Fortuna Düsseldorf hat für viele überraschend als Aufsteiger die Klasse gehalten. Der Vater des Fußball-Märchens ist Friedhelm Funkel. Doch im Verein rumort es.
Friedhelm Funkel hatte mittlerweile 1.269 Einsätze im Profifußball. „Ich sage immer, dass ich kurz vor den 1.300 bin. Genauer weiß ich es tatsächlich nicht. Es ist auch nicht so wichtig." Eine Aussage, die typisch ist für den 65-Jährigen.
Angefangen hat diese unglaubliche Geschichte im Jahre 1973 mit dem ersten Einsatz als Spieler von Bayer 05 Uerdingen in der damaligen zweitklassigen Regionalliga West. Selbst der immer bescheidene Funkel prognostiziert: „Ich wage mal zu behaupten: Das erreicht keiner mehr." Womit Funkel in seiner Karriere immer wieder zu tun hatte, war die Konfrontation von Vergangenheit und Moderne. Meist sogar in Vorurteilen zum Nachteil seines Rufes. Doch dass Funkel ein Auslaufmodell und in der hochmodernisierten Welt des aktuellen Fußballs überholt sei, maßt sich heute niemand mehr an zu vermuten. Der Aufsteiger, seine Fortuna, hat sich die bisherigen 37 Punkte nämlich nicht ermauert und durch ein paar Standard-Tore ergaunert, sondern mit einem zielgerichteten offensiven Spiel, das regelmäßig auch gegen die Großen der Liga zum Tragen kam. Nach dem Abpfiff des Hinspiels bei den Münchner Bayern standen Funkel und seine Routiniers Oliver Fink und Adam Bodzek zusammen und waren über den Dreierpack von Dodi Lukebakyo und die Art und Weise des Auftritts der Fortuna durchaus überrascht, einen Punkt bei den Bayern hatte niemand auf der Rechnung. Verwundert ist mittlerweile aber niemand mehr. In der Rückrunde gewann die Fortuna auf Schalke mit 4:0, Mönchengladbach wurde binnen 16 Minuten auseinandergespielt und das Berliner Olympiastadion erobert. Es ist der Lohn der Bescheidenheit: Nie wurde Friedhelm Funkel auf die Ebene mit den ganz großen Trainern des Geschäfts gestellt. Er feierte Erfolge klar, doch mittlerweile wird ihm auch die Bewunderung zuteil, die er verdient. Auf die Frage, warum ihm denn nie ein Spitzenteam anvertraut wurde, hat er eine klassische Funkel-Antwort parat: „Ist eben nie so gekommen."
Für den Trainer des Jahres gibt es für Rudi Völler nur eine mögliche Option – Friedhelm Funkel. Der Auserwählte war durchaus geschmeichelt: „Ich müsste lügen, wenn ich sagen wollte, das gefällt mir nicht – würde mir ja auch keiner glauben", kommentiert es der Geehrte auf die ihm gemäße Art. Immer wieder wurde sein unprätentiöses Auftreten mit Mangel an Glamour verwechselt und sein einfach scheinender Fußball als hausbacken verstanden.
Turbulenzen im Aufsichtsrat
Heribert Bruchhagen, Funkels früherer Chef bei Eintracht Frankfurt, hat seinerzeit das einzige Kompliment geäußert, das Funkel etwas bedeutet hatte: „Der Heribert hat mal etwas gesagt, was mir gutgetan hat: ‚Friedhelm holt aus seinen Mannschaften das Möglichste heraus.‘ Das ist ein Satz, von dem ich überzeugt bin. Bei der Eintracht haben wir uns immer realistische Ziele gesetzt – aber genau das war in Frankfurt zu wenig." Das hat ihn in Düsseldorf nicht daran gehindert, nach gewohntem Muster zu verfahren: „Wir sind in die Saison gegangen und haben gesagt: Schauen wir mal, ob wir mithalten können. Wir wussten das ja nicht."
Der Unterschied zwischen Frankfurt und Düsseldorf besteht zudem darin, dass in Düsseldorf Fußball nicht so zum Inventar gehört wie bei den Hessen. Die Fortuna ist wichtig, aber nicht obligatorischer Mittelpunkt des gesellschaftlichen Miteinanders. Die meisten Fortuna-Profis würden auf der Straße womöglich gar nicht erkannt werden. So geschehen, als Oliver Fink nach dem euphorisierenden 3:1 gegen Gladbach mit der Straßenbahn unterwegs war – und ihn einfach niemand erkannte. Bei der Fortuna haben Funkels Sinn für das Machbare und für das richtige Maß von Anfang an verfangen. Fink, gebürtiger Oberpfälzer, zugewandert vor zehn Jahren, erinnert sich gern daran, wie im März 2016 der neue Chefcoach anfing. Mitten im Abstiegskampf der Zweiten Liga: „Da kam ein Trainer, der in sich ruhte, der nicht aus der Emotion entschied oder aus Aktionismus, das war ein einschneidendes Erlebnis. Sachen, die vorher bei uns nicht funktionierten, klappten auf einmal. Plötzlich hatten wir das nötige Ballglück, 50:50-Situationen gingen zu unseren Gunsten aus." Das war für Fink erst mal unerklärlich, auf Dauer aber nicht: „Es gibt ja jetzt für alles im Fußball neue Statistiken, Packing-Raten, Verwissenschaftlichung und, und, und – aber der Faktor Mensch ist einfach entscheidend", sagt er. „Anstand, Höflichkeit, Respekt: Da kann man von Funkel viel lernen." Und auch dies: „Es gilt immer gleiches Recht für alle."
