20 Jahre wurde über eine Regelung zur Fachkräfteeinwanderung gestritten. Anfang Juni hat der Bundestag das Gesetz nun beschlossen. Doch was steht eigentlich drin?
Widersprüchlich ist die Debatte über Migration in Deutschland. Einerseits hat die große Zuwanderung der Jahre 2015 und 2016 wütende Proteste ausgelöst, die AfD in den Bundestag gebracht und die Koalition aus CDU, CSU und SPD Millionen Wählerstimmen gekostet. Andererseits findet die Mehrheit der Bürger, der Abgeordneten im Bundestag und erst recht der Wirtschaft Einwanderung richtig und nötig. Doch auch viele der Befürworter möchten sich die Migranten gern aussuchen. Vor allem diejenigen sollen kommen dürfen, die Deutschland nützen. Auf arme Schlucker, Bürgerkriegs- und Bootsflüchtlinge trifft das nicht unbedingt zu.
In diesem Sinne hat die Bundesregierung eine Mega-Reform aus acht Gesetzen bewerkstelligt, die der Bundestag Anfang Juni beschlossen hat. Das Tempo kam auch daher, dass die kriselnde Regierung Handlungsfähigkeit beweisen wollte. Das wichtigste Vorhaben ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Ungefähr 20 Jahre dauerte die Debatte darüber. Thomas Bauer, Vorsitzender des Sachverständigenrats Migration, der wissenschaftliche Politikberatung betreibt, fasst die Botschaft so zusammen: „Deutschland ist ein Einwanderungsland, das Einwanderung und Integration pragmatisch gestaltet."
Warum überhaupt zusätzliche Einwanderung?
Einfache Antwort: Deutschland hat mehr Arbeit als Arbeitskräfte. Rund 260.000 zusätzliche Beschäftigte aus dem Ausland pro Jahr brauche die Wirtschaft während der kommenden Jahrzehnte, heißt es in einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung. Dieser Befund beschreibt die Lücke zwischen dem Personalbedarf der Firmen und der abnehmenden Zahl der einheimischen Erwerbspersonen. Denn unter anderem werden die geburtenstarken Jahrgänge der 60er- und 70er-Jahre bald in Rente gehen. Das Defizit lässt sich nicht alleine dadurch ausgleichen, dass Frauen, Ältere und Erwerbslose mehr arbeiten.
Der Fachkräftemangel sei „in vielen Unternehmen" bereits zu spüren, schreibt die Bundesregierung in ihrer Gesetzesbegründung – „vor allem in der Gesundheits- und Pflegebranche, in den sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), aber auch im Handwerk". Und die Probleme nähmen zu. „Während im Dezember 2011 ein Engpass bei 7,6 Prozent der Berufsgruppen vorlag, waren es nach der aktuellen Engpassanalyse vom Juni 2018 bereits 23 Prozent aller Berufsgruppen."
Wer soll kommen?
Die Koalition erleichtert die Einwanderung für Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten, die über eine normale Berufsausbildung verfügen. Bisher galten einfache Regeln nur für studierte Hochqualifizierte mit gut bezahlten Arbeitsverträgen. Ausländische Fachkräfte erhielten ihr Visum und die Arbeitserlaubnis außerdem meist erst, wenn sich kein deutscher Interessent für eine freie Stelle fand. Diese Vorrangprüfung wird ebenso abgeschafft wie die Beschränkung auf sogenannte Mangelberufe.
Arbeitnehmer sollen zudem für ein halbes Jahr zur Arbeitssuche in die Bundesrepublik kommen können, wenn sie noch keinen Job haben. Bislang mussten sie alle Formalitäten vom Heimatort aus regeln, was häufig sehr schwierig ist. Auch diejenigen dürfen einreisen, deren Ausbildung mit der hiesigen vergleichbar, aber noch nicht auf demselben Stand ist.
Was ist mit denen, die schon hier sind?
Ihre Situation will die Regierung verbessern, wenn sie für den Arbeitsmarkt nützlich sind. Abgelehnte Asylbewerber beispielsweise, die das Land trotzdem nicht verlassen müssen, sollen leichter eine sogenannte Ausbildungsduldung erhalten – vorausgesetzt, sie absolvieren eine Berufsausbildung. Neu eingeführt wird die Regelung der „Beschäftigungsduldung". Wer sich mit einer bezahlten Tätigkeit selbst finanzieren kann, hat bessere Aussichten, dauerhaft zu bleiben. Das gilt für Flüchtlinge, die bis August 2018 eingereist sind und schon anderthalb Jahre lang einen regulären Job ausüben. Froh über diese Regelung dürften viele Handwerker und Unternehmer sein, die nach 2015 Flüchtlinge eingestellt haben, weil sie einerseits helfen wollten und andererseits Personal brauchten. Abschiebungen von Leuten, die normal arbeiteten, sorgten in den vergangenen Jahren immer wieder für Ärger. Außerdem sollen Flüchtlinge einen einfacheren Zugang zu Sprach- und Integrationskursen sowie zu damit verbundener finanzieller Förderung erhalten.
Dürfen alle bleiben?
Nein. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und die Union machten sich stark dafür, dass neben Einladung auch Abschied steht. Deshalb geht es im „Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" darum, bestimmte Asylbewerber schneller in ihre Heimatländer zurückzuführen. Dafür wird ein neuer, minderwertiger Duldungsstatus für Asylsuchende eingeführt, die nicht an der Aufklärung der eigenen Identität mitwirken oder ihre Abschiebung verhindern. Dabei kommen Wohnsitzauflagen, ein Beschäftigungsverbot und Leistungskürzungen in Betracht. Auch Gefängnisstrafen dürfen die Behörden verhängen, wenn sie vermuten, dass Leute vor einer geplanten Abschiebung untertauchen. Ausreisepflichtige Ausländer, denen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ein Schutzstatus zuerkannt wurde, sollen in Deutschland nur noch zwei Wochen lang staatliche Hilfe erhalten. Außerdem können Bundesbürger bestraft werden, die Abschiebungen behindern. Asylsuchende müssen nach ihrer Ankunft bis zu 18 Monate in zentralen Unterkünften leben, beispielsweise in den bayerischen sogenannten Ankerzentren.
Die Änderungen gefallen nicht allen. „Diese Gesetzespakete atmen den Geist des Rechtspopulismus", kritisierte die Organisation Pro Asyl. Der Paritätische Gesamtverband sprach von einer „maßlosen Ausweitung der Abschiebungshaft".
Wie sieht die Zukunft aus?
Befürworter der Arbeitnehmer-Einwanderung hoffen, dass die Gesetze den Migrationsdruck wenigstens etwas verringern. Wer seine Heimat in arabischen oder afrikanischen Ländern verlassen will oder muss, findet nun einen neuen legalen und geregelten Weg vor, um nach Deutschland zu kommen. Solche Leute müssen nicht mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer fahren oder illegal einreisen. Ob dieser Effekt eintritt, bleibt abzuwarten. Wenn Millionen Menschen im Süden auswandern, fallen die neuen Regeln eventuell nicht ins Gewicht.