Hexennacht steht wieder vor der Tür. Der Historiker Wolfgang Behringer, Professor für Frühe Neuzeit an der Universität des Saarlandes und Experte für Hexenverfolgungen, spricht im Interview über Hexenproben, die Rolle der Kirche und modernen Hexenwahn.
Herr Behringer, wie entstand eigentlich der Hexenglaube?
Wir haben es hier mit einem Menschheitsproblem zu tun. Die Furcht vor schädlicher Zauberei, die das eigene Leben, das Vieh, die Ernte beeinträchtigt und von übelwollenden Nachbarn mit Hilfe übersinnlicher Kräfte ausgeübt wird, ist weltweit verbreitet. Sie ist der Kern des Hexenglaubens. Momentan kann man beobachten, dass in den letzten Jahren in manchen Ländern dieses Thema wieder hochkommt. Man findet zum Beispiel in Indien fast wöchentlich Berichte über Hexenverfolgungen.
Wie ist das in unserer modernen Zeit möglich?
Manche Anthropologen meinen, dass dieser Glaube nicht nur uralt, sondern auch modern ist. Das Übermaß an Veränderung, das durch die Entwicklung der modernen Gesellschaften entsteht, auch die großen Unterschiede zwischen Armut und Reichtum, befördert in manchen Regionen der Welt den Hexenglauben.
Wie alt ist denn der Hexenglaube ungefähr?
Wir können es als Historiker natürlich nur so weit zurückverfolgen wie wir Quellen haben. In Europa 2.000 Jahre, im vorderen Orient vielleicht 5.000 Jahre, vermutlich ist er sehr viel älter. Die Furcht vor Magie und Zauberei ist vermutlich älter als die Religionen.
Warum hat sich dieser Glaube auf Frauen fokussiert?
Das ist eine Frage, die uns immer noch beschäftigt. Eine Schweizer Forscherin hat herausgearbeitet, dass man Frau und Erde, also Landwirtschaft, zusammengebracht hat. Deswegen sprach man Frauen besondere Kräfte im Zusammenhang mit Landwirtschaft, mit Kinderkriegen sowieso, und der Heilkunst zu. Und dann eben auch im Umkehrschluss die negativen Kräfte. Die soziologische Interpretation ist, dass Frauen in den meisten Gesellschaften unterdrückt wurden und Gefühle wie Neid oder Rache sich natürlich an den Unterdrückten festmachten.
Wie kam die Kirche ins Spiel und warum?
Bis vor wenigen Jahren dachten wir, dass die Kirche verantwortlich war für die Hexenverfolgung. Aber was wir gefunden haben, war erstaunlich. Denn meistens haben die kirchlichen Kräfte, zum Beispiel Prediger, eher versucht, die Leute von der Suche nach Sündenböcken abzubringen. Und darauf hinzuweisen, dass sie an ihre eigenen Sünden denken sollen, bevor sie mit dem Finger auf andere zeigen. Das finden wir in den Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts. Wenn man noch weiter zurückgeht, dann war die Kirche erst mal daran interessiert, die anderen Götter in ihrer Bedeutung abzuwerten. Die Strategie bis ins hohe Mittelalter bestand darin zu sagen: Den Teufel gibt es zwar, aber der hat keine Macht. Und was ihr denkt über Zauberei ist alles Blödsinn. Es war verboten, an die Wirkungskraft von so etwas zu glauben. Das ging bis ins 13. Jahrhundert. Dann kam was Neues, und zwar die innerkirchlichen Ketzerbewegungen. Nach Ansicht der Theologen standen Ketzer mit dem Teufel im Bund. Aus der Verfolgung dieser Ketzer heraus wurde die Inquisition gegründet. Und daraus entwickelte sich die Vorstellung, dass vielleicht doch was dran ist an der Zauberei. Die Ketzer erklärten unter der Folter, dass sie durch die Luft geflogen sind und im Auftrag des Teufels Schadenszauber angewendet haben.
Wie und wann fing es dann mit der Hexenverfolgung an?
Durch das ganze Mittelalter hindurch galt das weltliche Strafrecht. In dem Kontext wurde auch Schadenszauber bestraft, damit hatte die Kirche nichts zu tun. Erst im 15. Jahrhundert stieg die Kirche mit den Inquisitionsgerichten mit ein. Die betrafen vor allem Nordfrankreich, Spanien, Italien. 1486 wurde der ‚Hexenhammer‘ gedruckt, der Verfasser Heinrich Kramer war Deutscher. Das ist die Zeitebene, in der Hexerei stärker hervortritt, öfter auch vor weltlichen Strafgerichten.
Was war Heinrich Kramers Motivation so ein Buch zu schreiben?
