Die Musikszene steht auf Europa – so viel ist sicher. Von U2 bis Jürgen Drews setzen viele prominente Stars auf die EU, den Binnenmarkt und Zollfreiheit. Denn auch für die Künstler würde es im Falle von neuen Schlagbäumen schwieriger.
Das hat noch keine Rockband gemacht: Immer, wenn U2 im vergangenen Jahr auf der Experience-and-Innocence-Tour das Lied „New Year’s Day" anstimmte, erschien auf der hochauflösenden LED-Bühnenleinwand eine überdimensionale Europaflagge. Eine Aktion, die weit mehr war als eine bloße Showaktion. Für Sänger und Bandleader Bono (53) war das eine Herzensangelegenheit: „Die Idee von Europa verdient es, dass Lieder darüber geschrieben und leuchtend blaue Flaggen geschwenkt werden."
Mit dem ungewöhnlichen Showelement hatte Bono (Welthit: „One") das blaue Tuch mit den gelben Sternen für seine Anhänger quasi „geweiht". Es war nicht die erste politische Tat des weltweit verehrten Iren, denn der U2-Frontmann setzt sich seit Jahren für weltweite Verständigung und Gerechtigkeit ein. Nun zieht der patriotische Ire auch dagegen zu Felde, dass der Brexit der Nachbarinsel Großbritannien womöglich seine Heimat Irland zerteilt.
Dass sich Künstler aus der Popszene proeuropäisch äußern, ist nachvollziehbar. Kaum eine andere Berufsgruppe überschreitet so oft nationale Grenzen. Auf der durch den Brexit isolationsbedrohten Insel Großbritannien ist Kontinentaleuropa das wichtigste Geschäftsgebiet für Sänger, Musiker und Veranstalter. Ihr Publikum lebt zu Millionen in den 27 anderen EU-Ländern. Im einheitlichen Binnenmarkt dort ist alles komplikationslos zu organisieren – Tourneen, Liedverkäufe, Merchandising.
Laut Musiker-Verband „Incorporated Society of Music" reist fast jeder zweite britische Künstler mehrmals jährlich zu Auftritten nach Kontinentaleuropa. Neue Schlagbäume würden vieles für viele Künstler futsch machen. Bühnenequipment müsste dem Zoll gemeldet werden. Tourbegleiter (Roadies) hätten Anträge auf Arbeitserlaubnis zu stellen. Und in jedem Land wären Steuern für den Ticketverkauf etc. fällig.
„Die Öffentlichkeit ist in Sachen Brexit belogen worden," schimpft Rod Stewart. „Wenn es nach mir ginge, würde ich auf jeden Fall ein zweites Referendum ansetzen." Die 73-jährige Londoner Reibeisenstimme des Rock und Pop („Da Ya Think I’m Sexy") hat mehr als 150 Millionen Tonträger verkauft. Steward ist damit einer der erfolgreichsten britischen Sänger und verdankt das wesentlich dem EU-Binnenmarkt.
„Junge Europäer müssen handeln"
Auch in Deutschland ist das Popbusiness durchweg proeuropäisch gestimmt. So wie Campino (56), der Chef der Düsseldorfer Band „Die Toten Hosen". Zusammen mit dem 32-jährigen russisch-deutschen Klassikpianisten Igor Levit und Ex-Fußballnationaltorwart Jens Lehmann (49) unterzeichnete er einen emotionalen „Brief an Großbritannien". Auszug: „Bitte! Stoppt den Brexit und bleibt bei uns."
Auch nicht zu schade, sich als Anhänger des europäischen Gedankens zu outen, ist sich Mickie Krause, der erfolgreiche deutsche Party-Sänger, der bürgerlich Michael Engels heißt. „Bei der Europawahl kann ich mitentscheiden, wer unsere Gesetze macht, und das möchte ich nicht Populisten und EU-Gegnern überlassen," gab der 48-jährige Krause einer Zeitung zu Protokoll.
Ähnlich sieht es Krauses heftigster Konkurrent Jürgen Drews. „Jeder, der nicht wählen geht, wählt das Falsche und darf sich nicht beschweren," meint der ungekrönte und schon 74 Jahre alte König von Mallorca. Sein Rat: „Geht wählen, ich tue es auch! Europa wächst zusammen, Brexit hin, Brexit her."
TV-Star Klaas Heufer-Umlauf fiel schon vor zwei Jahren durch eine flammende Rede für Europa auf. In der NDR-Talkshow redete sich der Bandleader und „Circus Halli Galli"-Macher in Rage. Die jungen Europäer müssten jetzt handeln, forderte der 35-Jährige: „Weg von den verdammten Nationalitäten und zurück zur europäischen Identität; wenn wir Europa kaputt machen, sind wir die dümmste Generation, die je gelebt hat."
Eine originelle Pro-Europa-Aktion startete die preisgekrönte österreichische Band „Bilderbuch". Das Video zum Lied „Europa 22" zeigt zu flockigen Klängen elf Minuten lang nichts anderes als einen sich drehenden Europa-Ausweis (den es nicht gibt). Parallel kann sich jeder online ein personalisiertes Reisedokument basteln und online stellen – mit großer Resonanz in sozialen Netzwerken. „Bilderbuch" träumt in „Europa 22": „Ein Leben ohne Grenzen. Eine Freedom zu verschenken. Eine Freiheit, nicht zu denken. I better open my eyes …"