Zu den populärsten Werken des großen Erzählers Theodor Fontane gehört sein 1896 erschienener Roman „Effi Briest". Keines ist auch so oft verfilmt worden wie diese Liebes- und Ehebruchsgeschichte. Insgesamt fünf Regisseuren dient sie zu verschiedenen Zeiten als Vorlage für höchst unterschiedliche Kino-Interpretationen.
In seinem Altersroman „Effi Briest" verbindet Theodor Fontane kritische Distanz mit schriftstellerischer Eleganz und wird damit zum bedeutendsten Wegbereiter des deutschen Gesellschaftsromans. Wie viele seiner Figuren hat auch Effi ein reales Vorbild – die wahre Geschichte der Elisabeth von Plotho und ihres Mannes Armand Léon von Ardenne aus dem Jahr 1886 diente als Inspiration für die Handlung, wurde aber in wesentlichen Details verändert.
Im Buch wird die lebenslustige Effi von ihrer Mutter dazu gedrängt, den wesentlich älteren Baron Geert von Innstetten zu heiraten. Sie ziehen in einen kleinen verlassenen Ort in Vorpommern. Die 17-Jährige fürchtet sich in der unheimlichen Geisteratmosphäre des Hauses, und bald flüchtet sich die junge Frau aus Langeweile in eine Affäre mit dem draufgängerischen Major Crampas. Erst Jahre später erfährt ihr Mann durch Zufall von der Liaison und fordert – zwanghaft einem überholten Ehrenkodex verhaftet – den Major zum Duell heraus, bei dem er diesen erschießt. Innstetten reicht die Scheidung ein und entzieht Effi die gemeinsame Tochter Annie. Auch ihre Eltern verstoßen sie wegen der gesellschaftlichen Schande. Effi lebt einsam und zurückgezogen in Berlin. Als sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert, nehmen die Eltern sie wieder bei sich auf. Kurz danach stirbt Effi – versöhnt mit ihrer Umwelt – mit nur 29 Jahren.
Der Roman war bereits zu Fontanes Lebzeiten äußerst erfolgreich. Der Schriftsteller übt darin verhalten Kritik an den Konventionen und Normen der preußischen Gesellschaft, zeigt aber auch die Unfähigkeit des Adels, diesen zu entkommen. Die Frage nach der Schuld an Effis Tod wird nicht gestellt. Die Handlung muss vor dem Hintergrund des herrschenden Menschen- und Weltbildes der Kaiserzeit im ausgehenden 19. Jahrhundert gesehen werden, als fortschrittliche Bewegungen konservativen Ansichten entgegenstanden. Dies gilt auch für die Emanzipation der Frau. Als Autor des Realismus behandelt Fontane in seinen Werken auch bis dahin „verbotene" Themen wie Sexualität und Standesmoral. Noch dazu stellt er sich auf die Seite der Frauen, welche in dieser Zeit nur beschränkte Rechte hatten und über ihr Leben nicht selbst entscheiden konnten.
Erste Bearbeitung während der NS-Zeit
Bis heute gehört „Effi Briest" nicht nur als Klassiker zur Schullektüre im Deutschunterricht, sondern wurde auch bereits mehrmals verfilmt. Fünf Regisseure verschiedener Generationen haben den Roman zwischen 1939 und 2009 zu unterschiedlichsten Bedingungen adaptiert. Diese Filme dürfen jedoch nicht allein unter dem Aspekt betrachtet werden, wie werkgetreu sie die Vorlage auf die große Leinwand übertragen. Eine Literaturverfilmung ist immer eine mögliche Interpretation, nämlich die des jeweiligen Regisseurs. Sie spiegelt auch stets den jeweiligen Zeitgeist wider – mit der für die jeweilige Epoche typischen Mentalität.
