Die größte Industriestadt Chinas bietet Besuchern sowohl beeindruckende Wolkenkratzer und eine pulsierende Innenstadt als auch Traditionelles aus der Ming-Dynastie.
Shanghai am Huangpu-Fluss ist ein Magnet – und das schon lange. Die günstige Lage nahe dem frostfreien Südchinesischem Meer machte die Stadt schon immer zu einem Handelszentrum nicht nur für die Chinesen.
Schon nach dem ersten Opiumkrieg von 1839 bis 1842, den die Briten und Franzosen gegen das chinesische Kaiserreich führten, erzwangen die Sieger im Vertrag von Nanking (1842) die Öffnung von Häfen und später die Niederlassungsfreiheit für ausländische Handelsfirmen. Alsbald zogen auch Europäer nach Shanghai. „Paris des Ostens" oder „Perle des Orients" nannten sie die Stadt.
Diese Bezeichnungen sind weitgehend passé, doch in Shanghai, das im Eiltempo zur größten Industriestadt Chinas wurde, ist nach wie vor die frühere Weltoffenheit zu spüren. Shanghai ist anders, ist lockerer als die übrigen Städte im Riesenreich. Nicht nur das Alte wird bewahrt, auch eine muntere Kunstszene hat sich etabliert. In Shanghai wollen die Chinesen gerne studieren und arbeiten.
Wie viele Menschen leben hier? „25 Millionen", sagt und lacht Gästeführerin Jane. Damit ist Shanghai die zweitgrößte Stadt Chinas und eine der größten Städte weltweit. Auch sie ist dorthin gezogen. Guide zu sein ist ihr Zwischenjob, Englisch-Lehrerin will sie werden, und das spricht sie schon perfekt.
Die Europäer nannten Shanghai „Paris des Ostens"
Am Hotel „Holiday Inn Shanghai Vista" in der Changshou Road setzt sie mich ab, gibt mir drinnen noch wichtige Infos und will mir am nächsten Tag die Stadt zeigen. Im Zimmer sitzt „lucky Rabbit" auf dem Bett, ein niedlicher Handtuchhase. Der muss aber noch warten, lieber gleich wieder raus ins pralle Leben.
Hochhäuser dominieren auch hier, im zentrumsnahen Putuo-Distrikt, das Stadtbild. Die 25 Millionen brauchen ja Wohn- und Arbeitsräume. Auf mich wirken die Hochbauten nicht erdrückend, einige in ihrer Farb- und Formgebung sogar erheiternd.
Genau genommen lassen die Hochbauten nicht nur Raum für den rasanten, aber zumeist verblüffend flüssigen Verkehr. Die breite Changshou Road besitzt sogar einen begrünten Mittelstreifen mit Palmen und bunten Blumenbeeten. Für Fußgänger, Händler und Shops bleibt auf den Gehwegen genügend Platz, für die vorsichtige Mama mit Kind auf einer Vespa ebenso wie für den Obststand und die zehnjährige Bude mit Gebratenem. Lachend zeigt die Verkäuferin das übliche V-Zeichen, als ich die Kamera hebe. Und nach Büroschluss füllen sich die Beauty-Läden. Viele Girls lassen sich schminken und frisieren, bevor sie abends ausgehen.
„When in Rome, do as the Romans do" (wenn du in Rom bist, mache es wie die Römer), wird mein Motto. Es ist schon dunkel, doch wie die Shanghaier gehe ich ohne Bedenken in ein simples Nudel-Lädchen in einer Seitenstraße. Die Besitzer sprechen kein Wort Englisch, also zeige ich auf das, was gerade ein Gast in der Schüssel hat. Für einen Minibetrag werde ich angenehm satt und beim Weg zurück ins Hotel auch nicht belästigt. Im Gegenteil, alle sind soweit möglich, hilfsbereit.
Auch tags darauf besuchen Jane und ich das, was die Shanghaier und die Besucher aus anderen Teilen Chinas lieben: den Yu Garden, die sanierten Kolonialzeit-Viertel und die Wolkenkratzer-Phalanx von Pudong.
