Der Familiengarten Eberswalde auf dem Gelände eines ehemaligen Walzwerks ist ein großer Abenteuerspielplatz. Den besten Überblick hat man vom alten Montagekran. Überhaupt ist der Ort ein lohnenswertes Ziel.
Falls mein Sohn bis eben noch Zweifel gehabt haben sollte, dass es sich beim Märchenwald im Familiengarten Eberswalde auch wirklich um einen eben solchen handelt – auf einmal sind sie wie weggeblasen. Gleich am Eingang entdeckt der Sechsjährige im Gebüsch einen kleinen, silbernen Anhänger. Und beharrt darauf: Den kann nur eine Prinzessin verloren haben. Das dazugehörige Märchenschloss verbirgt sich gut versteckt hinter den Bäumen, nur die drei spitzen Türmchen sind zwischen den Blättern zu erkennen. Von nun an jagt eine spannende Entdeckung die nächste. „Guck mal, ein Geheimgang", ruft sein Kita-Kumpel herüber. Wir befinden uns immer noch mitten in Eberswalde. Aber es könnte genauso gut das Auenland aus „Herr der Ringe" oder ein Wald aus Grimms Märchen sein.
Überall im Familienpark gibt es etwas zu entdecken: überlebensgroße Ameisen und Spinnen, einen fliegenden Teppich, ein hölzernes Krokodil. In der Hexenküche brodeln die Kochtöpfe, beim Näherkommen erklingt ein stürmisches Gewitter. Anderswo kann man übers Wasser gehen wie einst Jesus. Unweit des Drachenberges liegen riesige Dracheneier herum, die junge Drachenbrut muss gerade erst geschlüpft sein. Und sieht das da hinten nicht aus wie eine riesige Giraffe?
Tatsächlich handelt es sich bei dem gewaltigen Ungetüm, das über den Baumwipfeln aufragt, um einen Eber. Genauer: um einen Eberkran. So heißt der 58 Meter hohe Montagekran, der in den 50er-Jahren entwickelt und nach dem Wappentier von Eberswalde benannt wurde. Früher diente er zur Vormontage anderer Kräne, heute als Wahrzeichen der Stadt im Landkreis Barnim und weithin sichtbare Landmarke. Von der Aussichtsplattform in knapp 30 Metern Höhe bekommt man zudem einen guten Überblick über die Ausmaße des Familiengartens, der sich auf 17 Hektar entlang des Finowkanals erstreckt. Bei gutem Wetter soll man von hier oben sogar noch den Berliner Fernsehturm in 50 Kilometern Entfernung sehen können.
Zauberlandschaft aus dem Märchen
32 Tonnen Gewicht konnte ein solcher Kran, der selbst 326 Tonnen wiegt, einst heben. Die Erwachsenen sind angesichts solcher Zahlen schwer beeindruckt, doch unsere Jungs interessieren die technischen Daten wenig. Viel spannender findet unser jüngerer Sohn, dass auf dem Kran auch Vögel nisten. Zusammen mit seiner Mutter zählt der Dreijährige die Vogelnester in der Stahlkonstruktion und kommt am Ende auf ein halbes Dutzend. Das ist Industriekultur auf die kindliche Art.
Das gilt auch für den Familiengarten Eberswalde im Allgemeinen. Wo heute Kinder mit ihren Eltern einen ereignisreichen Tag erleben, wurde früher schwer geschuftet. Das Areal befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen Walzwerks – jahrhundertelang wurden dort Eisenblöcke gespalten, gewalzt, geschnitten und weiterverarbeitet. Eine Attraktion war das Gelände früher schon: Für fünf Silbergroschen Eintritt konnten Besucher „Werkstätten wie die der Cyklopen" bestaunen, wie es ein Reiseführer im Jahr 1898 beschrieb. 1992 wurde das Werk stillgelegt, zehn Jahre später fand dort die zweite Brandenburger Landesgartenschau statt. Der Familiengarten ist gewissermaßen das Erbe dieses Ereignisses. Doch die industrielle Vergangenheit des Parks ist vielerorts nach wie vor spürbar. Zu sehen sind unter anderem eine Dampfspeicherlokomotive, zwei Schornsteine sowie eine Kranbahn, die inzwischen jedoch als Startplattform für die Riesenrutschen dient.
Vielleicht wirkt das Ganze auch deshalb wie ein riesiger Abenteuerspielplatz. Mein sechsjähriger Sohn kann es nach unserer Ankunft jedenfalls kaum erwarten, die alten Betriebsarchen des ehemaligen Walzwerks genauer zu erforschen – auch sie sind Zeitzeugen der regionalen Industriekultur. Dabei handelt es sich um die einstigen Industriekanäle der ursprünglichen Walzwerkanlagen, die nun von Besuchern mit dem Tretboot erkundet werden können. Unsere Expedition in die Unterwelt beginnt mit einer kurzen Einweisung durch das Personal. Die Steuerung sei eigentlich ganz einfach, meint der Mann, womit er vermutlich meint, dass dieses Boot auch wirklich nach links fährt, wenn man nach links steuert. Es gibt ja auch Tretboote, bei denen das andersherum ist. Aber was heißt schon einfach, wenn es unterwegs so viel zu entdecken gibt, dass der Sohn das Steuern glatt vergisst? Die Gewölbe sind in unterschiedlichen Farben beleuchtet, das Licht spiegelt sich in den Wellen des Wassers. Kurz bevor wir wieder anlegen, hören wir aus einem der Kanäle auch noch ein lautes Gebrüll. Ob das die Drachen sind, deren Eier wir im Märchenwald gefunden hatten?
Nächstes mal eine Kanutour einplanen
Bevor wir womöglich noch gefressen werden, machen wir lieber selbst ein Picknick – so viele Erlebnisse machen schließlich hungrig. An einem Seitenarm des Finowkanals rasten wir auf der laut Familiengarten wahrscheinlich längsten Sitzbank Europas: 90 Meter sind es von einem Ende zum anderen. „Da wäre es eher nicht so praktisch, wenn wir uns jeder an ein Ende setzen und dann feststellen würden, dass einer von uns die Buletten hat und der andere den Ketchup", sagt mein Sohn und lacht. Sicherheitshalber bleibt er dann lieber fest an unserer Seite.
Frisch gestärkt stürmen die Kinder anschließend den Spielplatz. Es gibt noch so viel zu entdecken. Dem Jüngeren haben es vor allem die Tretautos angetan, mit denen er durch den Staub flitzt; der Ältere lässt derweil das versunkene U-Boot Nautilus wieder vom Grund emporsteigen. Dafür braucht es nur mehrere Pumpen und etwas Ausdauer.
Die fehlt uns am Ende dann doch – alles haben wir einfach nicht gesehen, dafür reicht ein Tagesausflug kaum aus. Aber wir wollen wiederkommen und dann vielleicht auch noch die anderen Attraktionen in Eberswalde besichtigen: den dortigen Zoo besuchen oder eine Kanutour machen auf dem Finowkanal, der ältesten, noch schiffbaren Wasserstraße Deutschlands. Und dann gibt es als besonderen Anreiz ja noch den Eberswalder Höhenpass: Wer innerhalb eines Jahres mindestens drei der vier höchsten Bauwerke der Stadt erklimmt – neben dem Montagekran im Familiengarten zählen auch noch der Finower Wasserturm, der Turm der Maria-Magdalenen-Kirche und der Tiger-Turm im Zoo dazu –, bekommt eine Urkunde sowie eine speziell angefertigte Höhenpass-Medaille.
Weitere Infos, Anfahrt, Öffnungszeiten: www.familiengarten-eberswalde.de