Früher stammten Nachrichten von Journalisten. Heute inszenieren sich Politiker und Parteien zunehmend durch eigene Meldungen. Ob die auf Fakten beruhen, ist schwer zu erkennen. Der Freiburger Parteienforscher Ulrich Eith sieht das als bedenkliche Entwicklung.
Professor Eith, immer mehr Parteien betreiben neuerdings eigene „Newsrooms", also eine Art Redaktion, um ihre Botschaften direkt unters Volk zu bringen. Wie ordnen Sie diese Entwicklung ein?
Es ist wie immer bei technischen Neuentwicklungen: Sobald sie für den Wahlkampf relevant sind, werden die Parteien sie auch nutzen – in der Hoffnung, neue Wählerschichten anzusprechen, aber auch aus Furcht, andernfalls als Partei von gestern gesehen zu werden.
Warum hat gerade die AfD diesen Trend ausgelöst?
Die AfD sieht sich in den sogenannten etablierten Medien nicht richtig dargestellt. Deshalb nutzt sie besonders intensiv die Möglichkeiten, über die sozialen Netzwerke ihre Positionen direkt und offensiv zu vertreten. Zudem kann man auf diese Weise sehr leicht und kostengünstig potenzielle Wählerinnen und Wähler interaktiv ansprechen. Manchmal gelingt sogar ein Dialog.
Echt? Gerade auf Facebook hat man doch eher den Eindruck, dass sich Gleichgesinnte immer wieder gegenseitig bestärken. Wo ist denn da der Dialog?
Alle Techniken haben Vor- und Nachteile. Ein Dialog kommt zustande, wenn beide Seiten dies auch wollen und zulassen. Es stimmt allerdings, häufig dominierten im Netz Respektlosigkeit und Aggression gegen Andersdenkende. Wenn dies zur Normalität wird, sind die Grundlagen unserer freiheitlich-pluralistischen Demokratie in Gefahr. Die Grünen sind ein Beispiel, dass es auch anders geht. Zur Entwicklung ihres neuen Grundsatzprogramms nutzen sie alle interaktiven Möglichkeiten zur kontroversen Diskussion, von den sozialen Medien bis hin zu traditionellen Versammlungen.
Und die AfD?
Da habe ich diese Bereitschaft bis jetzt nicht beobachtet.
Auch die SPD möchte nun einen eigenen Newsroom. Die CDU produziert bei ihren Werkstattgesprächen lieber eigene Videos, statt Journalisten zuzulassen. Wieso springen die anderen Parteien, die sonst immer die AfD kritisieren, auf diesen Zug auf?
Stellen Sie sich vor, eine Partei würde im Wahlkampf plötzlich auf Plakate verzichten – undenkbar. Wahlkämpfer werden immer alle verfügbaren Medien und Techniken nutzen. Aus ihrer Sicht haben die interaktiven Medien allerdings den Nachteil, dass potenziell Interessierte immer noch selbst aktiv werden müssen, um mit den Parteien in den Dialog zu treten.
Besteht dann nicht die Gefahr, dass Inhalte noch mehr zugespitzt werden, um die Leute zu begeistern?
Sicher, aber das ist keine neue Entwicklung. Wahlkämpfe richten sich schon immer an politisch weniger informierte Kreise, sollen die Aufmerksamkeit auf die bevorstehenden Wahlen lenken. Da wurde schon immer zugespitzt. Das hat mit Newsrooms und neuer Technik nichts zu tun.
Auch andere Behörden, zum Beispiel die Polizei, produzieren in den sozialen Netzwerken zunehmend ihre eigenen „Nachrichten". Behindert das die Pressefreiheit?
Die Pressefreiheit sehe ich nicht in Gefahr, problematischer ist die Frage der Verlässlichkeit der Informationen. Im herkömmlichen Journalismus ist ein Kommentar als Kommentar gekennzeichnet. Wenn Politiker oder Behörden ihre eigenen Botschaften verbreiten, ist die Trennung von Meldung und Kommentar nicht immer erkennbar. Professioneller Journalismus beruht auf Berufsnormen. Nachrichten müssen überprüfbar, Kommentierungen erkennbar sein. Darauf kann ich mich in den sozialen Netzwerken nicht immer verlassen.
Aber hat es nicht schon immer einen Unterschied gemacht, ob man die „Taz" oder die „Bild" liest? Auch bei den traditionellen Medien stecken doch verschiedene Weltsichten dahinter.
