Für Bundesverkehrsminister Scheuer spricht es gegen den gesunden Menschenverstand. Verkehrsexperten plädieren dagegen seit 40 Jahren für Tempo 130 auf deutschen Autobahnen.
uf der klassenlosen Autobahn der Zukunft geht es beinahe gemütlich zu. Alle Verkehrsteilnehmer wissen eigentlich, dass mehr als um die 100 Kilometer Distanz in einer Stunde mit dem Auto eh nicht zu schaffen sind. Drängeln, Lichthupe, dicht auffahren und am Steuer rumtoben wie vom bösen Geist getrieben, gibt es nicht mehr. Dank eines bundesweiten, einheitlichen Tempolimits. Wobei heute noch nicht ganz klar ist, ob das dann bei 100, 120 oder doch 130 Kilometern pro Stunde liegen wird. Doch selbst die deutschen Autobauer, jahrzehntelang fanatische Gegner eines Tempolimits, haben sich dann mit der neuen deutschen Gemütlichkeit bei der Mobilität zwangläufig abfinden müssen. Kein Wunder, die Verbrennungsmotoren sind so gut wie verschwunden und Elektrofahrzeuge haben ihre größte Akkureichweite bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 90. Dazu kommt das autonome Fahren. Hier gilt die zugelassene Richtgeschwindigkeit von maximal 110. Alles andere wäre bei den Selbstfahrern zu gefährlich. So könnte es womöglich spätestens Mitte der 2030er-Jahre bei uns auf den Autobahnen aussehen, schwärmen die Vertreter diverser Umweltverbände.
BUND-Verkehrsexperte Arne Fellermann ist sich im FORUM-Gespräch sicher, dass wir vor einem Tempolimit stehen: „Allein der Umstand, dass in drei Jahren in der EU in allen neu zugelassenen Fahrzeugen Assistenzsysteme verbindlich vorgeschrieben sind, ist dafür ein wichtiges Indiz." Fellermann bezieht sich damit zum Beispiel auf das Spurassistenzsystem, das es dann in den neu zugelassenen Fahrzeugen in Europa geben wird. Diese Spurassistenzen haben ihre technischen Grenzen, und die liegen bei einer Geschwindigkeit von circa 150 Stundenkilometer. Aber nicht nur diese technische Finesse ist für die Umweltschützer von Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace, BUND oder aber auch beim Umweltbundesamt ein sicheres Indiz für ein kommendes Tempolimit. Arne Fellermann vom BUND rechnet vor: „Alle Studien belegen, dass Fahrzeuge die Umwelt bei 80 oder 90 Stundenkilometer exorbitant weniger belasten als bei über 130. Deutschland hat alle Klimaziele, vor allem im Straßenverkehr, vergeigt, da muss jetzt ganz schnell was passieren." Das Argument, die Automobilindustrie werde bei den Verbrennern die Abgaswerte in Zukunft noch weiter senken, ist beinah zur Farce geworden. Richtig ist, dass „bei den Benzinern die Abgaswerte erheblich runtergegangen" sind, räumt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, zwar ein, „aber dafür sind die Autos auf den Straßen auch immer mehr geworden. Das ist ein Irrweg, ganz abgesehen vom Dieselabgasbetrug." Das, was an Abgasen eingespart wurde, fährt jetzt an Autos mehr auf der Straße, die Emissionen sind teilweise höher.
Neues Denken in der Mobilität
Das beliebte Totschlagargument, ein Tempolimit auf den deutschen Autobahnen würde die Automobilindustrie nachhaltig schädigen, lassen Umweltschützer ohnehin nicht gelten. Neben Deutschland gibt es nur noch in Afghanistan, Somalia und Nordkorea kein Tempolimit auf den Autobahnen. Die drei genannten Staaten sind in der Vergangenheit nicht wirklich durch exorbitante automobile Innovationen oder massenhafte Exporte aufgefallen.
„Mobilität verändert sich gerade von Grund auf und ein Tempolimit könnte endlich zum Weckruf für die deutschen Autobauer werden", ist sich Resch (siehe Interview) sicher. „Denn es geht zukünftig nicht mehr darum, riesengroße Karren mit 1.000 PS und Spitzengeschwindigkeiten zu bauen: Die Zukunft bei der Fortbewegung liegt in der Energieeffizienz", so Resch. Dieses neue Denken in der Mobilität erreicht mittlerweile aber auch Gesellschaftskreise, die einem Tempolimit bislang nicht wirklich aufgeschlossen gegenübergestanden haben. Die nordrhein-westfälische Gewerkschaft der Polizei hat sich als erster Landesverband für ein Tempolimit von 130 auf den Autobahnen ausgesprochen. NRW-Landeschef Michael Mertens räumt ein, dass „dies ein ungewöhnlicher Schritt für die GdP ist. Zum einen geht es uns um die Umwelt, aber auch um die Sicherheit und damit um Menschenleben." Mertens hofft, dass sich andere GdP-Landesverbände anschließen. 39 Jahre hat er als Polizist auf dem Buckel, und es hat gedauert, bis auch er verinnerlicht hatte, dass Tempo 130 genug ist. „Was glauben sie, wie viele Menschen ich in meiner Dienstzeit hätte retten können, wenn die nicht mit 180 oder über 200 in die Leitplanke geballert wären? Irgendwann ist genug."
Egal, ob die Umwelt oder der Schutz der Menschen Beweggrund für ein Tempolimit ist, Gewerkschaft der Polizei, BUND oder Deutsche Umwelthilfe sind sich in einem weiteren Punkt einig: Die Einführung eines Tempolimits macht nur Sinn, wenn es auch flächendeckend überwacht wird. Dazu sollte auch die Abschnittskontrolle in Sektoren gehören. Auf einem längeren Teilstück kann dank der Mautbrücken überprüft werden, ob das geltende Tempolimit auch tatsächlich eingehalten wurde. Was allerdings noch andere Fragen aufwirft.