Wohl kaum einem deutschen Erfinder wurden so viele Denkmäler gesetzt wie dem gebürtigen Berliner Ernst Litfaß. Der „Säulenheilige" hatte mit seinen Reklamemonumenten ein neues plakatives Werbe-Zeitalter eingeläutet.
In der Nacht zum 1. Juli 1855 ließ der Berliner Druckereibesitzer und Verleger Ernst Litfaß die preußische Hauptstadt von einem kleinen Heer von Mitarbeitern quasi werbefrei machen. Der Auftrag lautete, möglichst sämtliche seit geraumer Zeit in wachsendem Maße wild an Bäumen oder Hauswänden angebrachten privaten oder gewerblichen Aushänge, Ankündigungen und Werbezettel zu entfernen. Schließlich hatte der gewiefte Geschäftsmann, der in seiner Jugend als Schauspieler schon mal gehörig über die Stränge geschlagen und in der 1848er-Revolution sogar kurzzeitig demokratische Anwandlungen gezeigt hatte, am 5. Dezember 1854 einen lukrativen Deal mit dem Berliner Polizeipräsidenten Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey ausgehandelt.
Künftig sollten öffentliche Bekanntmachungen aller Art einzig und allein nur noch an als „Annoncier-Säulen" genau definierten Monumenten erlaubt sein. Litfaß erhielt damit auf Straßen und Plätzen der Stadt das Werbemonopol, und es sollte für die Obrigkeit ein Kinderspiel werden, sämtliche Aushänge zensurmäßig zu kontrollieren. Die erste der knapp drei Meter hohen Säulen war bereits am 15. April 1855 an der Ziegenbockswache in der Münzstraße aufgestellt worden. Für den 1. Juli 1855 war die offizielle Präsentation der behördlich abgesegneten 150 Bauteile vorgesehen, darunter neben 100 Zementsäulen auch 50 holzverschalte Brunnen. Die Auflage, als Gegenleistung für das ihm gewährte Monopol auf eigene Kosten auch 30 säulenartige, öffentliche Pissoirs aufzustellen, sollte der am 11. Februar 1816 in Berlin geborene Litfaß übrigens nie erfüllen.
Durch Reisen inspiriert
Für seine Litfaßsäulen hatte sich der neue Berliner Werbekönig durch Reisen nach Paris und London inspirieren lassen, wo es Ähnliches bereits gab. In der britischen Hauptstadt beispielsweise waren mit Pferdekutschen transportierte Bekanntmachungs-Säulen damals schon gebräuchlich. An der Seine hatten ihn Riesenreklamen begeistert. Aber seine Anschlagssäulen waren etwas gänzlich Neues. Und sie waren zudem ungemein praktisch, konnten darauf doch mehr als 150 Schichten Plakate übereinander geklebt werden, bevor das gewachsene Papierhüftgold wieder abgespeckt werden musste. Schnell wurden die Litfaßsäulen, die sich rasant vermehrten, ein Markenzeichen für die Stadt, aufgestellt und von den Einheimischen ins Herz geschlossen. Vor allem auch dank der vom preußischen Monarchen erteilten exklusiven Erlaubnis, hier die neuesten, „Kriegsdepeschen" getauften, Mitteilungen über Preußens Kriege mit Österreich und Frankreich anzuschlagen. An den Litfaßsäulen konnten die hier versammelten Berliner daher ganz brandaktuell das Geschehen an der Front mitverfolgen. Durch freigiebige öffentliche Festivitäten, beispielsweise Bankette für heimkehrende Soldaten, versuchte Litfaß seinen sozialen Aufstieg voranzutreiben. Was ihm allerdings nur bedingt gelang. Zwar wurde ihm der Titel „Geheimer Commissions-Rath" verliehen, aber an den Hof selbst wurde er nie eingeladen. Für den Adel blieb er ein einfacher Druckereibesitzer, der zusätzlich ein paar Betonsäulen aufgestellt hatte. Diese wurden nach Litfaß Tod 1874 ein echter Exportschlager in sämtliche Teile des Reiches. Noch heute, im digitalen Zeitalter, gibt es bundesweit noch mehr als 50.000 Litfaßsäulen. Von denen wurden vom Berliner Senat 50 unter Denkmalschutz gestellt. Anfang 2019 sickerte die Nachricht durch, dass die meisten noch erhaltenen Monumente an der Spree abgebaut und durch rund 1.500 neue Modelle ersetzt werden sollen.