Der Großhändler KNV steht vor dem Aus. Am 1. Mai wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Was das für Buchhandlungen und Verlage in Deutschland bedeutet, ist noch gar nicht abzusehen.
Es war eine bittere Nachricht, die am 15. Februar die Branchenmedien erreichte und in den Wochen danach ihre Kreise zog, bis sogar die Tagesschau berichtete: Die Unternehmensgruppe Koch, Neff & Volckmar GmbH, kurz KNV, einer der wichtigsten Zwischenbuchhändler im Land, steht vor der Insolvenz. Kurz zuvor waren letzte Verhandlungen mit einem potenziellen Investor gescheitert. Brancheninsider vermuten, dass sich der Zwischenbuchhändler beim Bau eines neuen riesigen Logistikzentrums in Erfurt finanziell verhoben hat.
Um zu verstehen, was diese Nachricht für die Branche bedeutet, ist ein kurzer Exkurs in das System des deutschen Buchhandels und seine Funktionsweisen nötig: Verlage verkaufen ihre Bücher nur in den seltensten Fällen direkt an die Buchhandlungen, meist steht dazwischen ein Großhändler – sprich: der Zwischenbuchhandel – der Bücher aller großen Verlage in hohen Stückzahlen auf Lager hat und die Abrechnungsleistung mit den einzelnen Buchhändlern übernimmt. Die drei großen Unternehmen, die dies in Deutschland leisten, heißen Umbreit, Libri und, als größter im Trio, KNV. Diese logistisch höchst spezialisierten Unternehmen nutzen für den Versand der Bücher eigene Fahrer, die sogenannten Bücherwagendienste, womit der bequeme Service der Über-Nacht-Bestellung gesichert ist. Im Grunde ist damit der Buchhandel schneller als Amazon: Jedes lieferbare Buch, das in einer Buchhandlung vor 16 Uhr bestellt wird, hat der Buchhändler oder die Buchhändlerin am nächsten Morgen zur Abholung in seinem Laden bereit liegen – der berühmte gelbe DHL-Schein und der Gang zur Post, der bei Internet-Bestellungen oft für saure Mienen und ärgerliche Verzögerungen sorgt, fallen hier weg.
Was tun also, wenn ein für dieses elegante System so relevanter Dienstleister vor dem Aus steht? Das Verfahren läuft: Zunächst wurde ein Insolvenzverwalter bestimmt, der fürs Erste die Geschäftsführung übernimmt und die Bücher geordnet hat. Dieser ist nun auf Hochtouren damit beschäftigt, neue Investoren zu finden, die die weit in die Millionen gehenden Außenstände – in erster Linie bei den Banken – ausgleichen können. Ein geordnetes Insolvenzverfahren wurde am 1. Mai in Stuttgart eröffnet, die erste Gläubigerversammlung steht am 25. Juli an. Der Insolvenzverwalter Tobias Wahl zeigt sich zuversichtlich „Läuft alles nach Plan, haben wir im Juli einen Investor", bestätigte er gegenüber dem „Börsenblatt" am 2. Mai. Hat der Spuk also bald ein Ende und es kehrt wieder Ruhe ein?
Schnelle Hilfe von der Politik
Zunächst einmal sind die letzten Nachrichten für viele Buchhandlungen und Verlage ein Grund zum Aufatmen. Der entstandene Schaden jedoch bleibt für beide Seiten: Da im Buchhandel wie in jeder kaufmännischen Branche mit Zahlungszielen gearbeitet wird, haben einige Verlage offene Rechnungen bei KNV, die zum Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung bis in das Weihnachtsgeschäft zurückreichten. Das heißt: KNV schuldet vielen Verlagen richtig Geld. Das trifft vor allem die kleineren.
