Verhaltensauffällige und als gefährlich eingestufte Hunde haben es schwer, neue Besitzer zu finden. Besonders die vielen amtlichen Auflagen schrecken ab. Das Tierheim Saarbrücken macht mit einer originellen Aktion auf die „Langzeit-Insassen" aufmerksam.
Selbstbewusst, mit erhobenem Kopf und spitz aufgerichteten Ohren kommt Sami über den Hof gelaufen. Es scheint, als sei er sich seiner wichtigen Position bewusst. Sami ist so etwas wie ein vierbeiniger Sozialarbeiter. „Junghunde, Welpen, aber auch ältere Hunde, die Pflege brauchen, kommen zu ihm in den Zwinger", erklärt Elke Leismann, Leiterin des Tierheims Saarbrücken. Der kleine Mischling betreut dann quasi seine Kollegen, zeigt den Jüngeren, wo es langgeht, und tröstet die Sensiblen, die Probleme mit der Eingewöhnung haben. „Er ist unser Hofsheriff", sagt Elke Leismann und grinst.
Kaum zu glauben, dass dieser süße kleine Kerl zu den schwer vermittelbaren Hunden gehört. Aber so sehr Sami seine Artgenossen liebt, so sehr misstraut er den Menschen. Kommt ihm jemand zu nah, den er nicht kennt, kann es passieren, dass er beißt. Sami kann nicht erklären, warum er das tut; er kann niemandem von seinen schlechten Erfahrungen berichten, die er mit Sicherheit irgendwann mit Menschen gemacht hat. Vielleicht passierte es damals, als er als Straßenhund in Rumänien gelebt hat. Doch Sami gibt den Menschen noch eine Chance. „Wenn er Vertrauen gefasst hat, dann kann man alles mit ihm machen", versichert Elke Leismann.
Jannis muss seine Geschichte nicht erzählen. Die ist bekannt und traurige Wahrheit. Der schöne Malinois wurde von mehreren Männern schwer misshandelt, doch glücklicherweise von der Polizei befreit. Entsprechend misstrauisch ist der dreijährige Rüde Zweibeinern gegenüber. Durch viel Geduld und entsprechendes Training öffnet sich der temperamentvolle Hund mittlerweile den Menschen wieder etwas mehr.
Sami und Jannis gehören zu „Cold Case – Bewährungshelfer gesucht", einer neuen originellen Aktion des Saarbrücker Tierheims, um auf Schützlinge aufmerksam zu machen, die es nicht so leicht haben, neue Herrchen und Frauchen zu finden. Dabei werden nicht ganz so pflegeleichte Hunde wie Gefängnisinsassen und ihre Pfleger wie Wärter dargestellt. „Wir fühlen uns ja selbst wie Schließer", sagt Elke Leismann, „weil wir die Hunde immer wegsperren müssen. Aber gerade bei diesen schwierigen Hunden ist es traurig, wenn man merkt, dass sie auch Vertrauen aufbauen." Sie wollten unbedingt etwas tun, um den Langzeitinsassen bessere Chancen zu ermöglichen. „Damit sie nicht vergessen werden." Dass diese Vierbeiner keine Schoßhündchen sind und besonderer Arbeit und Erfahrung bedürfen, soll dabei nicht verschwiegen werden.
„Gegenüber Menschen freundlich"
Zur Aktion gehören auch richtig „schwere" Jungs und Mädchen. Es sind Hunde, die vom Amt als gefährlich eingestuft wurden und deren Vermittlung deshalb eine besondere Herausforderung darstellt. So wie Odin. Der Staffordshire-Mischling hat einen Chihuahua getötet und wurde vom Amt sichergestellt, weil die Besitzer die Maulkorb-Auflage nicht beachteten. „Menschen gegenüber ist er freundlich", versichert Elke Leismann. Er würde auch sehr gut an der Leine gehen und an anderen Hunden freundlich vorbeilaufen. „Er hat allerdings einen extremen Beutetrieb." Neue Besitzer müssten auf diesen Punkt besonders achten und aufmerksam sein. Doch das ist bei der Vermittlung nicht das größte Problem. „Wenn Hunde vom Amt als gefährlich eingestuft werden, weil sie zum Beispiel einen anderen Hund oder einen Menschen verletzt haben, dann behalten sie diesen Stempel ein Leben lang", bedauert Elke Leismann. „Egal, welches Training wir machen und wie toll sich der Hund dann entwickelt. Die Stadt schaut sich das nicht mehr an." Das ist bitter für die Vierbeiner, denn es verschlechtert ihre Vermittlungschancen sehr. Dabei liegt es nicht an mangelnden Interessenten. Aber will jemand einen schwierigen Hund adoptieren, muss er einige von der Stadt bestimmte Auflagen erfüllen. Dazu gehören unter anderem ein Sachkundenachweis in Theorie und Praxis, die Vorlage eines Führungszeugnisses und eine spezielle Haftpflichtversicherung. „Und sie müssen entsprechend wohnen", erklärt Elke Leismann. „Wohnung und Garten müssen besonders gesichert sein. Diese Auflagen kosten Geld und Zeit." Das schreckt den ein oder anderen Interessenten natürlich ab.
