Die Heilpraktikerin Margret Madejsky (53) hat sich auf Naturheilkunde für Frauen spezialisiert. Im Interview klärt sie über Fundorte von Heilkräutern, Anwendungen und Wirkungsweisen auf.
Frau Madejsky, wie haben Sie sich Ihr ganzes Wissen über Heilkräuter angeeignet?
Vor drei Jahrzehnten habe ich begonnen, mir viel Kräuterwissen anzulesen. Wir haben im Laufe der Jahrzehnte eine umfangreiche Bibliothek aufgebaut, und in den letzten Jahren sind sehr viele Studien zu Heilpflanzen veröffentlicht worden. Natürlich habe ich auch jede Möglichkeit zum Austausch mit anderen Kräuterexperten genutzt. Wichtig war mir jedoch immer, das Gelesene oder Gehörte in Selbstversuchen zu überprüfen. Denn der Arzt und Medizinreformator Paracelsus wies bereits darauf hin, dass den „papiernen Büchern nicht zu trauen ist". Durch Selbstversuche erfahre ich am besten, wie die Heilkräuter tatsächlich wirken. Während ich mein erstes Frauenkräuterbuch „Alchemilla" (Frauenmantel) geschrieben habe, probierte ich ein Jahr lang Frauenmantel in jeder erdenklichen Form aus. Nicht zuletzt ist auch das Studium der Pflanzen in der Natur hilfreich, um deren Wesen und Heilkraft kennenzulernen. Wer nicht alle Wissensquellen nutzt und nicht die Kraft der Heilpflanzen am eigenen Leib erfahren hat, kennt nur die Theorie, und die allein genügt mir nicht, um Empfehlungen auszusprechen.
Manche backen etwa auch Kuchen mit Wild- und Heilkräutern. Kann man denn die meisten Heilkräuter bedenkenlos pflücken und essen? Worauf muss man achten?
Seit einigen Jahren erfreut sich die Wildkräuterküche zunehmender Beliebtheit. Das ist auch in Ordnung und wichtig. Meine Eltern mussten sich zu Kriegszeiten vom Wegesrand ernähren, daher kannte diese Generation noch viele essbare Wildkräuter. Heute sollte man erst einmal mit erfahrenen Kräuterexperten auf Exkursion gehen und sich die Pflanzen zeigen lassen. Es gibt doch immer wieder Verwechslungen. Zum Beispiel wachsen Bärlauch und Aronstabblätter an den gleichen Plätzen und die jungen Blätter sind durchaus ähnlich. Beim Kerbel besteht Verwechslungsgefahr mit dem giftigen Schierling und anderen Doldenblütlern. Daher sollte man sich die essbaren Kräuter unbedingt auf Wildkräuterführungen zeigen lassen. Wenn man selbst sammelt, ist es sinnvoll, entsprechende Nachschlagewerke wie Botanikbücher oder Wildkräuterbücher zu benutzen. Auch darf und soll man nicht überall Wildkräuter ernten.
Wo genau findet man überhaupt Heilkräuter?
Das ist ähnlich wie beim Pilzesammeln. Jeder hat so seine Stellen, wo dieses oder jenes Kraut in ausreichender Menge vorkommt, sodass es beerntet werden kann. Einsteiger können auf Bio-Höfen nachfragen, ob sie gegen einen Obolus entlang der Feldwege und Waldränder Wildkräuter sammeln dürfen. Sonst ist das Sammeln auch nur an ungenutzten Flächen, zum Beispiel auf Brachfeldern oder in offenen Steinbrüchen, erlaubt. In jedem Fall sollte ein Abstand von mindestens 50 bis 100 Metern von Bahngleisen oder befahrenen Straßen eingehalten werden, denn die Pflanzen nehmen Schienenabrieb, Herbizide und Pestizide auf. Gedüngte oder gegüllte Wiesen und Felder sind natürlich völlig tabu.
Wie wendet man Heilkräuter an?