Der war ein sehr eigenartiger Vogel. Ein Freund von mir ist Psychoanalytiker und hält ihn für schwer gestört. Heinrich Kramer war ein echter Frauenhasser. Das liest man aus vielem heraus, was er geschrieben hat. Er war ein Spezialist für Verfolgung, er verfolgte nicht nur Frauen, sondern auch die klassischen Ketzer und Leute mit Verhaltensauffälligkeiten. Er erhielt ein päpstliches Dekret, das sein Vorhaben unterstützte.
Wann war der Höhepunkt der Hexenverfolgung?
Man hat früher immer von der mittelalterlichen Hexenverfolgung gesprochen. Das Mittelalter endete so um 1500. Nach der Zeit mit dem ‚Hexenhammer‘ ging das Interesse an dem Hexenthema zunächst zurück. Dann kam die Reformation. Luther glaubte zwar an Hexerei, hatte aber primär andere Interessen. Der Hexenglaube flammte wieder in den 1560er-Jahren auf, da fingen die ersten großen Verfolgungswellen in Mitteleuropa an. Der Hauptteil der europäischen Hexenverfolgung lag im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert.
Warum kam der Hexenglaube wieder auf?
Die Antwort, die ich darauf habe, und die von vielen geteilt wird, liegt darin, dass es zu der Zeit eine Klimaverschlechterung gab, im Sinne der Agrarwirtschaft. Es wurde kälter, und die Sommer wurden nasser. Es gab viele Missernten. Dafür wurden die Hexen verantwortlich gemacht. Es gab Mangelernährungen oder sogar Hungersnöte. Als Folge traten unbekannte Krankheiten auf. Die wurden als unnatürliche Krankheiten bezeichnet. Dafür wurden auch die Hexen verantwortlich gemacht.
Was waren denn die „Erkennungsmerkmale" einer Hexe?
Erfolgreich angeklagt wurden vor allem Frauen, die keine Angehörigen hatten. Die ohne gesellschaftlichen Beistand waren. Angeklagt wurden auch oft Frauen aus Familien, die schon lange unter Verdacht standen. Es gab in Dörfern eigentlich immer eine Familie, die man in Verdacht hatte. Dass sie Unheil anrichtet oder Unheil auf sich zieht. Auch Familien, denen es ungewöhnlich gut ging. Zum Beispiel gab es einen Mann in Trier, der zu Reichtum gekommen war und angeklagt wurde. Normalerweise wurden die Ärmeren angeklagt, und wenn die gefragt wurden, wer noch mit ihnen im Bunde war, deuten sie auf die Reichen und Mächtigen, in der Hoffnung, dass dann die Verfolgung endet. Bei den großen Verfolgungen haben wir Fälle, bei denen in Städten die Ratsherrenschicht mit hineingezogen worden ist. Erst die Ehefrau, dann die Tochter, dann der Ratsherr selbst und vielleicht noch der Sohn. Da wurden ganze Familien ausgelöscht.
Also traf es auch Männer …
In Deutschland waren es zu 90 Prozent Frauen, auch bei den Hingerichteten. Am Anfang einer Verfolgung war der Frauenanteil am höchsten. Wenn die Verfolgung länger dauerte, wurden auch dazugehörige Männer angeklagt. Es gibt Regionen, zum Beispiel im Alpenraum, in Island und Norwegen, wo hauptsächlich Männer angeklagt wurden.
Wie kam das?
In Norwegen zum Beispiel gab es traditionellen Schamanismus. Dafür waren in diesen Gegenden vor allem die Männer verantwortlich.
Wie schlimm war die Verfolgung zur Hochzeit in Deutschland?
In Deutschland gab es in dem ganzen Zeitraum der Hexenverfolgungen etwa 25.000 Hinrichtungen. In ganz Europa vielleicht doppelt so viele. Deutschland war in Europa eine Art Zentrum der Hexenverfolgung. Auch in Schottland und in der Schweiz war viel los. 25.000 hört sich im ersten Moment wenig an, aber wenn man sich überlegt, dass in dieser Zeit eine Stadt mit 10.000 Einwohnern als große Stadt galt, dann sind 25.000 doch ziemlich viel.
Deutschland war ein Zentrum?
In Deutschland gab es vor allem in den rheinischen und fränkischen Bistümern mehrere Hundert Opfer. Zum Vergleich: In Afrika und südlich der Sahara wurden seit 1960 viele Frauen als Hexen getötet, dort ist das eigentliche Zentrum der Hexenverfolgung. Von 1960 bis 1990 sind in Tansania etwa 8.000 Menschen wegen Hexerei umgebracht worden.
Die meisten Frauen, die verhaftet wurden, wurden gefoltert. Keine gute Grundlage für die Wahrheit.