Manche der schwer vermittelbaren Hunde sind durch Menschenhand traumatisiert und müssen erst wieder Vertrauen aufbauen. Dazu braucht es viel Zeit und Geduld – und die nötigen Nerven. Davon hat Sabrina Knaul jede Menge. Die feste Mitarbeiterin im Saarbrücker Tierheim ist eine Hundekennerin, die „an jeden Hund drangeht", wie Elke Leismann anerkennend sagt. Sabrina Knaul, die selbst vor zwei Jahren einen verhaltensauffälligen Hund aus dem Tierheim adoptiert hat, hat ein Händchen für schwierige Fälle. „Die meisten Hunde machen nur anfangs Krawall, aber dann legt es sich", meint Sabrina Knaul, die sich natürlich den „Neuen" erst mal mit größter Vorsicht nähert. „Wir holen die Hunde mit einer Art Schlinge aus dem Zwinger raus, dadurch hat man nicht so engen Kontakt."
Dann geht die 33-Jährige mit dem Hund erst mal spazieren und „lässt ihn in Ruhe". Dabei habe sie noch nie schlechte Erfahrungen gemacht. „Und man baut gleich Vertrauen auf." Manche Hunde müssen allerdings einen Maulkorb tragen. Diesen dem erst mal fremden Hund anzuziehen, ohne dabei gebissen zu werden, bedarf viel Erfahrung und ein paar Tricks: „Wir bestreichen die Innenseite mit Leberwurst, dann ist der Hund erst mal abgelenkt."
Zum Schutz des Körpers werden auch Gitter benutzt, die die Mitarbeiter zwischen sich und den Hund stellen. „Dann muss man nur auf die Hände aufpassen, aber wenn man schnell ist, passiert meistens nichts." Sabrina Knaul übt mit ihren Schützlingen auch problematische Situationen, damit sich das Verhalten der Tiere verbessert.
„Er ist ein ganz normaler Hund geworden"
Sie und die vielen anderen Mitarbeiter und ehrenamtlichen Helfer würden gern noch mehr tun. Doch der größte Feind im Tierheim ist der Zeitmangel. Auch aus diesem Grund haben Elke Leismann und Sabrina Knaul die „Cold Case"-Aktion gestartet. Sie hoffen, dadurch auch Menschen zu erreichen, die mit den Langzeitinsassen arbeiten und Gassi gehen. Denn gerade Unterbeschäftigung und Langeweile ist für die meisten Hunde ein großes Problem und kann zu ungewünschtem Verhalten führen. Wie zum Beispiel bei Anka. Aufgeregt zieht die dunkle Schäferhündin an der Leine, als sie aus ihrem Zwinger geholt wird. Dass sie ein Energiebündel ist, sieht man sofort. „Sie ist ein richtiger Arbeitshund", sagt Elke Leismann. Dafür wurde sie von den Menschen gezüchtet. Doch im Tierheim ist Anka arbeitslos. Das bedeutet für die Hündin Stress, den sie mittlerweile damit kompensiert, dass sie alles zerstört, was in ihr Maul reinpasst. „Das kann alles Mögliche sein, vom Gartenzaun der Nachbarn bis zum Blumenkübel und Autoreifen", sagt Elke Leismann. „Zu Menschen ist sie superlieb und verschmust. Wenn man mit ihr arbeiten würde, würde sich das Problem mit dem Zerstören sicher erledigen." Dass positive Veränderungen durchaus möglich sind: Diese Erfahrung hat Heike Friedrich-Kasel gemacht. Die Hundetrainerin betreute über viele Jahre den Staffordshire-Mischling Gordy. Der schwarze Rüde kam als Fundhund ins Tierheim, ließ sich nicht anfassen und hatte kein Vertrauen zu Menschen. Mit viel Geduld baute Heike Friedrich-Kasel eine Beziehung zu dem Tier auf. „Ich hatte ihn von Anfang an ins Herz geschlossen."
Da sie selbst noch einen anderen Hund zu Hause hat, konnte sie Gordy aber nicht adoptieren, weil er sich mit anderen Hunden nicht versteht. „Ich sagte dann irgendwann aus Spaß zum Vorsitzenden des Tierheims, dass, wenn sie mir einen Zwinger in den Garten bauen, ich Gordy mitnehmen würde." Gesagt, getan. Mitarbeiter des Tierheims funktionierten ein Gartenhaus auf dem Gelände von Heike Friedrich-Kasel zu einem geräumigen Luxus-Hundehaus mit Heizung um und errichteten noch einen großen Freilauf. Gordy durfte einziehen, kam aus dem Tierheim raus und wurde Teil der Familie. Und machte eine wunderbare Entwicklung. „Das Größte, was wir geschafft haben, ist, dass mein Mann jetzt genauso mit ihm schmusen kann wie ich. Und meine Nachbarin auch. Er ist ein normaler Hund geworden." Wie zur Bestätigung liegt Gordy während des Interviews ganz entspannt neben seinem Frauchen. „Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, welche Fortschritte so ein Tier macht. Wie sich ein Hund vom Angstbeißer zum Schmusetier entwickeln kann. Es ist toll."
Natürlich müsse man auch bedenken, dass man ab einem gewissen Alter nicht alle Macken aus einem Hund rausbekommt, gibt Tierheim-Mitarbeiterin Sabrina Knaul zu bedenken. „Aber die meisten, die wir hier haben, haben eine gute Chance." Viele Menschen hätten allerdings immer weniger Geduld, so der Eindruck der 33-Jährigen. Dabei lohnt sich der Einsatz allemal. „Es gibt nichts Schöneres, als bei so etwas Erfolg zu haben."