CSU-Mann Manfred Weber will Präsident der EU-Kommission werden. Allerdings dürfte das Wahlergebnis für seine EVP nicht berauschend ausfallen.
Wo einst das politische Herz der DDR lag, werden heute junge Manager ausgebildet. Gegenüber des neuen Berliner Schlosses, am Schlossplatz 1, residiert im ehemaligen Staatsratsgebäude die Privat-Uni ESMT. Professoren aus 20 Ländern unterrichten Studenten aus 60 Ländern. Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich eine Buchvorstellung gewählt, um ihre Ideen von Europa zu präsentieren. „Europa kann es besser" lautet der Titel des Buches, in dem Manager und andere Wirtschaftsexperten auflisten, was aus ihrer Sicht zu tun sei. AKK hat zwar nicht mitgeschrieben, aber das Buch findet sie gut. Das sei ihre „tiefe Überzeugung", und das Buch komme jetzt zum „richtigen Zeitpunkt".
Soweit hätte man es auch schon fast ahnen können. Auch bei „Pulse of Europe" am Vortag hatte sie schon ein Bekenntnis für Europa abgegeben, so ganz allgemein. Doch dann wurde sie doch noch konkreter. Genau dieses „dafür oder dagegen" sei falsch, es gehe darum, zu zeigen, was besser an der EU zu machen sei. Der Buchtitel könnte auch als Motto ihrer Europa-Haltung taugen.
Sie wolle ein „starkes Europa", sagt AKK, das sich in einer Welt wirtschaftlich behaupten könne, die immer dynamischer werde und in der der Freihandel immer stärker unter Druck gerate. „Wer glaubt, hinter Chinas wirtschaftlicher Expansion steckten nur wirtschaftliche Absichten, ist doch naiv." Und weiter: „Wir als Europa" wollten auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Welt haben, proklamierte sie. Sorgen mache sie sich etwa über die mangelnde Konkurrenzfähigkeit europäischer Banken. „Brauchen wir nicht so etwas wie einen europäischen Binnenmarkt für das Bankenwesen, um auch hier wieder weltweit konkurrenzfähig zu werden?", fragt sie und meint als Antwort wohl „Ja". Auch bei der Forschungspolitik sei die EU gefordert, um Innovationen bei wichtigen Herausforderungen voranzubringen, etwa die Nutzung von großen Datenmengen für den medizinischen Fortschritt, um Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer eines Tages besiegen zu können. Und natürlich die sicheren Grenzen nach außen, um „Schengen" zu sichern.
Weber kennt die europäische Bühne
Da war es also endlich. Das klare pro-europäische Bekenntnis der Unions-Wahlkämpferin AKK. Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Europa-Wahlkampf fast vollkommen heraushält, mischt die Parteichefin AKK nun umso stärker mit. Vergessen ist ihr irritierender Aufschlag vom April, als sie auf die Europa-Initiative von Emmanuel Macron kühl und fast provozierend geantwortet hatte, etwa mit der Idee, den Straßburger Parlaments-Sitz aufzugeben.
Dabei kämpft AKK gar nicht direkt, sie bekommt keinen Sitz in Brüssel oder Straßburg. Im Gegensatz zu Manfred Weber. Es fällt nicht schwer, sich Manfred Weber von der CSU als guten Europäer vorzustellen. Hierzulande kennt ihn nur eine Minderheit, nur jeder Vierte, sagen die Meinungsforscher von YouGov. Somit liegt er noch hinter den Konkurrenten der SPD, Katarina Barley, und dem AfD-Mann Jörg Meuthen. Dabei ist Weber der Spitzenkandidat der Union und zudem der Europäischen Volkspartei EVP, dem Zusammenschluss der konservativen Parteien im EU-Parlament. Der 46-jährige Weber will EU-Kommissionspräsident werden, und die Chancen stehen nicht schlecht.
Fast sein gesamtes politisches Leben hat Weber in europäischen Gefilden verbracht. Er war gerade mal zwei Jahre Abgeordneter im Bayerischen Landtag, als er 2004 ins EU-Parlament gewählt wurde. In Brüssel und Straßburg bewegt er sich seit nunmehr 15 Jahren, ist ständig mit Abgeordneten aus anderen EU-Ländern zusammen, kennt den Apparat und das politische Spiel, das von unendlich vielen Akteuren bestimmt wird. Und er kennt die Interessen der Abgeordneten aus anderen Ländern. Die Beschreibung „konservativ" bedeutet in jedem Land etwas anderes.