Mit Mut zur Offenheit deckte zum Beispiel der Verlag Voland & Quist, einer von vielen konzernunabhängigen Verlagen, in einem Blogbeitrag auf, dass sich die Außenstände hier im konkreten Fall auf satte 65.000 Euro belaufen – kein Pappenstiel für einen Indie-Verlag, der keinen zahlungskräftigen Mäzen oder Investor im Rücken hat. „Mit der ausstehenden Summe könnten wir ein ganzes Jahr Programm gestalten. Wir könnten Bücher drucken, Cover kreieren, Texte übersetzen lassen … Die Summe entspricht knapp drei Jahresgehältern", sagt Geschäftsführer Leif Greinus. Und berichtet auch gleich über die Konsequenzen: „Was heißt das jetzt für uns? Zunächst einmal müssen wir kurzfristig fest eingeplante Einnahmen für den April aus der Liquiditätsplanung streichen. Da wird es gleich sehr rot in den Tabellen und die Wut, eben noch kalt und nur leicht murrend, kräftiger. Sie wechselt sich ab mit Ratlosigkeit. Wie sollen wir diese Lücke schließen? Müssen wir gar selbst Insolvenz anmelden? Im Auftun neuer Geldquellen sind wir Verlage findig, aber wenn man rückwirkend eine solch hohe Summe ausbuchen muss, wird es schwer."
Die Kurt-Wolff-Stiftung, die sich seit fast 20 Jahren für die unabhängige Verlagswelt starkmacht, verschickte wenige Tage nach dem Bekanntwerden der Insolvenz einen Brandbrief, in dem es hieß: „Dieser Riese droht, sollte er weiter fallen, einen beträchtlichen Teil der Buchbranche mit sich zu reißen. Die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft dürfen nicht zulassen, dass ein Riese fällt und in seinem Sturz eine ganze Branche nachhaltig beschädigt. Schnelle, unbürokratisch geregelte finanzielle Hilfen für die Buchbranche sind daher nicht nur nötig, sondern auch dringend erforderlich."
Das Problem liegt in der Zwischenposition, die der Großhändler einnimmt: Während den Verlagen die Außenstände Sorgen bereiteten, warteten die Buchhandlungen in den ersten Wochen der Insolvenz vergeblich auf Buchlieferungen und konnten nicht remittieren, das heißt nicht verkaufte Bücher nach einer Weile wieder zurückschicken, sodass sie vom Verlag zurückgenommen werden. „Für den Buchhandel hat die KNV-Insolvenz nicht annähernd die wirtschaftliche Bedeutung wie für die Verlage", erklärt Detlef Bluhm, der Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Landesverband Berlin-Brandenburg, auf Nachfrage. „Viele Buchhandlungen beziehen ihre Barsortiments-Bestellungen ja auch über die Mitbewerber Libri oder Umbreit. Dennoch wissen auch die Buchhändler sehr genau, dass KNV als Barsortiment, Verlagsauslieferung und Bücher-Sammelverkehr eine unübersehbare Systemrelevanz hat. Es ist deshalb ganz klar der Wunsch des Buchhandels, dass eine branchenverträgliche Übernahmeregelung für KNV so schnell wie möglich gefunden wird."
Buchhändler brauchen KNV
Zur Einordnung: Die Unternehmensgruppe KNV mit Sitz in Stuttgart und Erfurt sowie Büros in Hamburg, Berlin und Leipzig hat 1.800 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 532,7 Millionen Euro. Die Verbindlichkeiten betrugen Ende 2017 insgesamt 256,627 Millionen Euro, wie das „Börsenblatt" am 29. März berichtete.
Ein Happy End wäre wahrlich allen Beteiligten zu wünschen: Nach Streitigkeiten über Splittung der VG-Wort-Abgabe zwischen Verlagen und Autoren, Urheberrechtsdiskussion, den fatalen Ergebnissen der Buchkäuferstudie des Börsenvereins, wonach zwischen 2012 und 2016 dem Buchhandel 6,1 Millionen Buchkäufer verlorengegangen sind, und im Zeichen einer schon angekündigten immensen Portoerhöhung für Büchersendungen durch die Deutsche Post wäre es vielleicht einmal wieder an der Zeit für gute Nachrichten.