Der Brexit ist verschoben, und Nigel Farage mischt einmal mehr den Wahlkampf auf. Wo Europa drauf steht, wird die Wahl in UK eine Abrechnung mit der aktuellen Politik.
Er ist ein begnadeter Redner. Darüber herrscht zumindest Einigkeit. Ansonsten reizt Nigel Farage dazu, die Menschen in glühende Anhänger oder vehemente Gegner zu spalten. Die Zahl der Anhänger könnte sogar reichen, um bei der Europawahl seine neue „Brexit Party" zur stärksten politischen Kraft werden zu lassen. Nicht, weil die Briten kraftvoll das damals knappe Votum im Juni 2016 untermauern wollen. Farages neue Partei wird, glaubt man Umfragen, in erster Linie vom Bild profitieren, das zuerst die Regierung, und in den letzten Monaten das gesamte Parlament abgeliefert haben. Womöglich noch stärker als in anderen europäischen Ländern könnte die Europawahl in Großbritannien davon geprägt werden, der politischen Führung des Landes nicht nur einen Denkzettel, sondern eine klare Abfuhr zu erteilen.
Es mutet wie ein Déjà-vu-Erlebnis an. Im Vereinigten Königreich könnten erneut Populisten Stimmen einsammeln, weil weder Regierung noch derzeitige Opposition in der Lage waren und sind, Entscheidungen durchzusetzen. Konnte man noch nach dem Referendum vor knapp drei Jahren konstatieren, viele Wähler seien unkritisch nicht haltbaren Versprechungen auf den Leim gegangen, andere wiederum wären der Abstimmung ferngeblieben, weil sie ein Pro-Austritts-Votum für zu unvorstellbar hielten, gilt beides jetzt nicht mehr.
Wenn die unsäglichen Debatten der letzten Monate eines bewirkt haben sollten, dann, dass die Dimension und Folgen eines Brexit jedem klar sein müssen. Nicht umsonst setzten etliche auf ein neues Referendum angesichts der inzwischen bekannten Tatsachen, natürlich in der Erwartung, es werde anders ausgehen als an jenem 23. Juni 2016.
Farages Mission: Antreten zum Austritt
Allerdings hatte bislang auch Labour mit Jeremy Corbyn nicht die Kraft, sich klar dafür auszusprechen, den Briten unter den veränderten Voraussetzungen die Frage noch einmal vorzulegen.
Man müsse den erklärten Willen des Volkes umsetzen, hieß es immer wieder in den nicht enden wollenden Unterhausdebatten. Die Zurückhaltung mag auch mit der Unsicherheit zu tun haben, wie denn ein neues Votum ausgefallen wäre. Denn dass das die Brexiteers gestoppt hätte, ist keineswegs sicher.
Nigel Farage war nur wenige Tage nach dem Brexit-Votum als Chef der UKIP (UK Independent Party) zurückgetreten. „Mission erfüllt", so die Botschaft damals. Anfang dieses Jahres verkündete er, es sei an der Zeit, „der politischen Klasse in Westminister eine Lektion zu erteilen".
„Mr. Brexit" ist zurück und sammelt vor allem die ein, die Theresa May als „Verräterin" ansehen, weil sie keinen Brexit zustande brachte. Und das sind nicht wenige, die Farages rhetorischem Feuerwerk mehr Glauben schenken wollen als denen der politischen Eliten von Tories und Labour, die selbst nach dem Denkzettel bei den jüngsten Kommunalwahlen nicht in der Lage waren, einen Kurs zu finden.
Dass die Briten überhaupt an der Europawahl teilnehmen, ist der Verschiebung des Austrittsdatums auf Ende Oktober geschuldet. Der Rest Europas wollte sich bei aller Verärgerung über Theresa Mays Auftreten nicht die Schuld zuweisen lassen, den Briten nicht alle Chancen der Welt eingeräumt zu haben. Im Ergebnis wird Europa nun damit klar kommen müssen, dass nicht nur Abgeordnete auf Zeit im Parlament sitzen, das auch noch in einer Phase, in der mit zentralen Personalentscheidungen Weichen für Europa gestellt werden, sondern auch vermutlich mehrheitlich mit Europa gar nichts am Hut haben wollen.
Auf die große Frage, wie damit nach dem 27. Mai in Brüssel und Straßburg umzugehen ist, gibt es zwar eine Reihe von Planspielen, aber bislang noch keine überzeugende Antwort.