Die Bundeswehr steckt in ihrer tiefsten Krise seit Jahrzehnten. Marodes Material und die geringsten Bewerberzahlen seit Ende der Wehrpflicht sind eine gewaltige Herausforderung. Dazu löst die Nachwuchswerbung oftmals heftige Kritik aus.
Ein marodes Segelschulschiff, veraltete IT, mehr Luftfahrzeuge im Reparaturhanger als in der Luft, Gewehre, die eher um die Ecke als geradeaus schießen, Millionenverträge mit externen Beratern, Soldaten, die mit Linienmaschinen in Krisengebiete geflogen werden müssen, geringe Bewerberzahlen: „Y-Tours", wie die Bundeswehr manchmal scherzhaft genannt wird, ist in der Krise, und niemandem ist zu Lachen zumute. Das deutsche Verteidigungsministerium, genauer Ursula von der Leyen, schlägt sich seit 2013 mit einer der größten Baustellen im deutschen Staat herum. Das Ziel, statt nur für die Landesverteidigung nun auch im Ausland präsent sein zu müssen, hat zusammen mit einer verordneten Sparpolitik die Bundeswehr in ihrem Heimatland regelrecht ausgehöhlt. Seit den 70er-Jahren ist der Anteil des Verteidigungshaushaltes am Gesamthaushalt des Bundes kontinuierlich gesunken.
Der massivste Einbruch lässt sich laut Statistik des Bundesfinanzministeriums nach der Wiedervereinigung feststellen: Das Bedrohungsszenario aus dem Osten schien erst einmal verschwunden. Bedrohungen von außen wurden mehr und mehr zu einem abstrakten Begriff, 62 Jahre nach Gründung der Bundeswehr in Zeiten des Kalten Krieges.
Die Einbindung in Bündnisse wie die Nato oder die Europäische Verteidigungsunion verteilen die Verantwortung für die Sicherheit Europas auf mehrere Schultern und damit weiter entfernt von rein nationalen Anstrengungen. Die amerikanischen Forderungen nach zwei Prozent Anteil Nato-Budget am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt sind demnach nicht unberechtigt, erscheinen aber aufgrund des gewaltigen Aufholbedarfs der Bundeswehr selbst noch unerreichbarer als ohnehin schon. Zugesagt hat von der Leyen nun 1,5 Prozent bis 2024, „mit dem Ziel von zwei Prozent". Der Bund investiert mittlerweile mehr. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung" rechnet von der Leyen vor, das pro Woche nun im Schnitt „ein neuer Panzer, pro Monat ein neues Flugzeug, pro Jahr ein neues Schiff" dazukäme. Den maroden Materialzustand begründet die Ministerin mit der Sparpolitik der vergangenen Jahrzehnte oder zusammengestrichenen Ersatzteillagern. Bundeswehreinheiten müssen ihr Material untereinander leihen. Erst 2023 soll ein Einsatzverband von der Truppenstärke einer Brigade, also je nach Waffengattung 1.500 bis 5.000 Mann, aus eigener Kraft ausgestattet sein.
Hinzu kommt: Die Bundeswehr ist kein Arbeitgeber wie jeder andere. Der Rekrutierungswerbung wird oft der Vorwurf des mangelnden Realismus gemacht. Tod und Verletzungen kommen im Marketing nicht vor. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht war die Bundeswehr mit nicht weniger als dem Anspruch angetreten, der attraktivste Arbeitgeber Deutschlands zu werden. Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Die Bewerberzahlen haben ein Rekordtief erreicht. Laut Bundeswehrverband fehlen 25.000 Menschen. Und die marode Infrastruktur trägt nicht dazu bei, den guten Ruf der Bundeswehr zu mehren. Ist es überhaupt derzeit attraktiv, der Truppe beizutreten? Und unter welchen Bedingungen geschieht dies? Klar ist eines: Das Verhältnis zwischen Bundeswehr und deutscher Bevölkerung muss neu überdacht werden. Eine Parlamentsarmee als Berufsarmee erfordert eindeutig eine breite Debatte darüber, warum und unter welchen Bedingungen der bewaffnete Kampf geführt werden muss.