Die konkrete Anwendung von Heilkräutern hängt vom jeweiligen Kraut ab. Bärlauch oder Giersch entfalten ihre Kräfte bereits beim Essen. Mit Bärlauch-Pesto lassen sich Schwermetalle aus den Depots mobilisieren und Darmpilze bekämpfen. In Semmeln eingebackene Gierschblätter schmecken nicht nur köstlich, sondern sie leiten auch Harnsäure aus. Ähnlich der Löwenzahn, der ebenfalls heilkräftige Nahrung liefert. Frauenmantel, Schafgarbe und Co. sind dagegen beliebte Bestandteile von Frauentees. Aber jede Pflanze will ihre eigene Zubereitung. Da sind wiederum Bücher hilfreich. Die Herstellung von Tinkturen erfordert ebenfalls ein Grundwissen über Pflanzenwirkstoffe und Erfahrungen im Umgang mit den jeweiligen Kräutern. Ein Beispiel: Engelwurz sollte mit Handschuhen verarbeitet werden, da der Pflanzensaft – ähnlich wie Bärenklau – Brandblasen hervorrufen kann, die sich schlimmstenfalls mit Tetanusbakterien infizieren können. Inzwischen werden aber überall Heilkräuterkurse angeboten, in denen man all das lernen kann.
Sollte man Heilkräuter unterstützend zu klassischer Medizin einnehmen, oder ist das Kraut alleine manchmal ausreichend?
In vielen Fällen genügen Heilpflanzen, um etwa bakterielle Entzündungen, Krämpfe oder Schmerzen zu lindern oder um Blutungen zu drosseln, die Stimmung aufzuhellen oder die hormonelle Balance wiederherzustellen. Die Liste wäre endlos, wenn ich hier versuchen würde, die Kräuteranwendungen aufzuführen, die oftmals im Alleingang helfen. Kamille, Schafgarbe, Thymian und so weiter ersetzen oftmals Antibiotika, Cortison oder Schmerzmittel. Aber die Heilkräfte entfalten sich eben nur, wenn man die richtigen Kräuter in der richtigen Art zubereitet und in der richtigen Dosis anwendet. Nur Tee zu trinken, genügt leider nicht immer. Wer sich unsicher ist, sollte bei Heilpraktikern oder Naturheilärzten fachlichen Rat einholen.
Ansonsten besagen fast alle Studien – nur Johanniskraut ist davon ausgenommen! – dass pflanzliche Arzneien die Wirkung schulmedizinischer Medikamente verstärken, Resistenzen wie auch die Rückfallgefahr mindern. Zum Beispiel verstärkt Kaffee die Wirkung von Schmerzmitteln und Psychopharmaka, die Kapuzinerkresse verbessert die Wirkung von Antibiotika, und spezielle Zubereitungen aus dem einjährigen Beifuß (Artemisia annua) verstärken sogar die Wirkung von Chemotherapie bei ansonsten therapieresistentem Krebs.
In welcher Konzentration sollte man Heilkräuter einnehmen? Woran kann man sich hier orientieren?
Diese Frage lässt sich leider nicht pauschal beantworten. Einerseits wirken Arzneipflanzen unterschiedlich stark. Eine Kamille kann – wiederum in der richtigen Weise gebraucht – Antibiotika ersetzen oder Cortison reduzieren, aber dennoch ist sie so sanft und gut verträglich, dass man hier kaum überdosieren kann. Aber schon der Frauenmanteltee kann, wenn mehr als ein halber Liter davon getrunken wird, eine vorhandene Stuhlverstopfung deutlich verstärken. Heilkräuter wie Süßholz sollten nicht dauerhaft hochdosiert eingenommen werden, da sie zu Bluthochdruck und Wassereinlagerungen führen können. Nicht nur jedes Kraut hat seine Dosis, sondern auch jeder Mensch ist unterschiedlich empfindlich. Wo der eine die Tasse Kräutertee mit einem Esslöffel des getrockneten Krauts zubereitet, benötigt der andere nur einen Teelöffel. Das ist individuell. Orientierung bieten gute Bücher, Heilkräuterkurse und nicht zuletzt der eigene Körper. Viele Menschen spüren, was ihnen in welcher Dosierung gut tut. Man sollte also auch auf den Bauch hören – das erfordert jedoch ein bisschen Erfahrung und natürlich ein gutes Körpergefühl.