Die erste Verfilmung stammt von Regielegende Gustaf Gründgens. Unter dem Titel „Der Schritt vom Wege" dreht der Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter 1939 während des Nationalsozialismus. Der Spielfilm erhält zunächst von der NS-Filmzensur Jugendverbot, das während des Krieges wieder aufgehoben wird. Die Rolle der Effi verkörpert Ufa-Star Marianne Hoppe, damals auch die Ehefrau von Gründgens. Der Film gilt als dessen berühmteste und engagierteste Kino-Inszenierung und ruft auch wieder eine rege Nachfrage nach Fontanes Roman hervor.
Zu Zeiten der Adenauer-Ära und der Heimatfilmwelle folgt 1955 die zweite Bearbeitung von Rudolf Jugert mit dem Titel „Rosen im Herbst". In der Hauptrolle Leinwandstar Ruth Leuwerik, die mit 31 Jahren sehr reif und damenhaft für eine anfangs 17-Jährige wirkt. Hier erscheint Effi nun erstmals auf der bunten Breitwand, im typisch gefühligen Unterhaltungskino der Nachkriegszeit. In diversen Filmlexika wird die zwar sorgfältige und aufwendige, aber sehr auf Äußerlichkeiten konzentrierte Ausstattung kritisiert. Der Film ist mehr eine Bebilderung der literarischen Vorlage.
Zunächst für das DDR-Fernsehen entsteht 1969 unter der Regie von Wolfgang Luderer der Defa-Film „Effi Briest". In die Rolle von Fontanes Romangestalt schlüpft Angelica Domröse, damals eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen des Arbeiter- und Bauernstaates. Sie fällt später in Ungnade und siedelt 1980 in den Westen über. Als temperamentvolle Effi zeigt Domröse die gesamte Bandbreite charakterlicher Zustände – mal naiv und kindlich, mal enttäuscht und resigniert. Diese am wenigsten bekannte Verfilmung bemüht sich, ein historisch möglichst genaues Gesellschaftsbild der Jahrhundertwende zu vermitteln. Trotz einiger sarkastischer Spitzen orientiert sich Luderer enger an der literarischen Vorlage als Gründgens und Jugert. In Abgrenzung zu Effis frischer Art muss Horst Schulze den Innstetten allerdings besonders hölzern geben. Es soll wohl auch zum Ausdruck kommen, dass die Gesellschaft im real existierenden Sozialismus Menschen heranbildet, die keinen preußischen Ehrenkodex – das Duell – brauchen, um mit sich und der Welt in Einklang zu leben.
Möglichst exaktes Gesellschaftsbild des 19. Jahrhunderts
Wenige Jahre später widmet sich Rainer Werner Fassbinder in Westdeutschland Fontanes Stoff. Der geniale Autorenfilmer und wichtigste Vertreter des Neuen Deutschen Films dreht 1974 mit „Fontane Effi Briest" seine preisgekrönte Schwarz-Weiß-Version mit Hanna Schygulla in der Hauptrolle. Sie gilt für viele bis heute als die beste Verfilmung des Romans. Allein schon der vollständige Titel „Fontane Effi Briest oder: Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und trotzdem das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen" zeigt, dass Fassbinder hier nicht nur den Inhalt übersetzen will. Durch seine formal-ästhetische und distanzierte Vermittlungsweise lässt er eine Illusion gar nicht erst aufkommen. Die vorlesende Stimme im Off, Weißblenden, Einblendungen von Schrift et cetera schaffen Parallelen zum Leseprozess. Im Gegensatz zur DDR-Lesart stellt Fassbinder Effi nicht als Opfer der steifen preußischen Gesellschaft dar. Er legt vielmehr nahe, dass der Mensch nicht auf Veränderung oder Einsicht vonseiten der Obrigkeit warten sollte, sondern selbst den Schritt aus seiner Unmündigkeit heraus machen muss. Der Regisseur reflektiert aber nicht nur die gesellschaftliche Situation seiner Figuren, sondern letztlich auch die des Künstlers, der sie beschreibt. Literaturverfilmung heißt für Fassbinder nicht die bloße Visualisierung des Geschriebenen, sondern die Möglichkeit, einen Film zu machen, der zum Denken herausfordert. Beide Medien verschmelzen geradezu miteinander: Aus Fontanes Worten wird eine Film-Lektüre – man sieht einen Roman.