Weber weiß: Für ein gutes Wahlergebnis braucht er mehr als nur die deutschen Stimmen, die an CDU und CSU gehen. Bringt die Union in Deutschland ein schlechtes Ergebnis, so schadet das eher AKK als ihm. Seine Basis ist Brüssel. Von den aktuell 217 Abgeordneten der EVP-Gruppe im Europa-Parlament sind nur 34 von der CDU/CSU. Das ist zwar mit Abstand die größte Gruppe in der EVP, aber dennoch nur ein kleiner Teil der gesamten EVP-Fraktion.
Wie wichtig ihm die Zustimmung und damit auch die Stimmen aus anderen EU-Ländern sind, zeigte sich plötzlich und zur Überraschung vieler Beobachter Ende April, als er der polnischen Zeitung „Polska Times" im Interview sagte, er sei gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland, weil sie nicht im EU-Interesse sei. Als Präsident der EU-Kommission werde er „alle möglichen Rechtsmittel" anwenden, um Nord Stream 2 zu verhindern.
Wer genau las, merkte, wie klug und vorsichtig das formuliert war. Tatsächlich dürfte es kaum noch Möglichkeiten geben, das Projekt zu stoppen, denn alle erforderlichen Genehmigungen für das Projekt sind auf dem Tisch. Dafür wurde es schon zu lange von der deutschen Regierung unter Gerhard Schröder und seinem Parteifreund als Außenminister, Sigmar Gabriel, forciert. Die Regierung steht bis heute hinter dem Projekt, mit Unterstützung der Fraktionen von Union und SPD, obwohl die Unterstützung in der Union bröckelt. Auch in München ist man grundsätzlich für das Projekt, macht man doch schon seit Langem selbst gute Geschäfte mit Russland und pflegt gute Beziehungen. Es ist aber auch klar, dass Weber nicht die ganze Union repräsentiert. Als „Privatmeinung" bezeichnete Wirtschaftsminister Peter Altmaier Webers Kritik an Nord Stream 2.
Partei gegen Staat, europäisches Interesse gegen nationales. Hier zeigt sich, was es bedeutet, wenn Kanzlerschaft und Parteivorsitz der größten Partei nicht mehr in einer Hand sind. Das gab es in der Bundesrepublik noch nie. Wie geht es aus? Das Projekt Nord Stream 2 ist nicht aufzuhalten. Allerdings kann die EU-Kommission dem Betreiber einige Einschränkungen für den Betrieb auferlegen, die seine Wirtschaftlichkeit schmälern könnten.
„Konservativ" hat viele Facetten
Warum also macht Weber das? Die Antwort ist klar: Er will sich als europäischer, nicht als deutscher Kandidat profilieren. Europa ist für Weber mehr als die Achse Berlin-Paris. Weber setzt daher konsequent auf die etwas kleineren Staaten, die aber in der Masse doch die Mehrheit bilden: Vor allem in Polen darf er auf viele Stimmen hoffen, weshalb er wohl auch das Interview bezeichnenderweise dort gab. Die oppositionelle, liberale Bürgerplattform ist Mitglied der EVP-Familie und stellt bislang immerhin 19 Abgeordnete.
Wenn dann AfD-Spitzenkandidat Meuthen tönt, dass Weber sich damit „versündigt" an den Interessen seines eigenen „Heimatlandes", dann kann Weber das wohl nur Recht sein. Der AfD dürfte es somit umso schwerer fallen, sich bei der rechtsnationalen PiS in Polen Freunde zu machen, deren Unterstützung man sich eigentlich erhofft. Die AfD auf der Linie von SPD und Kanzleramt – da zeigt sich, wie kompliziert „Europa" heute ist. Wer ist da mit wem und wofür?
Webers Kalkül, auf Stimmen aus vielen EU-Ländern zu setzen, ist daher nur konsequent. Denn es sieht ohnehin nicht gut aus für die Partnergruppen in der EVP-Fraktion. Die französischen Republikaner, einst die Partei um den ehemaligen Präsidenten Sarkozy, stecken in der Krise und dürften sich mit einem Ergebnis um die zehn Prozent halbieren und nur noch rund zehn Abgeordnete stellen. Ähnlich die italienische Forza Italia: Statt 17 Prozent dürfte sie etwa zehn Prozent bekommen, also statt 13 nur noch etwa 8 Abgeordnete.
So bleiben die kleineren Länder, von Griechenland und seiner Nea Dimokratia, wo Weber seinen Wahlkampfstart hin verlegt hatte, bis zur österreichischen ÖVP. Die ungarische Partei Fidesz von Berufs-Provokateur Viktor Orbán ist ja auf unbestimmte Zeit aus der Fraktion verbannt. Die Zahl der 217 Abgeordneten, die die EVP 2014 erreichte, liegt in weiter Ferne. Derzeit sieht es laut Umfragen nach etwa 170 bis 180 Abgeordneten aus. Wenig für eine Volkspartei, aber es könnte reichen für Weber.