Der Düsseldorfer Erfolg ist überraschend, trotz Funkel. Denn es war auch in diesem Jahr lange nicht alles Gold, was glänzt. Der Aufsteiger trennte sich kürzlich überraschend von seinem Vorstandschef Robert Schäfer, spätestens seit der Trainerposse in der Winterpause im eigenen Haus der Intimfeind des beliebten Coaches. Funkel wollte sich nicht zu dieser Personalie äußern, feierte stattdessen mit seinem Team vor dem Fernseher den vorzeitigen Klassenerhalt. Dass der Burgfrieden zwischen dem 65 Jahre alten Trainer und dem 22 Jahre jüngeren Schäfer überhaupt so lange gehalten hat, grenzte ohnehin an ein Wunder, nachdem der Clubboss seinen Coach zu Jahresbeginn quasi im Alleingang gefeuert hatte – und damit nicht nur Funkel, sondern den Aufsichtsrat vor den Kopf gestoßen hatte – und damit auch sein eigenes Grab schaufelte. Neuer Vorstandsboss ist nun Thomas Röttgermann. Die Familie des neuen Vorstandsvorsitzenden liebte Fortuna Düsseldorf schon vor dem Amtsantritt des Vaters bis zur Schmerzgrenze. „Ich hatte Fortuna immer auf dem Zettel, auch aus familiären Gründen. Die Familie meiner Frau, die aus Neuss stammt, besteht im Wesentlichen aus heißen Fortuna-Fans", sagte der 58-Jährige bei seiner Vorstellung am vergangenen Dienstag. Und er verriet: „Mein Sohn hat das sagenumwobene 4:0 auf Schalke nicht nur miterlebt. Er hat auch einen Kinnhaken eines Schalke-Fans einstecken müssen, weil er im falschen Moment seinen Fortuna-Schal gezeigt hat. Das sollte man auch nicht tun."
Das verflixte zweite Jahr
Nach dem VfL Wolfsburg ist dies nun seine zweite Station im deutschen Profifußball. Neben den Aufräumarbeiten innerhalb des Vereins muss auch das kommende Jahr in der Bundesliga geplant werden – und das zweite Jahr ist ja bekanntlich das Schwerere.
Wie die Fortunen nun mit dem verflixten zweiten Jahr umgehen werden, hängt vor allem mit dem vorhandenen Personal ab. Trainerfuchs Funkel bleibt natürlich erhalten, beim aktuellen Kader gestaltet sich das mehr als schwierig. Zu erwarten war dabei der Abgang von Lukebakio. Der Leihspieler überzeugte in jeder Hinsicht, wird genau deshalb wieder zu seinem Stammverein nach Watford zurückkehren müssen. Abgesehen davon hätte sich die Fortuna das Gehalt wohl so oder so nicht leisten können. Einen ebenso großen Schritt wie Lukebakio machte Linksaußen Benito Raman. Dieser ist aber zum Glück noch bis 2021 an den Verein gebunden – bei einem entsprechenden Angebot könnte er demnach ordentlich Geld in die Kassen spülen. Weitaus wahrscheinlicher ist dagegen die Trennung von Kaan Ayhan. Der ehemalige Schalker reifte nach seinem Wechsel im Jahr 2016 zu einem absoluten Leistungsträger heran und wird von der halben Bundesliga umworben. Aufgrund einer für heutige Verhältnisse lächerlichen Ausstiegsklausel von 2,5 Millionen Euro, wird es den Interessenten relativ leicht gemacht. Obwohl Ayhan weiß, was er an der Fortuna hat, tendiert er scheinbar zu einem Wechsel.
Ebenfalls unklar ist der Verbleib von Kevin Stöger. Dieser zeigte sich in den vergangenen Wochen stark verbessert, Gespräche über eine vorzeitige Vertragsverlängerung wurden aber auf Eis gelegt – Ende offen. Da es auch in den kommenden Jahren finanziell schwierig für die Düsseldorfer aussieht, sieht der neue Sportdirektor Lutz Pfannenstiel weiterhin in Leihgeschäften eine gute Option, den Kader aufzurüsten. „Wir werden uns weiter intensiv mit Leihgeschäften befassen, größere Ablösen können wir nicht stemmen", sagt der 45-Jährige.
Friedhelm Funkel wird es egal sein. In seiner jahrzehntelangen Karriere hat er schon einigen Widrigkeiten getrotzt – und wenn es nur die freundschaftlichen Kabbeleien mit Heribert Bruchhagen waren. „Friedhelm trägt Hemden wie ein 20-Jähriger", sagte er damals über seinen Coach. Vielleicht liegt im Kleidungsstil auch ein Grundstein für das gute Verständnis mit seinen genauso alten Spielern. Neben taktischen Kniffen und sämtlichen modernen Fußballthemen legt Funkel Wert auf den Menschen. Und wenn es jemand schafft, das zweite verflixte Jahr zu meistern, dann wohl der, der aus seinen Mannschaften alles herausholen kann.