Prachtbauten, malerische Plätze und etliche Sehenswürdigkeiten – Den Haag hat viel zu bieten. Und in wenigen Minuten ist man am Nordseestrand.
König Willem-Alexander, stellen wir uns vor, hat genug vom Arbeiten. Er erhebt sich vom Schreibtisch, geht ein paar Schritte und schaut zum Fenster hinaus. Es ist ein guter Tag, draußen scheint die Sonne. Sein Blick fällt auf das Reiterdenkmal seines Vorfahren: Prinz Wilhelm I. von Oranien-Nassau, der auch „Der Schweiger" genannt wurde und der in Goethes Drama „Egmont" eine wichtige Rolle spielt. Sein Blick fällt auf die Flaneure und Radfahrer, die an seinem Amts- und Arbeitssitz, dem klassizistischen Paleis Noordeinde, vorbeiziehen. Untertanen, wenn man so will. Davon gibt es eine ganze Menge im Land. Etwas mehr als 17 Millionen.
Den Haag steckt voller Geschichten und Fantasien. Und manches im niederländischen Regierungssitz mutet an wie aus einer Zauberwelt. Da gibt es zum Beispiel die Stadt ohne Menschen: Madurodam. Dann den Geheimgang, der den Park von Paleis Noordeinde mit der Molenstraat verbindet. Außerdem ein weithin sichtbares und ehrfurchtgebietendes Gebäude, das vor allem in der Dämmerung mit einer mächtigen Silhouette die Menschen in Bann zieht.
„Sieht aus wie Hogwarts", ruft uns Zoe entgegen, während sie von ihrem „Fiets" steigt. „Absolut!" findet auch Katja, die jetzt ebenfalls stoppt, um sich das Haus, das an das berüchtigte Zauberinternat aus Harry Potter erinnert, aus der Nähe anzusehen.
Aber was verbirgt sich wirklich hinter der Monumentalität des Neorenaissancebaus? Der 1913 mithilfe des US-Industriellen Andrew Carnegie fertiggestellte Vredespaleis (Friedenspalast), besser bekannt als Internationaler Gerichtshof der Vereinten Nationen. Seine Aufgabe: Streitigkeiten zwischen Staaten beilegen – was in der Regel gelingt. Aber nichtsausnahmslos. Einige Länder weigern sich, die Urteile des IHG anzuerkennen.
Den Haag hat eine Menge zu bieten. Etliche Sehenswürdigkeiten. Malerische Plätze. Ruhige Gassen. Vortreffliche Cafés. Und Fahrradwege. Deshalb gibt es für unsere kleine Gruppe auch keine zwei Meinungen: rauf aufs Rad (Fiets) und los! Zwar ist die Stadt überschaubar, aber ein paar Kilometer kommen schon zusammen. Lia, die in Rotterdam geboren wurde und jetzt in Berlin lebt, will unbedingt ans Meer, nach Scheveningen: „Das erinnert mich an meine Kindheit."
Top-Museen für Kunstliebhaber
In den Niederlanden ist der Nordseestrand mit dem mondänen Kurhaus eine Institution. Man muss da gewesen sein. Dabei hat sich das Aussehen stark verändert, ist die Urbanisierung hier stark vorangeschritten. Heute regieren der Pier und der Spaß, und sie lockt die Massen. Wer den besonderen Kick braucht, lässt sich in die Tiefe fallen, vom Bungee-Turm am äußersten Ende des Piers, wo sich auch ein Riesenrad befindet und eine Seilrutsche. Oder er geht Kite-Surfen.
Danach pfeift man sich, wenn man Lust hat, und viele haben Lust, Fritten rein. Oder gönnt sich, denn auch das hat Tradition, weiß Lia, „een echt lekkere Vleeskroket". Eine kulinarische und heiße Besonderheit, die man sich sogar, wie auch die Frikandellen, in den Niederlanden an vielen Automaten ziehen kann.
Wie idyllisch Scheveningen einst war, ein Fischerdorf mit Dünen, mehr nicht – auch das lässt sich umspannend nacherleben: im Museum Mesdag mit dem 1881 fertiggestellten 360°-Panoramagemälde des Malers Hendrik Willem Mesdag.
