Nach einem Party-Marathon laufen bei Union Berlin bereits die Planungen für die Mission Klassenerhalt. Der Club setzt dabei vor allem auf seine tollen Fans – aber nicht nur.
Eine wilde Partynacht mit Weißwein und Ballermann-Hits bis fünf Uhr morgens war an Urs Fischer nicht ganz spurlos vorbeigegangen. Der Schweizer sah etwas müde aus, als er sich einen Tag nach dem Aufstieg von Union Berlin nochmals den Fragen der Journalisten stellte. Seine Stimme war heiser, doch in seinen Augen lag dieses Funkeln, wenn er über die anstehende Bundesligasaison sprach.
„Ich freue mich ehrlich gesagt schon auf den Trainingsstart", sagte Fischer, „dann sind die Ferien vorbei, dann bist du wieder hungrig." Natürlich hätten vor allem die letzten Monate mit dem unglücklichen Ligafinale und der nervenaufreibenden Relegation gegen den VfB Stuttgart „an der Substanz gezehrt", aber jetzt könne er ja abschalten und neue Kraft tanken.
Und die werden Fischer und die anderen Aufstiegshelden benötigen, denn der Bundesliga-Neuling ist neben Mitaufsteiger SC Paderborn der größte Abstiegskandidat, wenn am Wochenende zwischen dem 16. und 18. August in der höchsten deutschen Spielklasse wieder der Ball rollt. Und zwar zum Auftakt mit einem Heimspiel für Union, das hat DFL-Geschäftsführer Christian Seifert dem Club-Boss Dirk Zingler bereits versichert.
„Es wird eine Herausforderung für uns werden", sagt Fischer und weist auf die zum Teil großen Etat-Unterschiede selbst zu Mittelklasseclubs wie dem FC Augsburg, Fortuna Düsseldorf oder Mainz 05 hin. Union wird sein derzeitiges Budget dank deutlich größerer TV-Einnahmen auf knapp 80 Millionen Euro zwar verdoppeln. Doch hier dürften die Eisernen nur einen Abstiegsplatz einnehmen. Zum Vergleich: Hertha BSC plant mit 140 Millionen Euro.
Apropos Hertha. Der Rivale aus der Hauptstadt war einer der ersten Gratulanten auf Twitter – wenn auch mit einem schnippischen Spruch. Man freue sich jetzt schon „auf 6 Punkte", schrieb der Club. Union freut sich vor allem auf die Stimmung im ausverkauften Olympiastadion und in der Alten Försterei. „Ich habe als Spieler und Trainer Derbys in Zürich erlebt, zwischen dem FC und Grasshoppers", sagte Fischer: „Das kannst du nicht toppen, Derbys sind Derbys."
„Es wird eine Herausforderung"
Hertha ist zwar kein Feindbild der Unioner, das ist nach wie vor BFC Dynamo. Doch die direkten Duelle in der Zweiten Liga haben gezeigt, dass auch hier viel Brisanz steckt. „Union gegen Hertha, erste Liga – wow, megageil", sagte Union-Ikone Torsten Mattuschka: „Da freue ich mich jetzt schon drauf wie ein kleines Kind."
Union wird in beiden Duellen der Außenseiter sein, genau wie gegen fast alle anderen Gegner auch. Den Unterschied an spielerischer Klasse könne man „mit guter Organisation, Kompaktheit und Solidarität kompensieren", glaubt Fischer. Diese Fähigkeiten hat das Team in der Aufstiegssaison gezeigt, vor allem im Saisonfinale. Doch das allein, das weiß auch Fischer, wird eine Liga höher nicht reichen. Es gebe „noch Potenzial und Möglichkeiten, in Drucksituationen auch mal spielerische Lösungen zu haben", sagte der Trainer.
Der lange Ball kommt zwar nicht auf den Index, aber er soll kein Automatismus sein. Union nimmt sich dabei Fortuna Düsseldorf zum Vorbild, vor allem was das Umschaltspiel betrifft. Das Problem ist nur: Dafür hatte der Vorjahres-Aufsteiger pfeilschnelle Angreifer wie Dodi Lukebakio und Benito Raman in seinen Reihen. Spieler dieser Qualität sucht man im Kader der Berliner vergeblich.
