Juso-Chef Kevin Kühnert spricht von einer „reizvollen Utopie". Angestoßen hat der damit eine Grundsatzdebatte über das Wirtschaftssystem.
Als Kevin Kühnert zur Bühne gerufen wurde, schwoll der Applaus deutlich an. Auf der Bühne selbst im großen Rund sollten seine Ideen, mit denen er kurz zuvor für erhebliches Aufsehen gesorgt hatte, keine Rolle spielen. Angesagt war der Wahlkampfauftakt der SPD in die heiße Phase zur Europawahl. Ein Wahlkampf, in dem die SPD ein soziales Europa und „harte Kante gegen rechts" (Co-Spitzenkandidat Udo Bullmann) in den Mittelpunkt der Wählerentscheidung stellt.
Die öffentlichen Reaktionen der Parteispitze auf Kühnerts „sozialistische" Überlegungen kamen eher väterlich-nachsichtig daher, frei nach dem Motto: „Wer in seiner Jugend kein Kommunist war, hat kein Herz, wer es im Alter immer noch ist, keinen Verstand". Es sei nun mal gute Tradition, dass Juso-Chefs mit spitzen Thesen provozieren. Herauszuhören ist dabei dennoch die Verärgerung, dass Kühnert gerade jetzt diese Diskussion eröffnet hat. Die SPD hatte sich in den letzten Monaten stabilisiert, die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder Profil gewonnen, und wer Schwankungen im Prozentbereich bei ansonsten relativ stabilen Umfragen positiv interpretiert, kann einen leichten Trend nach oben ausmachen.
Gutes Recht, Ideen einzubringen
Der unterschiedliche Applaus für die Spitzen der Partei, die sich für Europa versammelt hatten, ließ spüren, dass mindestens zwei Herzen in der Brust der Sozialdemokratie schlagen. Das eine, das auf Kühnerts Vorstoß irritiert bis ablehnend reagiert, fürchtet darum, Wähler mit dem alten Bild einer zerstrittenen Partei zu verschrecken. Das andere ganz im Gegenteil, das aufatmet, weil endlich einer scheinbar den Topf vom Deckel genommen und Grundsatzfragen zur Debatte gestellt hat.
Spitzenkandidatin Katarina Barley nahm am Rande des Wahlkampfs die unvermeidlichen Nachfragen gelassen, sprach vom guten Recht des Jusos-Chefs, Ideen einzubringen, und ergänzte, es gehöre schließlich zur Demokratie dazu, unterschiedliche politische Ansätze zu diskutieren.
Zuvor hatte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, Kühnerts Äußerungen als „groben Unfug" abgetan, Parteivize Ralf Stegner dagegen geäußert, Kühnert habe Missstände „zutreffend beschrieben".