Am 20. April startet im englischen Sheffield die Snooker-Weltmeisterschaft. Ein eindeutiger Favorit für den mit 500.000 Pfund dotierten Sieg des größten Turniers der Billard-Sportart ist jedoch nicht auszumachen.
Mark Williams rechnete wohl selbst nicht mit dem Titel, sonst hätte er im vergangenen Jahr im Vorfeld der Snooker-WM eventuell nicht angekündigt, im Falle eines Gewinns die dann folgende Pressekonferenz unverhüllt zu geben. „Ich hoffe, das gibt keine Strafe", sagte der sympathische Waliser lapidar, nachdem er im wahrsten Sinne das um die Hüfte gewickelte Handtuch warf. Es war der dritte WM-Titel seiner Karriere, die er 1992 als Profi begann – und der vielleicht bemerkenswerteste. Denn nach seinen Finalsiegen 2000 und 2003 folgte eine lange Durststrecke. In der laufenden Saison konnte Williams außer beim Gewinn der World Open bislang auch noch nicht überzeugen – zu oft flog er in frühen Runden bereits raus.
Williams wurde im gleichen Jahr Profi wie zwei weitere Legenden des Gentleman-Sports geboren: John Higgins und Ronnie O’Sullivan. Alle drei sind Jahrgang 1975, mehrfache Weltmeister und haben auch in diesem Jahr wieder Chancen auf einen weiteren Karrierehöhepunkt. Mit dem Schotten John Higgins ist eigentlich immer zu rechnen. Der vierfache Weltmeister war seit der Saison 1995/96 nur drei Jahre nicht in den Top Acht. Er besticht zwar nicht durch spektakuläres Spiel, ist aber wohl der perfekteste Allrounder. Er ist offensiv, wenn es sich anbietet, zurückhaltend, wenn Defensive angesagt ist und kann Matches drehen. Er kann während eines Spiels aber auch davonziehen.
„Ich hoffe, das gibt keine Strafe"
Diese Eigenschaft als „Front Runner" war jahrelang die ganz große Stärke von Ronnie O’Sullivan. Mehrfach stellte der fünffache Weltmeister sein Spiel bereits um, verfeinerte es im Laufe seiner Karriere immer mehr. Mittlerweile ist der Engländer aber nicht mehr nur Weltklasse, wenn er in Front liegt, sondern auch, wenn es darum geht, einem Rückstand hinterherzulaufen. Eindrucksvoll stellte er dies bei der Tour Championship vor wenigen Wochen unter Beweis. Dort hechelte er im Halbfinale einem Rückstand von 2:6 hinterher, um doch noch mit 10:9 zu gewinnen. Das Finale entschied er schließlich mit 13:11 für sich.
Es war O’Sullivans 36. Weltranglistentitel. Damit zog er in der Allzeit-Liste mit „Golden Boy" Stephen Hendry gleich. Außerdem erlangte er erstmals seit 2010 wieder die Nummer eins der Weltrangliste. Sein Händchen für die ganz besonderen Momente zeigte „The Rocket" bereits im Turnier vorher: Die Players Championship gewann er mit dem 1000. Century Break seiner Karriere. Kein anderer Spieler der Geschichte konnte so oft einen Break mit 100 oder mehr Punkten für sich entscheiden. Die derzeitige Saison mit fünf Titeln – drei davon bei Weltranglistenturnieren – zeigt: Kommt O’Sullivan in Tritt, kann ihn kaum jemand aufhalten.
Durch eine komplett enttäuschende Saison quält sich derzeit Mark Selby. Der dreifache Weltmeister beendete die vergangenen sieben Spielzeiten jeweils am Platz an der Sonne. Diesmal stieß er erst im August in die seit Mai laufende Saison. Zwar setzte er sich in der China Championship noch gegen John Higgins durch – doch ansonsten verläuft das Jahr ähnlich wie bei Mark Williams: zu oft viel zu früh ausgeschieden.