Von der Nordsee zurück in die Innenstadt. Unterwegs machen wir Halt in Madurodam. Lia hatte uns gewarnt: „Es ist bei Weitem nicht so groß wie Lego- oder Disneyland, aber die Holländer lieben es, vor allem die Kinder." Madurodam ist eine Miniaturstadt mit den wichtigsten Nachbauten der zwölf Provinzen Hollands.
Alles, was man irgendwie mit dem Land assoziiert, hier findet man es im Maßstab 1:25: den Vredespaleis, den Binnenhof, die Windmühlen, Grachten, den Tulpengarten Keukenhof. Und damit das Ganze auch richtig gut ankommt, sind viele Szenen interaktiv. So drehen sich am Flughafen Schiphol Jumbos im Kreise. Und am Seehafen Rotterdam fängt plötzlich ein Frachter Feuer und muss von den Besuchern gelöscht werden.
Wir schwingen uns wieder aufs Fiets. Jetzt sind zwei Top-Museen in der Altstadt an der Reihe. Zunächst der Escher Paleis an der l-förmigen Allee Lange Voorhout. Wieder ein Haus mit einer bewegten Geschichte und, abgefahren, „unsichtbaren Treppenhäusern". Dazu passt die Dauerausstellung des Grafikers M. C. Escher (1898–1972), der mit seiner Kunst und den paradoxen Perspektiven individuelle Wahrnehmungen auf den Kopf stellte. So zum Beispiel in seiner Lithografie „Wasserfall", in der das Wasser zeitgleich hinab- als auch hinauffließt.
Vom Escher Paleis ist es nur ein Katzensprung zum Mauritshuis. Das Kunstmuseum, das die Besucher vom Keller aus betreten, beherbergt weltberühmte Gemälde, unter anderem des Goldenen Zeitalters. Jan Brueghel ist zu nennen. Und natürlich, im Jubiläumsjahr, Rembrandt (1606–1669).
Viele aber zieht es wegen Jan Vermeer (1632–1675) ins Mauritshuis. Wegen seines Gemäldes „Das Mädchen mit dem Perlenohrring". Oder wegen seiner Darstellung des an Den Haag angrenzenden Delft. Ein sattes Spiel mit Licht und Schatten. Zudem selten, weil es nur eine von zwei erhaltenen Außenansichten Vanmeers ist.
Beim Verlassen des Museums fällt Katja das moderne Den Haag auf. „Über weite Teile", meint sie, „schmiegt sich die Stadt flach ans Meer, und hier wird’s plötzlich protzig." Gemeint sind die Hochhäuser in der Nähe des Hauptbahnhofes. Am markantesten dabei sind die zwei Häuser des Ministeriums mit überdimensioniertem Doppelgiebel. Eine Reminiszenz, so dachte sich das der Architekt, an alte niederländische Kanalhäuser. Die Niederländer aber dachten anders und gaben dem Gebäude den Namen „Titten Den Haags".
Am Prinzentag fährt der König in einer goldenen Kutsche durch die Stadt
Aber weg vom Frivolen, bleiben wir historisch. Nur wenige Schritte vom Mauritshuis und eine Tordurchquerung entfernt, findet sich die bestechendste Sehenswürdigkeit, die die Stadt zu bieten hat: der Binnenhof. Das Gebäudeensemble aus dem Mittelalter gilt als das Herzstück des niederländischen Parlaments.
Und seine Bedeutung zeigt sich jedes Jahr am dritten Dienstag im September. Am sogenannten Prinsjesdag (Prinzentag) schaut König Willem-Alexander nicht zum Fenster raus.
An diesem Tag wartet eine goldene Kutsche auf den Regenten am Paleis Noordeinde. Mit dieser fährt der Monarch dann unter allerlei Tamtam vorbei am winkenden Volk zum Binnenhof und verliest dort im festlichen Rittersaal gemäß der niederländischen Verfassung Ziele und Aufgaben der Politik für das kommende Jahr.