Der VfB Stuttgart ist zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren aus der Fußball-Bundesliga abgestiegen. Der Absturz ist vor allem das Ergebnis von Selbstüberschätzung.
Felix Magath hatte eine böse Vorahnung. „Nachdem man im Januar immer noch darüber geredet hat, oben anschließen zu können, habe ich im Stillen schon befürchtet, dass dies nach hinten losgehen kann", sagte Magath. Der spätere Meister-Trainer des FC Bayern und von Wolfsburg hatte die Schwaben von 2001 bis 2004 trainiert, war mit den „jungen Wilden" 2003 Vize-Meister geworden, hatte in der Champions League in einem unvergesslichen Spiel 2:1 gegen Manchester United gewonnen und Stars wie Philipp Lahm und Mario Gomez zu ihren Bundesliga-Debüts verholfen. Von diesen Zeiten, wie auch vom Meistertitel 2007, reden sie im Schwabenland immer noch gern. Und obwohl der Schwabe allgemein als „Bruddler" bekannt ist, der Dinge gern skeptisch sieht, glauben sie beim VfB immer daran, dass solche Zeiten bald wieder kommen. Und dass jede noch so große Delle nur eine kleine Schwächephase ist.
Weil dies statt der Fans zuletzt vor allem die Entscheidungs-Träger beim VfB glaubten und so die Augen vor gravierenden Fehlentwicklungen verschlossen, ist der zweite Abstieg in die 2. Bundesliga in den vergangenen drei Jahren kein Zufall. Schon im Vorjahr hatten die Schwaben eine schlechte Hinrunde gespielt, sich als zweitbestes Rückrunden-Team unter Tayfun Korkut aber noch bis auf Rang sieben nach oben gespielt. Über diese Saison hinweg machte der VfB dann ein Transfer-Minus von 30 Millionen Euro. Ein Risiko, das sie bewusst eingingen, um an die alten Zeiten anzuknüpfen. „Wenn ich unseren Kader heute sehe, ist klar: Der VfB Stuttgart wird mit dem Abstieg am Ende nichts zu tun haben", sagte Sportvorstand Michael Reschke: „Da lehne ich mich aus dem Fenster." Rausfallen, um im Bild zu bleiben, konnte er nicht mehr. Reschke wurde im Februar entlassen. Korkut war da übrigens schon vier Monate weg.
Es lief in der Hinrunde so ziemlich alles daneben beim VfB. Doch die Bosse verschlossen vor der Wahrheit die Augen. Noch am 25. April, die Stuttgarter hatten kurz vorher gerade mit 0:6 in Augsburg verloren, in Markus Weinzierl den zweiten Trainer in dieser Saison entlassen und gerade mal 21 Punkte nach 30 Spielen auf dem Konto, fragte Präsident Wolfgang Dietrich: „Welches andere langfristige Ziel sollte der VfB haben als das erste Drittel der Liga? Da gibt es auch keinen Grund, daran zu rütteln." Das kurzfristige, die Liga zu halten, wurde bei dieser Träumerei offenbar vernachlässigt.
Reschke lag total daneben
Dabei kam er keineswegs aus dem Nichts. 20 von 34 Saisonspielen verloren die Schwaben, ganze 28 Punkte holten sie. Damit steigt man normalerweise direkt ab. Selbst bei ihrem direkten Abstieg 2016 hatten sie 33 geholt. Die Schwäche von Hannover und Nürnberg gewährte eine Sonderchance über die Relegation, doch selbst die wurde vergeigt. Nicht, weil Gegner Union Berlin besser gewesen wäre. Sondern einfach, weil er mit Herz und Leidenschaft spielte.
Und Dietrich? Der posaunte Stunden nach dem Abstieg heraus: „Der VfB steigt wieder auf." Wohl, weil es so sein muss. Weil es der VfB ist. Doch ein Selbstläufer wird das wahrlich nicht. Das erlebte der Hamburger SV in dieser Saison. Der HSV, Hannover und Nürnberg, dazu ambitionierte Vereine wie Bochum, St. Pauli und Bielefeld oder die emporstrebenden Heidenheimer wollen in der kommenden Saison auch um den Aufstieg mitspielen. Und in Stuttgart weiß man noch gar nicht so recht, mit welcher Mannschaft sie das angehen wollen.
Der kurz vor dem Relegations-Rückspiel als neuer Trainer bekanntgegebene Tim Walter vom Zweitligisten Holstein Kiel wird trotz des Abstiegs kommen. Mit ihm, Reschke-Nachfolger Thomas Hitzlsperger und dem vom FC Arsenal verpflichteten Sportdirektor Sven Mislintat gibt es eine komplett neue sportliche Führung. Die Analyse, wer bleiben will und bleiben darf, wird schwierig. Ob Hitzlsperger beschädigt ist, weil er den Abstieg nicht verhinderte, bleibt abzuwarten. Spieler konnte er jedenfalls keine mehr verpflichten. Aber der Job-Anfänger sagte mit Blick auf seine überraschend schnelle Beförderung auch: „Ich habe natürlich Fehler gemacht. Wichtig ist, möglichst schnell aus ihnen zu lernen." Nach dem Abstieg war der Ex-Nationalspieler, der als Ex-Kapitän den Verein im Herzen trägt, komplett niedergeschlagen. In der Kabine habe keiner gesprochen, berichtete er, „es gibt ja auch nix zu sagen. Das ist heftig, sehr heftig. Wir haben viele Fehler gemacht. Alle."
Harte Kritik von Buchwald
Das zeigt zumindest eine Einsicht. Auch die Tatsache, dass Hitzlsperger sich in Mislintat sportliche Kompetenz an die Seite geholt hat, spricht dafür, dass zumindest er nicht blauäugig ist. Doch die Kaderplanung wird schwer. Besonders seltsam mutete an der seines Vorgängers – der bei Schalke für die kommende Saison schon wieder untergekommen ist – an, dass der einst als Talente-Finder in der zweiten Reihe bekannte Reschke wenig kreative Transfers tätigte. Ron-Robert Zieler, Andreas Beck, Dennis Aogo, Mario Gomez, Gonzalo Castro – das waren bewährte Bundesliga-Profis, Ex-Nationalspieler, aber eine Spürnase brauchte man für sie nicht. Und billig im Unterhalt waren sie sicher auch nicht. Wer von ihnen bleibt? Die Verträge von Gentner, Beck und Aogo laufen aus. Gomez (33), Ex-Nationalspieler und früherer Bundesliga-Torschützenkönig, will derweil überraschend mit dem VfB in die 2. Liga gehen. „Mario will mithelfen, den sportlichen Schaden zu reparieren. In dieser Lage wird er den Verein nicht verlassen", sagte sein Berater Uli Ferber.
Gehen wird offenbar Winter-Neuzugang Ozan Kabak. Das für stolze elf Millionen verpflichtete türkische Abwehr-Talent hat eine Ausstiegsklausel bei Abstieg über 15 Millionen. Finanziell halbwegs gesund ist der VfB, zumal zu diesen 15 Millionen noch 35 für Weltmeister Benjamin Pavard kommen, der zum FC Bayern wechselt. Damit können die sinkenden TV-Einnahmen schon mal aufgefangen werden.
Insgesamt hat sicher das während der Saison zurückgetretene Aufsichtsrats-Mitglied Guido Buchwald Recht. „Der Abstieg war überflüssig, aber hausgemacht", sagte der Weltmeister von 1990. „Aber ein Abstieg ist auch eine Chance, um gewisse Altlasten hinter sich zu lassen und einen richtigen Neuaufbau zu machen." Aber einen mit realistischen Zielen.