Seit Jahren in aufsteigender Form zeigt sich Kyren Wilson. Der Engländer hat ein hehres Ziel: „Ich will, dass meine zwei Jungs aufwachsen und in der Lage sind zu sagen: ‚Mein Vater war mehr als ein durchschnittlicher Snookerspieler.‘" Also möchte er Titel gewinnen, wie er 2018 dem Sender BBC sagte. Das gelingt ihm in dieser Saison bislang ganz gut – und Deutschland scheint ihm besonders zu liegen. Denn nach dem Paul Hunter Classic im August in Fürth setzte er sich im Februar auch beim German Masters in Berlin durch. Siegreich beendete er auch das Einladungsturnier Six-red World Championship.
Sein Gegner im Finale in Bangkok war Ding Junhui. Der 31-jährige Chinese versucht seit Jahren, seinem Talent gerecht zu werden. Der WM-Finalist von 2016 gewann trotz hoher Veranlagung erst 13 Ranglistenturniere. Und da liegt sein letzter Titel auch schon wieder anderthalb Jahre zurück. Höchstens Außenseiterchancen dürften auch die ehemaligen Weltmeister Stuart Bingham (2015), Neil Robertson (2010) und Shaun Murphy (2005) haben.
Zwei Jahre jünger als Ding Junhui ist Judd Trump, der auch über ähnliches Talent verfügt. Der Engländer zeigt eine sehr gute Saison, gewann die Northern Ireland Trophy im November, den World Grand Prix im Februar und das Nichtweltranglistenturnier Masters im Januar. Außerdem stand er mehrfach in Halb- und Viertelfinals. Machte Trump zu Beginn seiner Karriere Furore durch offensives, schnelles Spiel, hat er sich mittlerweile deutlich weiterentwickelt und überzeugt im Stellungs- und im Safety-Spiel. Da er nun auch über die nötige Matchhärte verfügt, ist definitiv mit ihm zu rechnen.
„Ich genieße das Spiel derzeit überhaupt nicht"
Mit bislang drei Endrunden-Teilnahmen, von denen er zwei gewann, und weiteren drei Halbfinals steht Mark Allen derzeit äußerst gut da. Damit steht er auf dem fünften Platz der vorläufigen Weltrangliste – sein bester Wert, seit er 2005 als Profi begann. Allerdings startete er holprig ins Kalenderjahr. Während der Welsh Open im Februar gab er bei Eurosport zu Protokoll: „Ich genieße das Spiel derzeit überhaupt nicht." Es wird sich zeigen, ob er sich durch die WM durchbeißen kann. Falls ihm das gelingt, ist zumindest das Finale möglich.
Ganz vom Schirm lassen sollte man nicht Jack Lisowski. Der 27-jährige Engländer schaffte es in der Saison immerhin bereits dreimal in ein Viertel-, einmal in ein Halb- und schon dreimal in ein Finale. Seinen Anspruch machte er in einem Interview mit dem Betway-Blog deutlich: Seine Ambition sei es, „der Beste zu sein".
Aus Kontinentaleuropa hat im Grunde einzig Luca Brecel Chancen, bei der Weltmeisterschaft etwas zu reißen. Der 24-jährige Belgier war bereits der erste Europäer vom Festland, der ein Ranglistenturnier für sich entscheiden konnte. „The Belgium Bullet" stapelte nach dem Gewinn der China Championship zwar tief und analysierte sein Spiel als „nicht gut". Doch mit seinem Lochspiel, das seine Stellungsfehler ausgleichen kann, wird er es noch weit bringen – vielleicht ja bis auf den Snooker-Thron.
Dort wünschen sich natürlich auch deutsche Spieler hin. Doch realistisch gesehen haben weder der 22-jährige „Ruhrpotter" Lukas Kleckers aus Essen noch Simon Lichtenberg (21) aus Berlin die Chance, jemals in die Weltspitze vorzudringen. Der Spieler Felix Frede aus Hannover äußerte in einem Interview mit dem Portal Snookermania Kritik an der Nachwuchsförderung: „Ich denke, dass es gerade im Jugendbereich Pflicht sein müsste, dass ein guter Trainer die Sportler auf die internationalen Events begleitet, unterstützt und sie so auch nach dem Turnier viel zielgerichteter fördern kann. Dazu muss der Verband aber Gelder und eine dementsprechende Struktur zur Verfügung stellen."