Gibt es außer Kamille noch andere Kräuter, die wie pflanzliche Antibiotika wirken?
Es gibt unendlich viele Pflanzen mit antibiotischem Potenzial. Allen voran die Kamille, deren Inhaltsstoff Chamazulen Bakterientoxine bindet und Eitererreger wie etwa Staphylo- oder Streptokokken im Wachstum hemmt. Hilfreich sind bei entzündeten Rachenmandeln, bei eitrigen Wunden oder bei Brustwarzenentzündung in der Stillzeit Spülungen oder Wundauflagen mit zehnprozentig verdünnten Kamillenextrakten. Knoblauch ist ebenfalls eine Art Breitbandantibiotikum aus dem Pflanzenreich. Die Kapuzinerkresse zeigte in Studien bei Blasenentzündungen den Antibiotika vergleichbare Effekte, doch in der Praxis muss auch hier die Dosis hoch genug sein, um ein Antibiotikum zu ersetzen. Aus der Birke gewonnene D-Mannose verordne ich gern in Kapselform, um ständigen Blasenentzündungen vorzubeugen. Heute weiß man, dass D-Mannose das Anhaften von Coli-Bakterien an die Schleimhäute der ableitenden Harnwege erschwert, sodass sich Antibiotika in vielen Fällen erübrigen. Es gibt auch pilzwachstumshemmende Kräuter wie etwa Lavendel, Salbei, Thymian oder andere Ätherisch-Öl-Drogen. Antiviral wirken beispielsweise Cistrose, stinkender Storchschnabel oder Thymian, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Ginseng und Ingwer gelten als Wundermittel. Was können sie alles bewirken?
Es gibt unzählige pflanzliche Wundermittel, zum Beispiel Safran oder Kurkuma und andere Gewürze. Der Frauenmantel heißt im Volksmund wegen seiner weitreichenden Heilkräfte „Allerfrauenheil". Zu den Vielheilern zählen auch Kamille, Melisse oder Schafgarbe. Aber Ginseng und Ingwer wurden eben besonders gründlich untersucht.
Ginseng zählt heute zu den Adaptogenen, das sind Arzneipflanzen, die uns stressresistenter machen. Die kurmäßige Einnahme steigert die körperliche Belastbarkeit wie auch die geistige Leistungsfähigkeit. Die Inhaltsstoffe wirken Blutzucker regulierend, hormonell ausgleichend und füllen das „Meer der Energie" auf, das bedeutet, dass Ginseng in der Traditionellen Chinesischen Medizin den Funktionskreis Nieren-Nebennieren stärkt. Kuren empfehlen sich für erschöpfte und ausgebrannte Frauen, die in der Menopause unter sinkender Belastbarkeit und nachlassender Merkfähigkeit leiden.
Ingwer ist in erster Linie erwärmend, darmstärkend und verdauungsfördernd, er wirkt zudem immunmodulierend, tumorwachstumshemmend und brechreizlindernd und trägt zur besseren Verträglichkeit einer Chemotherapie bei. Ferner kann Ingwertee bei Migräne hilfreich sein.
Warum werden in der Medizin nur so wenig Heilkräuter genutzt?
Die Kräuterheilkunde oder Phytotherapie ist eine eigene Disziplin. Nur wer sich jahrelang intensiv mit den Pflanzen befasst, wird damit auch heilen können. Dennoch verordnen viele Ärzte inzwischen immer häufiger Kapuzinerkresse statt Antibiotika oder Silberkerze statt Hormone.
Pflanzen begleiten den Menschen seit dem Anbeginn der Zeit. Sie liefern uns seit Urzeiten Nahrung und Arznei. In der Nachkriegszeit kamen jedoch chemisch definierte Arzneimittel wie etwa Antibiotika auf. Man dachte nun eine Wunderarznei gegen Infektionen aller Art gefunden zu haben. Im Lauf der Jahrzehnte stellte sich jedoch heraus, dass sich die chemisch-definierten Antibiotika wie Penizillin zwar leichter dosieren lassen als die Heilkräuter, aber mit deren regem Gebrauch traten auch immer mehr Nebenwirkungen und Folgeerscheinungen auf. Inzwischen nehmen die Resistenzen drastisch zu, und auch die Folgen für das darmassoziierte Immunsystem schrecken uns zunehmend. Jetzt sucht die Forschung wiederum im Pflanzenreich nach Wirkstoffen, die auch resistente Krankheitserreger wie etwa Staphylokokken in Schach halten können. Studien belegen, dass manche Pflanzen ähnlich stark wie ein Antibiotikum wirken – jedoch bei weit besserer Verträglichkeit. Wenn die pflanzlichen Arzneien hier intensiver genützt würden, könnten Antibiotika künftig den wirklich lebensbedrohlichen Infektionen vorbehalten bleiben.
