auch Fontanes Tochter Martha nimmt einen bedeutenden Raum in Ihrem Buch ein – nicht nur, weil sie als Vorbild für die „Corinna" in „Frau Jenny Treibel" diente. Was macht die Biografie Marthas aus Ihrer Sicht besonders spannend?
Marthas Weg in den frühen Tod scheint in bisherigen Veröffentlichungen vorgezeichnet. Unglücklich, erfolglos und gesundheitlich ruiniert führte ihr Schicksal scheinbar zwangsläufig in einen Selbstmord. Aber für Martha gab es als unverheiratete Frau im Kaiserreich durchaus Lebensalternativen. Und nach allem, was ich in Waren an der Müritz gelesen, gehört und gesehen habe, komme ich zu dem Schluss, dass sie 1917 durch einen Unfall ums Leben kam.
Welche Ihrer Recherchen zu den „Frauen Fontanes" verlief am überraschendsten – womit hätten Sie nicht gerechnet?
Am überraschendsten verlief die Recherche im geheimnisvollen Mon Caprice im Brandenburger Landkreis Oderhavel, wo sich das „Badetempelchen" der Gutsherrin Charlotte von Arnstedt, der legendären Krautentochter, befunden haben soll. Obwohl Fontane nie in Mon Caprice war und die Geschichte nur vom Hörensagen kannte, habe ich mich auf Spurensuche begeben. Das Ergebnis der Entdeckungsreise, das ich hier nicht verraten möchte, ist auch ein unterhaltsames Lehrstück dafür, was getan werden kann oder muss, wenn Archive, Bücher oder Befragungen vor Ort am Ende nicht mehr weiterhelfen.
Im Rahmen des Fontanejahrs gibt es eine Fülle unterschiedlichster Veranstaltungen rund um Leben und Werk des Romanciers. Wo können Literaturfans „Spuren von Fontanes Frauen" entdecken?
Auf die Spuren von Fontanes Frauen kann man sich in Waren an der Müritz begeben; hier wird eine Martha-Führung angeboten. Im Schloss Zerben in Sachsen-Anhalt kann man eine Effi-Briest-Führung buchen und in Köpernitz bei Rheinsberg das Gutshaus besichtigen, in dem Prinzessin Goldhaar residierte. Das bestialische Todesurteil von Grete Minde ist im Historischen Rathaus von Tangermünde ausgestellt – genau dort, wo der mutmaßlichen Brandstifterin vor 400 Jahren auch das Urteil verkündet wurde. Das Rathaus ist heute Museum, und davor steht das künstlerisch gelungene Grete-Minde-Denkmal.
„Fontanes Frauen" von Robert Rauh ist im Bebra-Verlag erschienen, umfasst 256 Seiten und kostet 22 Euro.