Es ist Wochenende, und die Sonne lacht. Das passt bestens für einen Ausflug in den zwei Hektar großen Yu Garden (eigentlich Yu Yuan Garden). Chinesische Reisegruppen bevölkern bereits den Vorplatz, gebildet von dunklen Holzhäusern mit hübsch geschwungenen Dächern. Familien mit herausgeputzten Mädchen oder adrett gekleideten Jungs kommen in Scharen. Für die Kids sind die roten Glückskarpfen in den Teichen die Hauptattraktion. Erstaunlich, dass keines vor Begeisterung ins Wasser fällt.
Dieser Garten, den 1559 ein hoher Beamter der Ming-Dynastie für seine Eltern angelegt hatte, ist ein denkmalgeschütztes grünes Juwel, das die Stadtverwaltung nach aufwendiger Sanierung 1961 für die Bevölkerung öffnete. Yu bedeutet Gesundheit und Frieden, und dementsprechend verhalten sich die Chinesen. Fröhlich, aber achtsam spazieren Große und Kleine auf verschlungenen Wegen zu den historischen Hallen. Winzige Holzschnitt-Figuren zieren die Dächer, große hölzerne Drachen ringeln sich als Beschützer am Dachrand.
Beliebt ist auch die „Französische Konzession", ein Stadtteil, der von 1849 bis 1943 von den Franzosen verwaltet wurde. Im „Paulaner Bräuhaus", eröffnet 1997, zischen auch Chinesen ein Bier. Bayerisch-Deftiges liegt auf den Tellern. Die typischen weiß-blauen Tischdecken hängen jedoch zwecks Schonung über den Stuhllehnen.
In diesem Viertel finden sich auch noch die traditionellen Steintor-Häuser, Shikumen genannt, errichtet aus zumeist grauem Backstein mit roten Dekorationen, ein aparter chinesisch-europäischer Architektur-Mix. In einem Eckbau mit leuchtend roten Tympana über den dunklen Türen fand 1921 der erste Parteitag der Kommunisten statt.
Höchst pragmatisch hat die Stadtverwaltung auch die Kaufhäuser aus der Kolonialzeit in der Shoppingmeile Nanjing Road unter Schutz gestellt und ebenso die früheren Bank- und Versicherungsbauten an der berühmten Uferpromenade The Bund. Die werden nun von chinesischen Firmen genutzt.
Ein Skywalk in 340 Metern Höhe ist nur was für Mutige
Die Jugendstilperle, das 1929 eröffnete „Cathay Hotel", wurde nie angetastet. Selbst in kommunistischer Zeit blieb es unter dem Namen „Peace Hotel" eine besondere Bleibe. Nun gehört es als „Fairchild Peace Hotel" zu den feinsten Adressen. Eine Nobelherberge mit Aussicht auf den Huangpu-Fluss mit seiner pausenlosen Lastschiff-Parade und auf die Skyline von Pudong.
Die aber lässt sich beim Flanieren auf der gepflegten, 2,6 Kilometer langen Uferpromenade genauso bewundern. Als Shanghais Wahrzeichen gilt der schon 1995 eröffnete, „nur" 468 Meter messende Hotelturm „Oriental Pearl Tower" mit den beiden auffälligen Kugeln. Deutlich übertrumpft ihn jedoch der neue, 632 Meter hohe, in sich gedrehte „Shanghai Tower" – Chinas Nummer eins und das zweithöchste Bauwerk auf Erden.
Jane führt mich jedoch zum 420,5 Meter hohen Jin Mao Tower. Da er 88 Stockwerke hat – die Acht ist eine Glückszahl – und eine tolle Aussicht bietet, bleibt er ein Besuchermagnet. Das dicht mit roten Glückstäfelchen behangene Bäumchen auf der Aussichtsplattform beweist es.
Auch meines mit besten Wünschen für meine Familie hängt dort. Nur für den 60 Meter langen Skywalk in 340 Metern Höhe über dem Erdboden fehlt mir – trotz der obligatorischen Begleitung durch einen Guide – die Courage. Die fitte Jane hat diese Mutprobe bereits bestanden, eine Tafel mit den Schnellsten hängt an der Wand. Soweit geht mein „do as the Chinese do" (mache es wie die Chinesen) nun doch nicht. Der Blick durch die Fenster auf das „Wolkenkratzermeer" ist Kick genug.