Es gab auch damals eine ausgesprochene Rechtskultur. Das Recht, das an den Universitäten gelehrt wurde, ist im Grunde dasselbe wie heute. In den Quellen finden wir, dass die Befürworter der Hexenverfolgung sagten, dass, wenn man sich an das Recht hält, keine Verurteilung wegen Hexerei erreicht. Denn es war schwierig, Indizien für einen Hexentanz zu finden, oder dass eine Kuh durch Hexerei gestorben war. Deshalb fanden immer dort, wo Hexenverfolgungen stattfanden, Übertretungen dieser Rechtsordnung statt. Folter wurde auch bei anderen Delikten angewendet, zum Beispiel Vergewaltigung. Natürlich wusste man, dass die Leute dann alles gestehen. Aber es bildete sich unter Juristen eine Glaubensrichtung heraus, die sagte: Hexerei ist so schlimm, wir können sie mit normalen Mitteln nicht beweisen, deswegen wenden wir unordentliche Mittel an. Das ist auch heute noch sehr aktuell, es erinnert zum Beispiel an Guantanamo.
Wurden schuldig gesprochene Frauen immer hingerichtet?
Es gab hier einen Unterschied zwischen kirchlichen und weltlichen Gerichten. In der Frühen Neuzeit existierten in Südeuropa, vor allem in Spanien, Italien und Portugal, die Inquisitionsbehörden. Das waren feste Behörden, die Glaubensabweichler verfolgten. Diese Behörden sorgten dafür, dass Hexerei unter ihre Gerichtsbarkeit kam, also von der weltlichen Gerichtsbarkeit weggenommen wurde. Bei der Inquisition war es so, dass, wenn ein Urteil gefällt wurde, der Verurteilte ein Recht auf Widerruf hatte. Dann wurde die Strafe nicht vollzogen. Erst wenn er rückfällig wurde, konnte er zum Tod verurteilt werden. Bei den weltlichen Strafgerichten war es anders. Wenn jemand zum Tod verurteilt wurde, wurde er direkt hingerichtet. Deshalb gab es in Deutschland mehr Hexen-Hinrichtungen wie zum Beispiel in Italien.
Warum wurden Hexen ausgerechnet verbrannt?
Das war die vollkommene Auslöschung der Person. Hinterher wurde noch die Asche verstreut, meistens in einen großen fließenden Fluss, damit nichts mehr übrigblieb. Das wurde auch bei Brandstiftung als Spiegelstrafe, bei Sodomie und Homosexualität angewendet.
Verbrennung war die schlimmste Art der Hinrichtung. Oft wurde sie auch umgewandelt. Dann wurde die Person mit dem Schwert getötet. Das war humaner und galt als ehrbar. Das war zumindest für die Angehörigen besser. Eine andere Möglichkeit war, dass man eine Art Scheinhinrichtung mit dem Feuer vollzogen hat. Die Verurteilten wurden vorher erwürgt, damit sie nicht so lange leiden mussten. Das Publikum merkte das nicht. Eine andere Variante war, dass man ihnen Säckchen mit Schießpulver um den Hals hängte.
Was hatte es mit den Hexenproben auf sich?
Es gab eine Reihe dieser Hexenproben. Zum Beispiel die Tränenlosigkeit, wenn jemand nicht weinen konnte oder wenn man jemanden stach und es floss kein Blut. Diese Hexenproben waren absolut illegal und wurden auch von der Kirche verurteilt. Es war das Geheimwissen der Scharfrichter, die die Hinrichtungen vollzogen.
Aber man blutet doch wenn man geschnitten wird …
Man kann das physiologisch erklären, dass sich die Gefäße bei Angst so zusammenziehen, dass tatsächlich auch mal kein Blut kommt.
Und wenn die Frau doch geblutet hat, wurde sie dann frei gelassen?
Die sogenannten Hexenproben wurden in Gebieten angewendet, wo man sich ohnehin nicht an die Rechtsordnung hielt. Wenn eine Verdächtigte eine Probe bestand, konnte man es immer noch mit einer anderen versuchen.
Wann hörte die Hexenverfolgung in Europa auf und warum?
Bereits während in Deutschland noch Hexen verbrannt wurden, endeten die Verbrennungen in Spanien – samt dem Spanischen Weltreich – und in den Niederlanden. Das mächtigste und das reichste Land Europas ging also zu Beginn des 17. Jahrhunderts voran. Das ist vielleicht kein Zufall. Macht und Reichtum scheinen gegen Hexerei immunisiert zu haben. Wer eine Versicherung für seinen Fernhandel abschließen kann, muss sich offenbar nicht mehr mit übersinnlichen Gefahren beschäftigen. Schriftsteller des Rationalismus und der Aufklärung machten den Hexenglauben schließlich im 18. Jahrhundert lächerlich. Die Schulpflicht spielte bei entsprechender Pädagogik auch eine Rolle.