Welche Studien zur Wirksamkeit von Heilkräutern gibt es?
Es gibt inzwischen zahlreiche Studien, welche die Heilkräfte der Arzneipflanzen oder ihrer isolierten Inhaltsstoffe belegen und die Wirkweise von Pflanzeninhaltsstoffen erforschen. Ich habe in den letzten zwei Jahren unzählige Studien gelesen, weil ich deren Ergebnisse in mein neues Frauenkräuterbuch, das „Praxishandbuch Frauenkräuter" integrieren wollte. Die Menschen, auch sogenannte medizinische Laien, müssen endlich erfahren, wie wirksam Heilpflanzen und pflanzliche Arzneien sind, und sie haben ein Recht darauf, an der Forschung teilzuhaben. Nach dem Motto „Wissen ist Macht" versuche ich, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in verständlicher Weise umzuformulieren. An die Pflanzenmedizin braucht man nicht zu glauben, man muss sie nur richtig anwenden, dann haben wir hochpotente Naturheilmittel. Inzwischen kann man sagen, dass fast alles, was unsere Großmütter über ihre Heil- und Küchenkräuter wussten, wissenschaftlich bestätigt werden konnte.
Medikamente mit Johanniskraut, Gingko oder Ginseng erfreuen sich großer Beliebtheit. Was wirkt effektiver: Das Medikament oder das pure Kraut?
Ob eine Pflanze, zum Beispiel gegessen oder als Tee getrunken, wirksamer ist als eine damit bereitete Tablette oder Kapsel, hängt wiederum vom jeweiligen Kraut ab. Bei Ingwer genügt es, wenn man etwa ein bis zwei Gramm davon kaut, um die positive Wirkung auf Magen-Darm und Immunsystem zu erzeugen. Bei Johanniskraut, Ginseng oder Silberkerze sowie bei vielen anderen Kräutern sind Spezialauszüge in Form von Tabletten oder Kapseln verabreicht leichter dosierbar, unkomplizierter in der kurmäßigen Einnahme und meiner Erfahrung nach auch wesentlich wirksamer. In den Tee gehen zudem nur wasserlösliche Pflanzeninhaltsstoffe über, wohingegen Spezialextrakte unter anderem auch die hormonartigen Kräfte befreien.
Haben die natürlichen Kräuter Vorteile im Vergleich zu Medikamenten?
Wie schon erwähnt zeichnen sich Heilpflanzen und pflanzliche Arzneien in der Regel durch ausgesprochen gute Verträglichkeit aus und haben den Studien zufolge meist sogar eine den schulmedizinischen Vergleichspräparaten ebenbürtige Wirkung. Johanniskraut und Safran können es mit so manchem Psychopharmakon aufnehmen. Kamille, Kapuzinerkresse und Ätherisch-Öl-Drogen wie Thymian können in vielen Fällen Antibiotika erübrigen. Kamille, Süßholz oder Weihrauch können oftmals Cortison ersetzen. Mit Spezialextrakten aus Rhapontikrhabarber- und Silberkerzenwurzel erzielt man ähnliche Effekte wie mit einer Hormonersatztherapie – jedoch ohne die gefürchteten Nebenwirkungen der echten Hormone! Nebenwirkungen und Folgeerkrankungen sind bei chemisch definierten Medikamenten in jedem Fall ein größeres Problem. Aber auch da tragen Pflanzen zur besseren Verträglichkeit bei und helfen im Zusammenspiel mit den schulmedizinischen Medikamenten, die Lebensqualität bei chronischen Krankheiten oder Krebs zu verbessern.