Die fünfte Verfilmung, „Effi Briest" von Hermine Huntgeburth kommt 2009 in die Kinos und betrachtet die Textvorlage erstmals aus weiblicher Sicht – sehr direkt und eindeutig. Zunächst hält sie sich dicht an den erzählerischen Aufbau des Romans. Erst am Ende erfolgt die Abkehr: Effi, gespielt von Julia Jentsch, geht nicht an der Gesellschaft zugrunde, sondern entwickelt sich zu einer freien und emanzipierten Frau. Sie stirbt nicht an gebrochenem Herzen, sondern bewegt sich in der letzten Einstellung selbstbewusst und zielstrebig durch die Straßen Berlins. Der Regisseurin sind diese Änderungen im Drehbuch wichtig. Sie will etwas Neues zeigen und findet die reine Übersetzung des Romans nicht mehr zeitgemäß. Doch gerade dieser Schluss wird in den Rezensionen immer wieder heftig kritisiert. Es fehlt Fontanes Tragik, die ja gerade in dem Widerspruch zwischen Sittengesetz und Selbstverwirklichung besteht, der die damalige Zeit geprägt hat. Bei Huntgeburth wird Effi berufstätig, und zum Entsetzen der Eltern zündet sie sich im Café eine Zigarette an, zahlt ihr Gedeck selbst und geht. Dieses Ende passt jedoch weder zum Film noch zu Effi und Fontane.
Noch immer besteht eine Kluft zwischen beiden Medien
Last, but not least sei hier als sechste Übertragung noch Jan Böhmermanns elfminütiger Kurzfilm „Letzte Stunde vor den Ferien: Effi Briest" von 2017 erwähnt. Für eine Spezialausgabe von „Neo Magazin Royale" hat der Satiriker und Grimme-Preisträger Werke deutscher Dichter und Denker wie Goethe, Fontane, Dürrenmatt und Kafka zerlegt. Als eine Art öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag zeigt die ZDF-Produktion ungeschönte und ziemlich respektlose Interpretationen der Klassiker aus heutiger Sicht. Dafür wird tief in die Kostüm- und Effekte-Kiste gegriffen und viel Schauspielprominenz engagiert. Die Effi spielt Anna Maria Mühe, den Innstetten gibt Böhmermann selbst. Doch die Extra-Deutschstunde für die Internet-Generation ist in typisch böhmermannscher Manier eben alles: Trash und Kultur, Sketchparade und Kritik, platte Komik und auch große Kunst.
Ein Klassiker und fünf große Kino-Bearbeitungen: An Fontanes „Effi Briest" wird deutlich, welch problematischer Anspruch bei einer Literaturverfilmung besteht. Einerseits will sie als eigenständiges Werk verstanden werden, andererseits wird von ihr erwartet, dass sie der Vorlage gerecht wird. Sowohl für Filmkritiker als auch das breite Publikum spielt diese Werktreue nach wie vor eine große Rolle. Besonders in Deutschland herrscht auch noch immer eine hierarchische Kluft zwischen den Medien Literatur und Film.
Doch der Leser eines Buches, der sich für Handlung und Charaktere individuelle Vorstellungen schafft, sollte eine Verfilmung nicht als Zerstörung oder Ersatz dieser Fantasiewelt wahrnehmen, sondern als ein selbstständiges Genre mit eigenen spezifischen Ausdrucksmitteln. Sie ist stets eine Interpretation und persönliche Lesart des Regisseurs im Kontext seiner Zeit. Unter diesem Gesichtspunkt sind Verfilmungen eine Bereicherung in der Rezeption eines literarischen Werkes. Sie können auch historische Stoffe immer wieder neu für die Gegenwart aktualisieren.