Die wohl bekannteste Hexenverfolgung der Welt geschah vor über 300 Jahren in Salem im heutigen Massachusetts. Was sie ausgelöst hatte, ist bis heute nicht zu hundert Prozent geklärt.
Ein sonniger Frühlingstag in Salem, Massachusetts. Gerade hat ein Reisebus seine Fahrgäste am Washington Square abgesetzt – und die steuern nun zielstrebig auf ein markantes Gebäude aus rotbraunen Gesteinsquadern zu. Wie eine Mischung aus Burg und imposanter Kirche mutet der Bau mit den Türmen beiderseits des Eingangsportals an – und ist tatsächlich Museum und wohl die meistbesuchte Sehenswürdigkeit in dem kleinen Städtchen nördlich von Boston. Tatsächlich geht es im „Salem Witch Museum" um ein ziemlich düsteres Kapitel der Besiedlungsgeschichte an der US-Ostküste – um die Hexenprozesse von 1692, bei denen Dutzende Menschen aller Alters- und Gesellschaftsgruppen der Hexerei beschuldigt und 20 von ihnen zum Tode verurteilt wurden.
Diese Geschichte wird im 1972 gegründeten Museum nacherzählt, alle halbe Stunde – mit Musik, Sounds, Lichteffekten und einer Abfolge von Szenen mit lebensechten und historisch korrekt eingekleideten Figuren. Also hinein in den dunklen Saal, in dessen Mitte ein halbes Dutzend harter Holzbänke aufgebaut sind, ein wenig fühlt man sich da schon ins Nordamerika der puritanischen Siedler im ausgehenden 17. Jahrhundert versetzt. Und dann geht es auch schon los – mit unheimlich wabernden Sounds und einer tiefen Stimme, die von den Besuchern erst einmal wissen will, ob sie denn an Hexen glaubten. Um dann in das Weltbild der Menschen vor Hunderten von Jahren einzuführen, in dem Hexen als Verbündete des Bösen ihren festen Platz hatten. Und als Verursacherinnen von Krankheiten und Seuchen, als Schuldige für schlechte Ernten oder krankes Vieh angesehen wurden.
Das sei in Salem, das aus gleichnamigem Städtchen und Dorf bestand, auch nicht anders gewesen, sagt Stacey Tilney vom Salem Witch Museum. 1629 war die Massachusetts Bay Colony durch eine Charta des englischen Königs gestiftet und in der Folge überwiegend von Puritanern besiedelt worden, die vor Verfolgung in der englischen Heimat geflohen waren. Sie sahen sich als strenge Calvinisten, die den Teufel hinter allen weltlichen Aktivitäten vermuteten und ein einfaches, moralisch einwandfreies Leben anstrebten. Auch die Engländer, die sich ab 1630 in Salem ansiedelten, wollten hier als „Gottes auserwähltes Volk" ein neues Jerusalem aufbauen. Gleichzeitig aber gab es zunehmende Rivalitäten zwischen dem Dorf Salem und der nahe liegenden Stadt. Viele der Dorfbewohner – angeführt vom Geistlichen Samuel Parris – wollten sich von der Stadt lösen, das Dorf zur selbstständigen Gemeinde machen. Andere Bewohner von Salem-Dorf wiederum sahen diese Pläne mit Skepsis und verweigerten Parris und seinen Anhängern die Unterstützung. Dazu gab es häufig Indianerangriffe, die Siedler lebten in ständiger Angst, überfallen zu werden – und zu allem Überfluss hatte erst kurz zuvor eine Pockenepidemie für Todesfälle gesorgt. Insgesamt also eine Situation, die man mit einem Pulverfass vergleichen könne, sagt Stacey Tilney.
Der englische König schritt schließlich ein
Im strengen Winter von 1691/92 bekam die Nichte von Reverend Parris, Abigail Williams, hysterische Anfälle. Nach Aussagen von Zeitzeugen „benahm sie sich seltsam" – kroch auf dem Boden, stammelte unverständliche Worte, versteckte sich, wenn ein Mann den Raum betrat. Ähnlich erging es ihrer Cousine, der neunjährigen Tochter des Reverends, kurze Zeit später auch anderen jungen Mädchen und Kindern im Dorf. Ein herbeigerufener Arzt konnte keine ihm bekannte Krankheit diagnostizieren, bezeichnete die Kinder daraufhin als „verhext", was eine Lawine von Misstrauen, Angst und Verdächtigungen ins Rollen brachte.
Wer sie denn verhext habe, wollten zunächst die Angehörigen, dann aber auch der Magistrat von Salem wissen – und die Mädchen nannten die Namen dreier Außenseiterinnen. Eine offenbar geistig behinderte Bettlerin, eine schrullige alte Frau und eine Sklavin sollten die Missetäterinnen sein, die für das nicht erklärbare Verhalten der Mädchen verantwortlich sein sollten.
Nach und nach gerieten immer mehr Menschen unter Verdacht, da in den Anschuldigungen von einem „schwarzen Mann" die Rede war, wurden nun auch Männer verhaftet. Bald saßen 200 Menschen unter teils erbärmlichen Zuständen im Kerker, allein vier von ihnen starben in Haft. Anderen wurde der Prozess gemacht – 20 wurden letztlich hingerichtet, die meisten von ihnen gehängt. Doch die Prozesse hatten auch wirtschaftliche Folgen –
schließlich war ein großer Teil der Dorfbevölkerung inzwischen inhaftiert, damit konnten die Felder nicht bestellt werden, das Vieh ging ein. Und viele der noch verbliebenen Siedler beschlossen, in Richtung der aufstrebenden Stadt New York zu ziehen.
Nun schritt der englische König ein –
beauftragte den neuen Gouverneur von Massachusetts mit einer Untersuchung. In deren Verlauf wurde die Unschuld der noch verbliebenen Angeklagten festgestellt und die Prozesse ausgesetzt. Allerdings habe es bis 2001 gedauert, bis alle Angeklagten rehabilitiert wurden, erzählt Stacey Tilney vom Salem Witch Museum. Und trotz verschiedenster wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema sei bis heute nicht einwandfrei geklärt, was die Hysterie von Salem eigentlich ausgelöst hätte.
Einige Forscher gehen davon aus, dass verseuchtes Getreide die Wahnvorstellungen der „verhexten" Mädchen hervorgerufen haben könnte. Nachgewiesen werden konnte das aber bislang nicht. Und so ist die Vorgeschichte der Hexen-Prozesse von Salem auch 330 Jahre später noch ziemlich mysteriös. Salems Beliebtheit als Anlaufstelle für Touristen auf New-England-Tour hat das aber eher gesteigert. Seit mehreren Jahrzehnten ist das Städtchen die Halloween-Hauptstadt der USA.