Es geht nicht um die politische Sicht der Dinge, sondern darum, ob Fakten wirklich Fakten sind. Als Nutzer im Internet habe ich doch gar keine Kriterien mehr, um festzustellen, wie seriös eine Nachricht ist. Jeder beharrt auf seiner Position, ein politischer Dialog wird zunehmend unmöglich, und wir verlernen die Fähigkeit, konstruktiv politisch zu streiten. Sogar der amerikanische Präsident bezeichnet Fakten, die ihm nicht ins Konzept passen, als Fake News.
Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen spricht von einer „Hochrüstung im Inszenierungsgeschäft". Wie sehen Sie das?
Wenn die Filterfunktion des professionellen Journalismus ausgehebelt wird, dann bleibt das natürlich nicht ohne Konsequenzen. Zunehmend bestimmen Algorithmen, was wir im Netz lesen. Dadurch kann man leicht in eine Blase geraten, in der immer nur das eigene Weltbild bestätigt wird. Das ist eine gefährlich einseitige Verkürzung der komplexen Realität.
Aber wie groß ist am Ende der Einfluss auf die Meinungsbildung? Gucken die Wähler bald nur noch „AfD-TV" oder „SPD-TV"? Oder besinnen sie sich auf ARD und ZDF?
Das hängt sehr stark vom politischen Interesse des Einzelnen ab. Im Netz finden sich zu allen Positionen auch die entsprechenden Gegenpositionen, Verschwörungstheorien, einseitig verkürzte Darstellungen etc. Der Nachteil ist, man muss in der Regel aktiv danach suchen und verliert am Ende möglicherweise das Gefühl, wahr und falsch unterscheiden zu können. Es droht ein Verlust der Orientierung.
Politische Selbstinszenierung gibt es nicht nur im Bundestag. In Freiburg dreht der Oberbürgermeister eigene Facebook-Videos und veranstaltet Online-Sprechstunden. Ist das nun ein Trend zu mehr Demokratie oder das Gegenteil, nämlich Propaganda?
Nichts spricht gegen Online-Sprechstunden. Viele Leute haben tagsüber gar keine Zeit, ins Rathaus zu gehen. Sie werden solche Angebote dankbar annehmen. Bei den Selbstdarstellungen von Politikern im Netz kommt es ganz auf den Einzelfall an.
Was wäre denn eine gute Strategie, versteckte Botschaften zu durchschauen?
Da gibt es vor allem den einen Rat, sich breitestmöglich zu informieren, immer auch aus journalistischen Medien. Das ist aufwendig und zeitintensiv, aber die beste Chance, sich eine eigene Meinung zu bilden und sich nicht vereinnahmen zu lassen.
In den USA ist die politische Inszenierung traditionell deutlich weiter als bei uns. Wohin wird die Reise in Deutschland noch gehen?
Was meinen Sie? Prinzipielle Unterschiede sehe ich da nicht.
Sie haben doch Trump selbst angesprochen. Ein gewählter Präsident, der Journalisten attackiert – so was gibt es doch bei uns noch nicht.
Das ist richtig. Trump ist nun mal Populist und handelt wie auch die europäischen Populisten. Wir haben bislang keine Populisten in der Regierung. Und das wird, zumindest auf Bundesebene, wohl auch so bleiben.
Laut einem Bericht des Nachrichtensenders NTV ist der groß angekündigte Newsroom der AfD bislang nur ein „großer leerer Raum". Ist also doch gar nicht alles so schlimm?
Die AfD konnte bei den vergangenen Wahlkämpfen über diese Medien ganz gezielt punkten. Da war sie den anderen Parteien mit ihrer Strategie meilenweit voraus. Insofern sollte man diese Entwicklungen aufmerksam verfolgen –
auch wenn die Partei momentan wegen ihrer Spendenaffäre genügend andere Probleme hat.
Langfristig gesehen: Wenn Parteien, Behörden und Politiker immer mehr eigene „Wahrheiten" verbreiten, wie gefährlich ist das für die Demokratie?
Es muss uns gelingen, auch in den neuen Medien einen demokratischen Diskurs zu etablieren. Die freiheitliche Demokratie lebt von der Diskussion um die beste Entscheidung. Sie lebt vom Respekt gegenüber anderen Meinungen, auch wenn diese den eigenen Vorstellungen völlig widersprechen. Jeder Lebensstil hat seine Berechtigung, sofern er sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegt. Wenn Verschwörungstheorien, Lügenpresse-Vorwürfe und verbale Aggression zur Normalität werden, dann bekommen wir ein echtes Problem. So weit sind wir aber zum Glück noch nicht.