Als Neuverpflichtungen standen direkt nach dem Aufstieg lediglich Julius Kade (19 Jahre/Hertha) und Florian Flecker (23/Hartberg) fest. Auch in der Bundesliga weicht der Verein nicht von seiner Maxime ab, Spieler zu verpflichten, die bereit sind, in der Ersten und Zweiten Liga zu spielen. Das ist planungssicherer, schreckt begehrte Spieler aber ab. So ist es keine Überraschung, dass Geschäftsführer Oliver Ruhnert die Aufstiegsmannschaft im Kern zusammenhalten will: „Die Jungs werden nicht komplett ausgetauscht. Wir vertrauen ihnen."
Doch nicht alle wird Ruhnert halten können. Der von der TSG ausgeliehene Österreicher Robert Zulj, der erheblichen Anteil am Aufstieg hatte, fühlt sich in der Alten Försterei zwar pudelwohl, er ist aber auch einer der Spieler, von denen Ruhnert sagt: „Sie haben andere Optionen."
Union, das sich gern kommerzkritisch präsentiert und das Image des unangepassten Underdogs pflegt, kann finanziell nicht mit den anderen Bundesligisten mithalten. Doch wenn es nur nach dem Geld gehen würde, hätte sich der VfB Stuttgart mit einem Spieleretat von 60 Millionen locker gegen die Berliner (15) durchgesetzt.
Das größte Plus der Unioner ist ohnehin keine Zahl auf dem Bankkonto, sondern die Alte Försterei. Besser gesagt die Fans, die das Stadion an der Wuhlheide mit Leben füllen. „Positiv bekloppte Menschen – ein kranker Haufen, sage ich immer. Die gehen zu jedem Heimspiel, würden für Union ihr letztes Hemd geben und haben es auch schon getan", schwärmte Ex-Kapitän Mattuschka.
Blut spenden, um Club zu helfen
Zahlreiche Fans haben 2004 sogar kollektiv Blut gespendet und das Geld dem damals klammen Club gegeben. Sie haben das Stadion mit eigenen Händen modernisiert. Dass Union über die Stadtgrenzen hinaus als „Kult-Club" wahrgenommen wird, hat er seinen Anhängern zu verdanken.
Der Aufstieg macht Union vor allem für die im Stadtkern lebenden Berliner, um die Hertha seit Jahren mit einem aggressiven Marketing kämpft, noch interessanter. Ein geplanter Ausbau der Stadion-Kapazität von derzeit 22.000 auf 37.000 Zuschauer wird im Bundesligajahr aber nicht beginnen, man will die Mission Klassenerhalt auf keiner Baustelle bestreiten.
„Vielleicht hilft uns diese Enge, diese Nähe, diese Kompaktheit auch. Es wird für alle ein Brett werden, hierherzukommen", so Zingler. Der Präsident, der seit 2004 ununterbrochen an der Spitze des Vereins steht, setzt voll auf die Heimstärke, die auch für Topteams wie Bayern München oder Borussia Dortmund gefährlich werden könnte.
Union aber nur auf seine tollen Fans zu reduzieren, wäre ein Fehler. „Das Präsidium hat in den vergangenen zehn Jahren dafür gesorgt, dass der Verein in der Zweiten Liga war und unglaublich gewachsen ist", sagt Geschäftsführer und Kaderplaner Ruhner: „Die Bedingungen sind schon erstligareif."
Zingler nimmt das Lob gern entgegen, er sagt aber auch: „Wir müssen demütig bleiben." Es gibt viele warnende Beispiele von Clubs, die nach einem Jahr in der Beletage des deutschen Fußballs abgestiegen sind und dann nach unten durchgereicht wurden, weil sie sich finanziell verhoben hatten. Diesen Fehler will der 56. Verein der Bundesliga nicht begehen. „Wir wissen, was wir uns erlauben können", sagt Ruhnert.